Lächelnd saß Philipp auf. Er wartete, bis Ana ebenfalls aufgestiegen war und rief dann abenteuerlustig: „ Vamos !“ Als Ana an seine Seite trabte, überraschte sie ihn erneut, da sie im Herrensitz ritt. „Es ist sehr ungewöhnlich für eine Frau, dass sie wie ein Mann reitet.“
„Ich glaube, mein Vater erwähnte bereits, dass ich sehr ungewöhnlich bin. Aber glaubt mir, es gibt nichts Unbequemeres als einen Damensattel“, sagte Ana grinsend, und Philipp lächelte ebenfalls, als er erwiderte: „Falls sich mir einmal die Gelegenheit bietet, werde ich es ausprobieren.“
„Lasst es mich wissen. Ich wäre zu gerne dabei, wenn sich der zukünftige spanische König in einen Damensattel setzt.“ Ana war von dieser Situation so erheitert, dass sie laut auflachte.
„Ihr findet das wohl sehr komisch?“ fragte Philipp gespielt entrüstet, und Ana konnte nur nicken, da sie immer noch lachte. „Nun, dann lasst uns ein Wettrennen machen. Das macht den Kopf klar, und“ - er zwinkerte ihr zu - „Ihr könnt mir zeigen, ob Ihr auch so gut reitet wie ich.“ Ana erwiderte nichts, sondern ließ die Zügel frei und stellte sich in den Bügeln auf. Ihr Pferd wurde schneller und schneller, und obwohl Philipp das bessere Pferd hatte, blieb er einige Längen hinter ihr zurück.
Schließlich zügelte Ana ihren Hengst und drehte sich zu Philipp herum. Dieser machte ein ziemlich zerknirschtes Gesicht, als er sie eingeholt hatte. „Gewonnen!“ rief sie lachend.
„Ich dachte, ich hätte das beste Pferd dieser Gegend.“
Ana grinste. „Das beweist dann ja wohl, dass ich besser reite als Ihr“, sagte sie keck.
Philipp stieg vom Pferd, trat dann vor ihren Hengst und verneigte sich. Mit übertriebener Ehrerbietung sagte er: „Doña Ana, niemand kann sich mit Eurer Reitkunst messen.“
„Das nächste Mal werde ich Euch einen Vorsprung gewähren, damit Ihr auch eine Chance habt.“ In Anas Stimme lag ebenfalls ein ironischer Unterton, über den beide lachen mussten.
Philipp streckte die Arme nach ihr aus und hob sie vom Pferd. Einige Sekundenbruchteile lang verharrten sie in dieser Stellung, und sowohl Philipp als auch Ana spürten plötzlich eine eigenartige Anziehungskraft. Verwirrt lösten sie sich voneinander, und als Philipp die Fassung wiedergewonnen hatte, deutete er auf einige große Steine, die ein paar Schritte entfernt lagen. „Wollen wir dort einen Augenblick ausruhen?“ Ana nickte zustimmend, und während sie die Pferde sich selbst überließen, schlenderten sie zu den Steinen und setzten sich.
Ana sah Philipp aus dem Augenwinkel an. „Ich habe gestern noch sehr lange über das nachgedacht, was ihr mir erzählt habt.“
„Worüber genau? Ich habe Euch sehr viel erzählt.“
„Hauptsächlich darüber, dass ihr eine Frau heiraten müsst, die Ihr nicht liebt.“
Philipp stöhnte auf. „Erinnert mich nicht daran!“
Unsicher senkte Ana den Blick. „Verzeiht, ich wollte nicht...“
„Nein, nein, schon gut. Ich möchte gerne Eure Meinung hören.“
„Wirklich?“
Philipp lächelte. „Ihr seid sehr klug für Euer Alter. Da interessiert mich Eure Ansicht wirklich sehr.“
Ana errötete vor Freude über dieses Kompliment und fuhr fort: „Also, Ihr müsst Mary heiraten, weil damit die Allianz zwischen England und Spanien gefestigt wird . “ Philipp nickte zustimmend. „Und ein Bündnis ist in diesem Falle wichtiger als die Liebe.“ Erneut nickte er. „Dann müsst Ihr es tun!“
Verwirrt sah er sie an. „Aber das habe ich Euch doch gestern schon erzählt.“
Ana lächelte süffisant. „Jetzt kommt ja auch erst meine Meinung.“
„Und die wäre?“
Nach einer kleinen Pause sagte sie: „Wenn Ihr eine Frau heiraten müsst, die Ihr nicht liebt, dann nehmt Euch eine Geliebte, die Euch das gibt, was Mary Euch nicht geben kann.“
Philipp war für einen Moment sprachlos. „Ana! Woher habt Ihr bloß diese Idee?“
Ana ging nicht darauf ein, sondern fragte: „Ihr stimmt mir nicht zu?“
„Doch! N-nein, ich meine… Madre de Dios , da muss ich mir von einer Vierzehnjährigen anhören, wie ich mein Liebesleben zu gestalten habe!“
Ana lachte über Philipps verwirrten Gesichtsausdruck. „Ich werde in vier Tagen fünfzehn.“
„Und Ihr meint, das rechtfertigt Euren Vorschlag“, erwiderte Philipp trocken.
„Ich möchte mich gar nicht rechtfertigen, ich habe Euch, nachdem Ihr mich darum gebeten habt, nur meine Meinung gesagt. Und jetzt seid Ihr böse auf mich.“ Anas Stimme klang vorwurfsvoll, und Philipp sah sie beruhigend an. „Ich bin doch nicht böse auf Euch, das könnte ich nie; ich bin nur einfach überrascht über Eure Gedanken. Sie sind für ein so junges Mäd... für eine so junge Frau wirklich außergewöhnlich.“
„Werdet Ihr es denn tun?“
„Ana!“ rief er in gespielter Empörung. „Ich glaube, es ist an der Zeit, zurückzureiten. Ich habe noch eine Menge mit Eurem Vater zu besprechen, bevor ich morgen früh weiterreise.“ Er stand auf, um die Pferde zu holen, und Ana wurde in diesem Moment schmerzlich bewusst, dass sie ihn nicht so bald wiedersehen würde...
Als sie zum Schloss der Mendozas zurückgekehrt waren, unterhielt Philipp sich bis spät in die Nacht hinein mit Don Diego, ohne Ana noch einmal zu sehen. Obwohl er dies sehr bedauerte, war er gleichzeitig froh; denn wie Don Diego ihm mitteilte, war Ana mit ihrer Mutter zu Verwandten gefahren und würde erst sehr spät zurückkehren, und dass Doña Dorotea nicht anwesend war, stimmte Philipp mehr als heiter.
Früh am nächsten Morgen wollte Philipp mit seinem Gefolge aufbrechen, und Don Diego hatte ihm schon zum Abschied die Hand gereicht, als Dorotea aus dem Schloss trat. „Auf Wiedersehen, Hoheit. Es wäre schön, wenn Ihr uns wieder einmal besucht.“
Philipp nickte höflich und sah sich dann suchend um, doch er konnte Ana nirgendwo entdecken. Mit leichtem Bedauern stieg er auf sein Pferd und wandte sich zu Diego. „Schade, dass sich Eure Tochter nicht von mir verabschiedet hat. Richtet ihr doch bitte meine Grüße aus.“
Diego verneigte sich. „Das werde ich tun, Hoheit.“
Philipp gab das Zeichen zum Aufbruch. In diesem Moment kam Ana mit fliegenden Haaren und geröteten Wangen von den Ställen her auf ihn zugelaufen. „Philipp!“ Vor seinem Pferd blieb sie stehen, sah zu ihm auf und reichte ihm eine weiße Rose. „Nehmt diese Rose mit der Bitte, mich niemals zu vergessen.“
In ihren schwarzen Augen glänzten Tränen, und Philipp hätte sie am liebsten in seine Arme genommen und getröstet. Stattdessen steckte er die Rose an seinem Mantel fest, stieg dann vom Pferd und trat dicht vor sie. „Kleine Ana“, sagte er zärtlich. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie auf die Stirn. „Wie könnte ich Euch je vergessen...“ Sanft wischte er eine Träne von ihrer Wange, sah ihr noch einmal in die Augen und stieg wieder auf sein Pferd. „Auf Wiedersehen – hoffentlich bald!“ raunte er ihr zu. Dann wandte er sich zu seinem Gefolge. „ Arriba !“
Der kleine Trupp entfernte sich rasch, und Ana, die Philipps Kuss noch immer auf ihrer Stirn spürte, blickte ihm nach, bis er am Horizont verschwunden war.
Im Herbst des Jahres 1559 war Spanien in Feierstimmung: Prinz Philipp, nun König Philipp II., war aus den Niederlanden zurückgekehrt, um sein Reich von Kastilien aus zu regieren, nachdem sein Vater Karl V. drei Jahre zuvor die spanische Krone an ihn abgetreten hatte. Die Bälle zur Feier seiner Heimkehr häuften sich, doch am prunkvollsten waren solche Feste in Toledo, wo Philipp die meiste Zeit residierte.
An diesem Abend waren im Festsaal des Alcázar von Toledo sämtliche Granden des Reiches versammelt. Philipp saß erhöht auf einem Podium am Ende des Raumes; neben ihm stand sein Freund und engster Vertrauter, Ruy Gómez de Silva, ein Angehöriger des portugiesischen niederen Adels, der gemeinsam mit Philipp aufgewachsen war. Ruy Gómez war ein großer, schlanker, dunkelhaariger Mann mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und einem warmen Lächeln, das jetzt, wo er die diversen Begrüßungszeremonien und die übertriebene Ehrerbietung der Adligen beobachtete, leicht ins Sarkastische abgeglitten war.
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