Bei Anas Anblick verschlug es auch Philipp für einen Moment die Sprache. Nichts an ihr erinnerte mehr an das Mädchen, das er vor Jahren kennengelernt hatte – Ana war zur Frau geworden. Sie war nicht nach der gängigen spanischen Mode gekleidet, sondern trug ein weit ausgeschnittenes nachtblaues Kleid. Ihre Haare, nur durch zwei Spangen gehalten, fielen in dunklen Locken über ihren Rücken. Ihr einziger Schmuck war ein großes goldenes Kreuz, das um ihren Hals hing; in der Hand trug sie eine weiße Rose.
„Ana...“ seufzte Ruy verklärt.
„Bitte?“ Philipp folgte dem Blick seines Freundes, der immer noch Ana anstarrte, die jetzt am Arm ihres Vaters durch den Raum schritt. Mit einem mitleidigen Lächeln bemerkte er: „Schlag sie dir aus dem Kopf, Ruy – diese Frau ist unerreichbar für dich, glaub mir.“
„Kannst du sie mir trotzdem vorstellen?“ bat Ruy.
Inzwischen hatten Vater und Tochter das Podium erreicht. Diego verneigte sich vor dem König, und Ana versank in einem vollendeten Hofknicks. „Es ist eine große Ehre für mich, heute hier zu sein, Señor“, sagte Diego.
„Die Freude ist auf meiner Seite. Der Hof hat Euch lange vermisst, Don Diego“, erwiderte Philipp freundlich.
Ana erhob sich, trat auf ihn zu und reichte ihm die Rose, die sie in der Hand hielt. „Mein König, nehmt diese Rose als Zeichen meiner Freude, Euch wiederzusehen.“
Philipp lächelte. „Ich danke Euch, Doña Ana.“ Er wies auf den heftig errötenden Ruy. „Darf ich Euch meinen Jugendfreund und Berater Don Ruy Gómez de Silva vorstellen?“
Ana neigte den Kopf und lächelte Ruy an. „Es ist mir eine Freude, Euch kennenzulernen, Don Ruy.“ Sie reichte ihm die Hand zum Kuss, den er über jedes normale Maß hinaus ausdehnte. Seinen ganzen Mut zusammennehmend, fragte er: „Würdet Ihr mir heute Abend einen Tanz schenken?“ Ana schlug die Augen nieder und signalisierte ihr Einverständnis, dann entfernte sie sich mit ihrem Vater.
„Oh Gott, für diese Frau würde ich sterben!“ seufzte Ruy inbrünstig.
„Das hat Alba bestimmt auch gesagt, als er seine Frau zum ersten Mal sah“, meinte Philipp trocken.
„Ich meine es ernst, Philipp!“ sagte Ruy leicht gekränkt. „Eine so wunderbare Frau wie sie habe ich noch nie gesehen. Hilf mir, um sie zu werben!“
„Ich weiß nicht, ob das reichen würde“, sagte Philipp stirnrunzelnd. „Die Mendozas werden nur einen Schwiegersohn aus höchstem Adel akzeptieren.“
„Aber du bist der König – dein Wort ist Gesetz!“
Philipp legte ihm die Hand auf die Schulter. „Mein Freund, wenn es dir so ernst damit ist, werde ich alles tun, um dir zu helfen.“
„Dafür würde ich dir ewig dankbar sein!“
Wenig später begannen die Musikanten aufzuspielen, und die Gäste tanzten. Philipp und Ruy sahen dem eine Weile zu; schließlich fragte der Portugiese: „Willst du nicht auch einmal tanzen?“
„Ich weiß auch genau, mit wem ich das tun soll.“ Philipp grinste wissend, und Ruy wurde rot. Philipp klopfte ihm leicht auf die Schulter. „Keine Sorge, mein Freund, auch ich war schon verliebt... Ich werde sehen, was ich tun kann.“
Er gab Ruy die weiße Rose, die dieser sofort ans Herz drückte, schritt durch den Saal auf Ana zu und verbeugte sich elegant vor ihr. Wie bei ihrer ersten Begegnung spürte Ana auch jetzt wieder die Faszination, die sein unergründlicher Blick auf sie ausübte – er verriet keine Emotion, und doch besaß er eine fast hypnotische Kraft und weckte in seinem Gegenüber den Eindruck, dass unter der kühlen Oberfläche kaum beherrschte Leidenschaften brodelten.
Erwartungsvoll erwiderte Ana Philipps Blick, und wie sie gehofft hatte, fragte er: „Darf ich Euch um diesen Tanz bitten?“
„Es ist mir eine Ehre…“ Sie zögerte einen Augenblick und lächelte dann: „Philipp.“
An seinem Arm schritt sie in die Mitte des Raumes, und zu den langsamen Klängen einer Pavane begannen sie zu tanzen.
„Mit langen Haaren gefallt Ihr mir noch besser – kleine Ana.“ Philipps Stimme wurde sanft, als er den Kosenamen gebrauchte.
Ana lächelte freudig. „Ihr habt mich wirklich nicht vergessen!“
„Wie könnte ich?“ sagte Philipp und hielt unauffällig Ausschau nach Ruy. Der stand wartend und aufgeregt am Rande des Saales und beobachtete das Paar. Auf einen kaum merklichen Wink Philipps kam er auf sie zu, und der König führte Ana gekonnt in die Arme seines Freundes.
„Du solltest besonders auf ihren – Schmuck achten“, flüsterte Philipp, während er einen letzten Blick auf Anas Dekolleté warf.
Ruy sah ihm verwirrt nach und wandte sich dann Ana zu. „Ihr tragt in der Tat ein außergewöhnliches Schmuckstück.“ Sein Blick hing an dem Goldkreuz, das sie trug.
Ana hatte Philipps Anspielung besser verstanden, ging aber nicht darauf ein. „Lasst uns tanzen, Don Ruy.“
Die folgenden Stunden genoss Ruy in vollen Zügen, und als er seinen Blick auch einmal von Ana losreißen und zu Philipp hinübersehen konnte, beantwortete er dessen stumme Frage nach dem Stand der Dinge mit einem strahlenden Siegerlächeln.
Als der Ball dem Ende zuging und Ana von ihrem Vater darauf hingewiesen wurde, dass es schon spät sei, blickte sie Ruy kokett an. „Ich würde mich freuen, Euch bald auf unserem Schloss zu sehen, Don Ruy.“ Sie reichte ihm die Hand zum Kuss.
Als er sich wieder aufgerichtet hatte, sah er ihr tief in die Augen. „Ich werde die Stunden zählen, bis ich Euch wiedersehe“, sagte er leise.
Ana schritt am Arm ihres Vaters zur Tür, doch bevor sie den Saal verließ, drehte sie sich noch einmal um und schenkte Ruy ein hinreißendes Lächeln. Mit verklärter Miene drehte der sich zu Philipp um, der an seiner Seite stand. „Ist sie nicht...“
Philipp legte ihm den Arm um die Schultern und schnitt ihm lachend das Wort ab. „Sag nichts, mein Freund, dein Anblick ist mir genug!“
Zwei Tage später traf Ruy auf dem Schloss der Mendozas ein. Anas erneuter Anblick überrumpelte ihn diesmal nicht so sehr wie auf dem Ball, und er war in der Lage, durch Geistesgegenwart und intelligente Konversation wenigstens auf Don Diego einen sehr positiven Eindruck zu machen, während seine niedere Herkunft ihn in Doña Doroteas Augen offensichtlich von vornherein zu disqualifizieren schien.
Bereits in der ersten Nacht ließen ihn die Gedanken an Ana nicht schlafen, und er beschloss, noch ein wenig an dem in der Nähe gelegenen Fluss spazieren zu gehen. Als er das Ufer erreichte, überquerte er eine kleine Brücke und schlenderte, auf der anderen Seite angekommen, nachdenklich am Ufer entlang. Plötzlich fuhr er erschreckt zurück: Ana näherte sich dem Fluss, und soweit er sehen konnte, war sie nur mit einem weißen Morgenmantel bekleidet! Rasch versteckte sich Ruy hinter einem Baum, von wo er gleichzeitig schockiert und hingerissen beobachtete, wie Ana ihren Mantel zu Boden fallen ließ und ins Wasser glitt. Ruy wurde in seinem Versteck abwechselnd heiß und kalt...
Einige Zeit schwamm sie im Fluss, bewegte sich anmutig im Wasser, ohne auch nur im Geringsten zu befürchten, beobachtet zu werden. Als sie wieder aus dem Wasser stieg, konnte Ruy noch einmal ihren nackten Körper bewundern, den das weiße Mondlicht beschien, dann schlüpfte sie wieder in ihren Mantel. Ruy folgte ihr in einigem Abstand zurück zum Schloss, wobei er des Öfteren beinahe über Baumwurzeln gestolpert wäre, da er nicht den Weg, sondern Ana im Auge behielt; doch er schaffte es, unbemerkt zu bleiben. Als er schließlich wieder im Bett lag, war an Schlaf natürlich nicht mehr zu denken...
Er sah Ana erst am späten Vormittag wieder, da sie am Morgen wie immer ausgeritten war. Als er ihr in der Eingangshalle begegnete, trat sie mit fliegenden Locken und geröteten Wangen auf ihn zu.
„Guten Morgen, Doña Ana!“ Er küsste schwungvoll ihre Hand.
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