„Vielleicht...“ Ana nahm auf seinem Stuhl Platz und brachte mit dem nächsten Zug erst einmal ihren König in Sicherheit. Im Verlauf der nächsten halben Stunde musste Philipp dann feststellen, dass sie eine gnadenlose Gegnerin war: Wiederholt brachte sie ihn in arge Bedrängnis, und nur mit Mühe und Not schaffte er es, sich aus der Gefahr zu befreien. Ruy verfolgte das Spiel fasziniert – er hatte von diesen Fähigkeiten seiner Frau nichts gewusst.
Schließlich sah Philipp Ana skeptisch an. „Remis?“
„Remis.“ Sie nickte zustimmend.
Philipp erhob sich langsam. „Ich bin sehr beeindruckt von Eurem Können, Doña Ana. In Anbetracht dieser ausweglosen Situation noch ein Remis zu erreichen, verdient größte Anerkennung.“
Sie lächelte. „Es war mir ein Vergnügen, Don Felipe.“
Er überlegte kurz. „Wie wäre es morgen mit einer neuen Partie?“
„Es ist mir eine Ehre!“ Sie errötete vor Freude.
Ruy machte sich mit einem dezenten Hüsteln bemerkbar, und Ana erinnerte sich daran, wie spät es war. „Wir werden jetzt gehen. Gute Nacht, Don Felipe!“
Der König verabschiedete sich mit dem üblichen Handkuss, und Ruy und Ana wandten sich zum Gehen, doch an der Tür drehte sie sich noch einmal um, um Philipp ein strahlendes Lächeln zu schenken. „Bis morgen, mein König!“
Bei ihrem Anblick durchrieselte ihn plötzlich und unerwartet ein Schauer der Vorfreude. „Bis morgen.“
Ana traf den König von nun an regelmäßig zum Schachspielen, und zwischen ihnen entwickelte sich ein enges Vertrauensverhältnis, das trotz der vereinten Anstrengungen der Klatschmäuler bei Hofe Ruy nicht im Geringsten beunruhigte. Er liebte seine Frau und vertraute sowohl ihr als auch Philipp blind; und außerdem war er durch seine immer wichtiger werdende Stellung am Hof zu sehr in Anspruch genommen, um sich über solche Dinge Gedanken zu machen. Immer klarer zeichnete sich die Gegnerschaft zwischen ihm und dem Herzog von Alba ab. Riet Alba zum Krieg, trat Ruy für Frieden ein, argumentierte Alba zugunsten harten Durchgreifens, vertrat Ruy eine Politik der Milde. Philipp hörte sich die Streitereien ruhig an und versuchte, sich eine Meinung zu bilden, ohne einen der beiden vor den Kopf zu stoßen.
Ruy war mit dem Gang der Dinge recht zufrieden, und so zog er sich mitunter gern auf sein Landgut in Pastrana zurück und ließ die Entwicklung bei Hofe in den Händen seiner Freunde und Parteigänger. Er liebte diese ruhigen Wochen auf dem Land, die er an Anas Seite verbrachte, und auch sie lernte das Landleben schnell schätzen. Auf ihr Drängen hin hatte Ruy in Pastrana ein kleines Gestüt angelegt, und so verbrachte sie einen Großteil ihrer Zeit damit, junge Pferde zuzureiten. Auch an diesem Morgen galoppierte sie am Ufer des Tajo entlang; die aufgehende Sonne ließ ihr Haar aufstrahlen und verlieh auch dem kohlschwarzen Fell ihres Pferdes blendenden Glanz.
Sie befand sich bereits auf dem Rückweg zum Schloss von Pastrana, als sie Ruy erblickte, der langsam auf sie zugeritten kam. Als sie an seine Seite trabte, sah er sie liebevoll an. „Ich liebe dein Haar, wenn es vom Wind verweht wird“, sagte er leise und lächelte neckend. Dann wurde er ernst. „Ich habe mir Sorgen gemacht, als du heute Morgen beim Aufwachen nicht neben mir lagst.“
„Es tut mir leid, dass ich dir nicht gesagt habe, dass ich ausreite, aber ich wollte allein sein. Ich musste nachdenken.“
„Und du meintest, du könntest deine Gedanken nicht mit mir teilen?“ Er wirkte verletzt.
„Ich dachte, es würde dir vielleicht nicht gefallen, zu hören, was ich denke.“
„So? Was denkst du denn?“
Ana zögerte. „Ich habe über deine Stellung bei Hofe nachgedacht, über die Verantwortung, die du trägst, und ich glaube, dass diese Last irgendwann zu schwer für dich werden wird. Gegen einen Mann wie Alba zu arbeiten ist nicht nur gefährlich, sondern auch kräftezehrend, und früher oder später...“ Sie brach ab.
„Früher oder später – was?“
„Ich möchte dich nicht verlieren, Ruy.“
Er sah sie ungläubig an. „Glaubst du, dass Alba versuchen wird, mich zu beseitigen?“
„Nein, das traue ich ihm nicht zu. Aber ich fürchte, dass du an der ständigen Überforderung, der du dich aussetzt, zugrunde gehen könntest.“
Ruy nahm ihre Hand. Ihre Besorgnis rührte ihn. „Ich verstehe, warum du dir Sorgen machst, und manchmal würde ich auch lieber heute als morgen den Hof verlassen und nur noch mit dir auf meinen Ländereien leben. Aber eins musst du einsehen: Auf dem spanischen Thron sitzt mein bester Freund, und diesen Freund werde ich niemals im Stich lassen, schon gar nicht, wenn er mich so dringend braucht wie jetzt.“
Ana lächelte. „Philipp bedeutet dir viel, nicht wahr?“
Ruys Stimme wurde weich. „Sehr viel.“
„Du hast mir nie erzählt, wie eure Freundschaft begann. Ich weiß nur, dass ihr als Jungen gemeinsam unterrichtet wurdet.“
„Nun ja, ich war damals schon zwanzig Jahre alt, also kein Junge mehr. Ich war so etwas wie ein Aufpasser für Philipp; er war neun, musste sich daran gewöhnen, seine geliebte Mutter nicht mehr so oft zu sehen wie in den Jahren seiner frühen Kindheit und lenkte sich mit jeder Menge Unsinn von den Gedanken an sie ab.“
Ana lachte leise, als sie sich einen fünfundzwanzig Jahre jüngeren Ruy vorstellte, der den schmollenden Philipp wegen eines Streichs zurechtwies. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein so beherrschter Mensch wie Philipp sich jemals wirklich wie ein Kind benommen hat.“
„Oh doch, das hat er... Auch wenn er seine Gefühle schon damals erstaunlich gut verbergen konnte.“ Für einen Moment verlor sich Ruys Blick in liebevoller Erinnerung. „Luis de Requesens, der Sohn des kaiserlichen Fechtmeisters, und Philipp waren als Jungen unzertrennlich, und ich war für sie eine Art älterer Bruder, eine Respektsperson. Ich hatte etwas Angst vor dieser Verantwortung, schließlich war Philipp der Sohn des Kaisers, doch die beiden wurden sehr schnell meine Freunde – und sind es bis heute.“ Er zögerte einen Augenblick. „Aber es gab ein Ereignis, das meine Freundschaft zu Philipp für immer besiegelt hat.“
Ana zügelte ihr Pferd und sah ihn an. Sie spürte, dass ihn die Erinnerung noch immer bewegte. „Was ist damals passiert?“
„In der Gruppe von Pagen, die mit Philipp unterrichtet wurden, gab es einen anderen jungen Mann, Alejandro de Montelibán, der nur wenig jünger war als ich – siebzehn oder achtzehn. Er war ein aufbrausender Kerl und wahrscheinlich neidisch auf meine Stellung als Philipps Freund, jedenfalls hasste er mich und versuchte mich ständig zu provozieren. Eines Tages kam er im Streit mit mir so in Rage, dass er seinen Dolch zog und auf mich losging. Ich war auch bewaffnet und habe mich gewehrt, und das Ganze hätte ziemlich böse ausgehen können, wenn Philipp nicht dazwischengegangen wäre.“
„Ein neunjähriger Junge gegen zwei erwachsene, bewaffnete Männer?“
„Man sieht es Philipp vielleicht nicht an, aber er hat viel Mut, besonders wenn es darum geht, seine Freunde zu verteidigen. Er hielt Alejandro fest und konnte ihn tatsächlich am Angriff hindern, aber mich hielt leider niemand fest. Mein Dolch verletzte Philipp über dem linken Auge, bevor ich meinen Ausfall abfangen konnte.“
Ana erschrak. „Du hast den Thronfolger verletzt? Und trotzdem hat Karl dich am Leben gelassen?“
„Warte ab – ich sagte ja, Philipp verteidigt seine Freunde sehr mutig. Der Kaiser bekam natürlich Wind von der Sache und verurteilte mich zum Tode, obwohl Philipp immer wieder beteuerte, dass mich keine Schuld träfe. Ich bereitete mich schon darauf vor, die letzte Beichte abzulegen, als mir mitgeteilt wurde, dass ich auf Bitten des Infanten freigelassen würde.“
„Wie hat Philipp es geschafft, seinen Vater zu erweichen?“
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