Nach einigen Minuten hatte Philipp sich auf die Angriffe seines Gegners eingestellt und wagte nun seinerseits die ersten Ausfälle. Zwar kam er nicht einmal in die Nähe eines Treffers auf der gepolsterten schwarzen Weste des Fechtmeisters, aber Marinellis Gesichtsausdruck zeigte deutlich, wie sehr er sich auf seine Abwehr konzentrieren musste. Anas Augen verfolgten Philipps Angriffe genau, und sie ertappte sich dabei, dass sie ein Gefühl der Erregung empfand beim Anblick seiner kraftvollen Bewegungen und seiner Gesichtszüge, aus denen die unverhohlene Leidenschaft des Kampfes sprach. Ob er sich in den Armen einer Frau, beim Liebesakt, genauso bewegte wie jetzt, mit derselben Geschmeidigkeit, derselben Hingabe? Doch was dachte sie da nur? Er ist mit Elisabeth von Valois verlobt , rief Ana sich unwillig zur Ordnung; warum also hatte sie solche Gedanken wegen eines Mannes, den sie niemals würde besitzen können?
Auf dem Fechtboden machte Marinelli ein kurzes Handzeichen und senkte die Klinge. Auch Philipp richtete sich aus der Fechthaltung auf und zog verwundert die Augenbrauen hoch, als er Marinelli niederknien sah. „Ich bitte Eure Majestät um Entschuldigung für meine unbeherrschten Worte und für die Prüfung, der ich Euch unterzogen habe“, sagte der schwer atmende Italiener. „Ich möchte Euch untertänigst darum bitten, mich als Euren Fechtmeister in den Hofdienst aufzunehmen.“
Philipp streckte dem schweißüberströmten Marinelli die Hand hin und zog ihn auf die Füße. „Ich habe mich auch nicht gerade königlich verhalten. Lasst uns vergessen, wie unsere Bekanntschaft begonnen hat. Ich würde mich glücklich schätzen, Euch in meinen Diensten zu wissen und künftig von einem wahren Meister lernen zu können. Zu lange hat der spanische Hof einen Fechter wie Euch vermisst.“
Marinelli kniete abermals nieder und küsste Philipps Hand. „Ich werde Euch niemals enttäuschen, mein König.“
Von nun an verbrachte Philipp mehr Zeit als üblich auf dem Fechtboden, doch mit Ruys tatkräftiger Unterstützung schaffte er es, die Aktenberge in seinem Arbeitszimmer nicht zu vernachlässigen. An einem schon angenehm warmen Frühlingsmorgen jedoch schien Ruy seltsam abgelenkt zu sein. Als Philipp ihn zum dritten Mal angesprochen und immer noch keine Antwort bekommen hatte, beugte er sich zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ruy, was ist los mit dir?“
Ruy sah zu ihm auf und stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. „Dorotea kommt!“
„Wer ist...“ Er begriff. „Oh mein Gott, du Ärmster! Wann denn?“
„Morgen schon!“
„Morgen? Da muss ich dann wohl ganz dringend nach… Granada. Oder so.“
„Vielen Dank für deine tatkräftige Unterstützung, Philipp!“ Ruys Bemerkung triefte nur so vor Ironie.
Philipp versuchte sich zu verteidigen: „Aber diese Frau ist...“
„Fürch-ter-lich!“ Die Freunde sahen sich an und verstanden sich.
„Freut Ana sich denn wenigstens auf ihre Mutter?“ fragte Philipp.
„Na ja, immerhin haben sie sich einige Zeit nicht gesehen, aber sie freut sich wohl eher auf ihren Vater.“
„Don Diego wird auch kommen?“
„Gott sei Dank! Wenigstens ein Mendoza, der mich nicht für eine Schande der Familie hält.“ Ruy stützte den Kopf in die Hände. Er schien wirklich verzweifelt zu sein.
Philipp überlegte kurz. „Falls du es möchtest, könnte ich ja ganz zufällig genau dann in eurem Haus auftauchen, wenn Dorotea eingetroffen ist. Dann wird der Abend für dich vielleicht etwas erträglicher.“
„Oh ja, bitte!“ Ruys Gesicht hatte sich schlagartig aufgehellt. „Allein kann ich diesem Drachen nicht standhalten, fürchte ich.“
„Gut, abgemacht; dann gehst du jetzt am besten nach Hause und widmest dich den Vorbereitungen für Doroteas Besuch. Du kannst dich heute ohnehin nicht mehr konzentrieren.“
„Bis dann...“ Ruys Seufzer versprach nichts Gutes.
Am nächsten Tag traf gegen Mittag der Tross der Mendozas ein. Ana fiel – ein geschicktes Ablenkungsmanöver – zuerst ihrer Mutter um den Hals, während Diego seinen Schwiegersohn freundlich begrüßte, was Balsam für Ruys Selbstbewusstsein war. Dann musste auch er Dorotea gegenübertreten .
„Ich grüße Euch, Don Ruy“, sagte sie kalt, während sie ihren Blick über die Fassade des Eboli’schen Stadthauses schweifen ließ. „Das Haus ist kleiner, als ich erwartet hatte. Einem Günstling des Königs hätte etwas mehr Prunk doch wohl zugestanden.“
Mühsam beherrscht erwiderte Ruy: „Wie mein König schätze auch ich die Einfachheit, Doña Dorotea. Ich finde dieses Haus durchaus angemessen.“
„Ich denke, wir sollten erst einmal hineingehen“, lenkte Ana ab. Sie führte ihre Mutter ins Haus, während Don Diego und Ruy ihnen langsam folgten. Diego beugte sich zu seinem Schwiegersohn und sagte leise: „Ich wollte es in Gegenwart meiner Frau nicht so deutlich sagen, aber offensichtlich habt Ihr meine Tochter sehr glücklich gemacht. Ich hoffe, Ihr wisst, dass ich über die Angemessenheit dieser Heirat immer anders gedacht habe als Dorotea.“
„Wofür ich Euch sehr dankbar bin, Don Diego.“ Ruys Gesicht zeigte, wie ernst er seine Worte meinte.
„Meint Ihr nicht, dass es an der Zeit ist, die Förmlichkeiten aufzugeben?“ fragte der alte Edelmann. „Nenn mich Diego.“
„Gern – ich heiße Ruy.“ Das war natürlich die dümmste Antwort, die er geben konnte, doch Diego sah ihn nur lächelnd an und bemerkte: „Ich weiß.“
Nachdem Ana ihren Eltern das Haus gezeigt und Dorotea sämtliche Räume begutachtet und – meist nörgelnd – kommentiert hatte, begab sich die Familie in den Speisesaal. Kurz darauf wurde Ruy, der wie auf Kohlen saß, endlich erlöst: Ein Diener meldete den König, was hektische Betriebsamkeit bei Dorotea auslöste, die ihr Dekolleté auf ausreichende Tiefe kontrollierte. Ihr Mann quittierte ihre Bemühungen mit müdem Lächeln.
Als Philipp schließlich durch die Tür trat, verschlug es sogar Ana für einen Moment die Sprache. Der König trug zu seinem dunkelblauen Wams schwarze Stiefel und einen weiten schwarzen Umhang, was ihm etwas ungemein Verwegenes gab. Seine blauen Augen funkelten im Licht der Kerzen, die den Speisesaal erhellten, und auf seinem Gesicht stand ein jungenhaftes, breites Lächeln.
In etwas zu überschwänglichem Ton rief der König: „Doña Dorotea, wie ich mich freue, dass Ihr uns mit Eurem Besuch beehrt!“ Während die Angesprochene vor Begeisterung fast in Ohnmacht fiel, wandte Philipp sich Ana zu. „Doña Ana, Ihr wart nie schöner als an diesem Abend.“ Er reichte Diego die Hand. „Es ist immer eine Freude, Euch zu treffen, mein Freund.“
Ana war über das Kompliment, das er ihr gemacht hatte, gegen ihren Willen errötet, doch ehe sie oder Diego irgendetwas erwidern konnten, schrillte Doroteas Stimme durch den Raum. „Oh mein König, die Zeit ist schmeichelhafter mit Euch umgegangen als mit mir!“
Ana warf Philipp einen warnenden Blick zu, da sie genau wusste, welche Antwort ihm auf der Zunge lag, und ihr zuliebe beherrschte er sich. „Ihr übertreibt, meine Liebe! Eure Schönheit ist nach wie vor unübertroffen in Kastilien.“
„Dürfen wir den Grund Eures Kommens erfahren, mein König?“ fragte Ana und betonte „mein“ gerade so viel, dass Philipp verstand, was sie meinte.
Er setzte sich neben sie und warf dem immer noch hinter ihm stehenden Diener mit gekonntem Schwung seinen Umhang zu. „Was könnte ein triftigerer Grund sein als der Besuch Eurer Eltern?“
Ana unterdrückte ihrer Mutter zuliebe eine kokette Antwort. „Würdet Ihr uns dann die Freude machen, uns beim Abendessen Gesellschaft zu leisten?“
Dorotea beugte sich vertraulich zu ihm herüber. „Wir würden uns sehr geehrt fühlen, mein König.“
Philipp fühlte sich nicht geehrt, sondern etwas bedrängt und fürchtete schon, ein wenig zu viel Charme aufgewandt zu haben, doch um Ruys willen spielte er weiter und fand sogar Spaß daran, Dorotea mit gezielten Bemerkungen immer wieder an den Rand der Ekstase zu treiben. Ruy konnte aufatmen, denn für den Rest des Abends hatte seine Schwiegermutter nur noch Augen für den König. So blieb er von weiteren Spitzen verschont und konnte sich einer ungestörten Unterhaltung mit Don Diego widmen. Kurz vor Mitternacht verabschiedete Philipp sich schließlich, und Ruys Blick zeigte deutlich, dass sein Freund sich an diesem Abend seine ewige Dankbarkeit erworben hatte.
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