1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 „Ist dieser Tag nicht wunderschön, Don Ruy?“ rief sie unternehmungslustig. „Lasst uns ein Picknick machen! Während ich mich umziehe, könnt Ihr uns etwas zu essen holen.“ Bevor er etwas erwidern konnte, war sie auch schon die Treppe zu ihren Gemächern empor gelaufen.
„Wird sie eigentlich jemals müde?“ sagte Ruy zu sich selbst, begab sich aber selbstverständlich trotzdem in die Küche und kehrte kurze Zeit später mit einem Picknickkorb zurück. Ana hatte sich bereits umgezogen und trug jetzt ein dunkelgrünes, eng anliegendes Kleid. Ihre Haare fielen ungebändigt über ihre Schultern. Ruy bot ihr mit größtem Vergnügen seinen Arm, und sie verließen das Schloss.
Auf einer nahen Waldlichtung breitete Ana die mitgebrachte Decke aus, und Ruy begann den Korb auszupacken. Er füllte zwei Becher mit Wein. „Setzt Euch!“ sagte Ana und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
„Auf diesen schönen Tag.“ Er hob seinen Becher.
„Auf dass die Nacht genauso schön wird...“
Er glaubte nicht richtig gehört zu haben. „Wie meint Ihr...“ Hier wurde er von einem heftigen Niesanfall unterbrochen; als er sich erholt hatte, trank er einen Schluck Wein, um dem schelmischen Blick ihrer schwarzen Augen auszuweichen.
Ana fragte belustigt: „Ihr habt Euch wohl gestern Nacht am Fluss erkältet?“
Ruy verschluckte sich am Wein und hustete, wurde erst bleich und dann rot. „Ihr wisst, dass ich dort war?“
„Glaubt Ihr, ich würde sonst um diese Zeit baden gehen?“ Sie sah ihn mit schief gelegtem Kopf an.
Er verstand noch immer nicht. „Aber...“
„Ich sah Euch von meinem Fenster aus. Also bin ich hinausgeklettert und Euch gefolgt.“
„Ihr seid – aus dem Fenster geklettert.“ Ruys Tonfall klang, als könne ihn nichts mehr schockieren.
„Ihr wisst doch, wie weit meine Gemächer von der Eingangstür entfernt sind, und ich hatte ja keine Ahnung, wohin Ihr wolltet. Also war das der schnellste Weg“, sagte sie fröhlich.
„Aber Euch hätte so viel passieren können!“ Nun war er ernstlich besorgt.
„Ich mache das seit meinem zwölften Lebensjahr, und außerdem“ - ihr Ton wurde kokett - „hat es sich doch für euch gelohnt, oder?“
„Ihr seid… Ihr seid...“ Die Worte verließen ihn.
Sie ergänzte für ihn: „... die schönste Frau, der Ihr je begegnet seid?“
Ruy fand die Sprache wieder. „Nein, Ihr seid un-mög-lich!“ Sein Gesicht hatte einen liebevollen Ausdruck angenommen, der es Ana schwer machte, sich nicht gleich in seine Arme zu werfen.
„Aber Don Ruy“, sagte sie leise, „Männer Eures Alters sollten wissen, dass Frauen gerne kleine Spielchen treiben.“
„Keine Frau, die ich vor Euch kannte, tat so etwas!“
„Ich kann noch etwas ganz anderes tun...“
„Was sollte das noch sein? Ihr könnt mich langsam nicht mehr überraschen.“
Ana versuchte ernst zu bleiben. „Ich kann Euch die Stimme rauben!“
Ruy sah sie verständnislos an. „Ich wüsste nicht...“
In diesem Moment lehnte Ana sich vor und küsste ihn. Der Rest seines Satzes ging in einem Geräusch unter, das etwa wie „Hmpf“ klang; dann begriff er endlich, was sie mit ihm machte. Sanft erwiderte er ihren Kuss, noch immer fassungslos darüber, so schnell ans Ziel seiner Träume gelangt zu sein.
„Seht Ihr, Ihr konntet nicht mehr sprechen!“ rief Ana, als sie sich von ihm löste und ihn anlachte.
„Ihr bringt mich um den Verstand“, stellte er verwirrt fest. Spielte sie etwa nur mit ihm?
„Das ist doch genau das, was ich wollte...“ sagte sie und sah ihn liebevoll an. Seine Augen waren voller Zweifel, er wusste immer noch nicht, ob sie ihre Avancen ernst meinte; doch ihr auffordernder Blick gab den Ausschlag. Zärtlich zog er sie an sich und küsste sie, und als sie zurück auf die Decke sanken und er durch den dünnen Stoff ihres Kleides ihren Körper spürte, vergaß er Zweifel und Bedenken und gehörte nur noch ihr.
Einige Tage waren seit jenem Picknick im Wald vergangen, und in Ruys Glück mischte sich immer drängender eine bohrende Frage: Was nun? Wie Ana ihm gestanden hatte, hatte er ihr die Jungfernschaft genommen, und das bedeutete, dass an einer Heirat kaum ein Weg vorbeiführte. Zwar war dieser Gedanke ihm keineswegs zuwider, doch wenn er an Doña Doroteas Vorbehalte gegen ihn dachte, beschlich ihn Unbehagen, und auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass Ana ihn abweisen würde, war er sich ihrer Zustimmung doch auch nicht vollkommen sicher. Schließlich war er ganze vierundzwanzig Jahre älter als sie, und ihre Leidenschaft für ihn konnte ein rasch vorübergehendes Strohfeuer sein.
So war sein Entschluss zwar gefasst, aber keineswegs unangefochten, als er eines Morgens an die Tür des Arbeitszimmers von Diego de Mendoza klopfte. Auf dessen „Herein!“ trat er ein.
Diego legte eine kostbar gebundene Ausgabe der Aeneis beiseite. „Guten Morgen, Don Ruy. Was ist Euer Begehr?“
„Habt Ihr kurz Zeit für mich, Señor?“
Diego deutete auf einen Stuhl. „Nehmt Platz.“
Ruy räusperte sich. „Es ist… Ich würde Euch gern fragen...“
Diego lächelte aufmunternd, als ahne er bereits, was kommen würde. „Nun, heraus mit der Sprache!“
Ruy holte tief Luft und sagte rasch: „Ich bitte Euch um die Hand Eurer Tochter!“
Diego legte den Kopf schief und wartete einige Sekunden. „Und Ihr meint, ich könnte sie Euch geben?“
„Wie meint Ihr...“
„Nun, meine Tochter hat ihren eigenen Kopf. Wenn sie Euch auch will, habe ich nichts dagegen einzuwenden. Doch Ihr müsst sie schon selbst fragen. Die Entscheidung liegt bei ihr.“
Ruy atmete auf. „Ich danke Euch für Eure Offenheit. Ich werde sie fragen, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet.“
Diego stand mit ihm auf und schüttelte ihm die Hand. „Tut das. Ich würde mich wirklich freuen, wenn Ihr Erfolg hättet.“
„Ich weiß Eure Worte sehr zu schätzen, Señor.“ Mit einer Verbeugung verließ Ruy das Zimmer.
„Vielleicht kann dieser Mann dafür sorgen, dass sie lernt, ihr Temperament zu zügeln...“ murmelte Diego, als er wieder allein war.
Einige Tage später saß Ruy in Philipps Arbeitszimmer in Toledo und studierte eine Depesche aus London, deren gekünstelte lateinische Formulierungen seinem nicht besonders sprachgewandten königlichen Freund Probleme bereiteten. Nachdem er jedoch über zehn Minuten auf den Text gestarrt hatte, ohne etwas zu sagen, stellte Philipp freundschaftlich tadelnd fest: „Du bist heute überhaupt nicht bei der Sache.“ Er lächelte. „Eigentlich konzentrierst du dich seit geraumer Zeit nicht mehr besonders auf die Politik. Ich frage mich, ob das an einer gewissen jungen Dame liegt...“
Ruy seufzte, als läge die Last der Welt auf seinen Schultern. „Ohne sie möchte ich nicht mehr leben!“
„Warum hältst du dann nicht bei Mendoza um ihre Hand an?“ schlug Philipp trocken vor.
„Das habe ich bereits getan.“
„Und?“ fragte Philipp eifrig.
„Er hat gesagt, dass die Entscheidung bei Ana liegt.“
„Aber dann frag sie doch!“
Das hatte Ruy befürchtet – Philipp begriff ihn nicht. „Und wenn sie nein sagt?“
Der König legte ihm die Hand auf die Schulter. „Mein Lieber, du bist doch sonst nicht so schüchtern. Was hast du denn schon zu verlieren?“
„Die Frau, die ich liebe!“ sagte Ruy, als halte er seinen Freund für begriffsstutzig.
„Ich könnte sie in deinem Namen fragen“, schlug Philipp nach kurzem Überlegen vor.
„Würdest du das für mich tun?“ Der Portugiese klang sehr erleichtert.
„Nun, ich werde sie nicht direkt fragen, ob sie dich heiraten will, aber ich könnte herausfinden, ob sie von dir gefragt werden möchte.“ Philipp grinste.
Aufatmend sagte Ruy: „Ich danke dir, damit wäre mir schon sehr geholfen! Ich könnte es nicht ertragen, von ihr abgewiesen zu werden.“
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