Einige Tage später saß Ruy wieder einmal in Philipps Arbeitszimmer, was ihm eine willkommene Gelegenheit lieferte, sich nicht in der Nähe seiner Schwiegermutter aufhalten zu müssen. Dorotea ihrerseits nutzte die Chance, ein „Gespräch unter Frauen“ mit ihrer Tochter zu führen. Sie klopfte einladend neben sich auf die Ottomane, auf der sie sich niedergelassen hatte. „Setz dich zu mir, Ana, ich möchte dich etwas fragen.“ Ana beschlich ein ungutes Gefühl, das sich sofort bestätigte, als Dorotea zur Sache kam. „Ich wollte gerne von dir wissen, wann du mir ein Enkelkind zu schenken gedenkst.“
Ihre Tochter schluckte und versuchte Zeit zu gewinnen. „Nun ja...“
Dorotea hörte ihr überhaupt nicht zu. „Es liegt bestimmt an deinem Ehemann, dass du noch nicht schwanger bist. Ich habe dir gleich gesagt: Heirate keinen Portugiesen!“
„Was hat denn das damit zu tun?“ fragte Ana gereizt.
„Gómez sollte sich ein Beispiel an seinem König nehmen“, kam die Antwort. „Philipp hat schon seit Jahren einen Thronfolger.“
„Erstens hat mein Mann auch einen Vornamen, zweitens weißt du genau, wie es um Don Carlos‘ geistige Gesundheit steht, und drittens – wenn ich dich darauf aufmerksam machen darf – ist der König ebenfalls Portugiese, jedenfalls mütterlicherseits!“ Ana spürte, wie die Wut in ihr hoch kochte.
Für einen Moment war Dorotea ausmanövriert, doch dann stellte sie unbeirrt fest: „Trotzdem möchte ich in absehbarer Zeit einen Enkel im Arm halten können!“
Anas Widerspruchsgeist war geweckt. „Und wenn nicht?“
„Was willst du damit sagen?“ fragte ihre Mutter mit schriller Stimme.
„Dass du dich nicht in unsere Familienplanung einmischen solltest, Mutter!“
„Ana, sei ehrlich zu mir.“ Doroteas dunkle Augen nahmen einen geradezu tückischen Ausdruck an. „Du sagst das alles doch hoffentlich nicht nur, um vor mir zu verbergen, dass Gómez, also Don Ruy, nicht... Du weißt, was ich meine.“
Ana begriff, und im selben Moment ging die Wut mit ihr durch. „Mein Mann ist nicht impotent!“ rief sie so laut, dass selbst Don Diego in der Bibliothek es hören konnte.
„Entschuldige. Das ging wohl zu weit.“ Dorotea senkte den Blick.
„In der Tat, Mutter!“ Langsam beruhigte sich Ana wieder. „Ich verstehe deine Besorgnis, aber dies ist eine Angelegenheit, die nur meinen Mann und mich etwas angeht.“
„Ich wollte auch nur...“
„Ich weiß“, unterbrach ihre Tochter sie, „und wenn ich deinen Rat brauche, werde ich dich auch darum bitten.“
Dorotea wirkte etwas zerknirscht. „Verzeih meine unangebrachte Neugier.“
Ana brachte ein angespanntes Lächeln zustande. „Dieses eine Mal noch. Abgesehen davon bin ich im vierten Monat schwanger.“ Sie hatte tagelang überlegt, wie sie es ihrer Mutter beibringen sollte, und nie damit gerechnet, dass sie es so kühl, fast unbeteiligt sagen würde, doch die Frechheit, die Dorotea sich herausgenommen hatte, machte sie immer noch wütend.
Dorotea wäre fast von der Ottomane aufgesprungen. „Was? Ist das wahr? Und das sagst du mir jetzt?“ rief sie entgeistert.
„Du hast mir während eures Besuchs bisher kaum eine Chance eingeräumt, es dir auf angemessenere Weise mitzuteilen“, sagte Ana trocken. „Und natürlich ist es wahr.“
Ihre Mutter schien zu begreifen, dass sie einen Fehler gemacht hatte. „Entschuldige bitte. Das war eine dumme Frage.“
„Ja.“
Einige Minuten sagten beide nichts. Dann ließ sich Dorotea kleinlaut vernehmen: „Wirst du ihn in unserer Schlosskapelle taufen lassen?“
Ana brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, von wem sie sprach. „Vielleicht wird es auch eine Tochter, hast du diese Möglichkeit in Betracht gezogen?“
„Auch dann würdest du uns eine Freude machen, wenn unser Kaplan sie taufen dürfte.“
Ana überlegte. „Ruy wird sicher nichts dagegen haben.“ Dessen war sie sich überhaupt nicht sicher, aber der bittende Gesichtsausdruck ihrer Mutter machte ihr klar, wie wichtig diese Angelegenheit für sie zu sein schien.
Dorotea atmete auf. „Wenn du während der Schwangerschaft einen Rat oder Hilfe brauchst, mein Kind, komm ruhig zu mir.“
„Sicher.“ Das Lächeln, das Ana aufsetzte, wirkte sogar echt.
Obwohl Philipp bereits mit Elisabeth von Valois vermählt worden war – bei der Trauung in Paris hatte Herzog Alba seine Stelle eingenommen - und sich die französische Prinzessin auf dem Weg nach Spanien befand, genoss er seine Affäre mit Eufrasia de Guzmán weiterhin in vollen Zügen. Die junge Frau war für seine Lektionen auf dem Gebiet der körperlichen Liebe sehr aufgeschlossen und erwies sich als gute Schülerin, und Philipp fand nach vielen anstrengenden Tagen am Schreibtisch Entspannung in ihren Armen.
Auch an diesem Abend hatten sie sich leidenschaftlich geliebt, und Philipp lehnte erschöpft in den Kissen seines Bettes und trank zum wiederholten Male einen Schluck Wein, während Eufrasia neben ihm lag und ihn selig ansah. Seine Blicke glitten bewundernd über den makellosen Körper seiner Geliebten, und da ihm der Wein langsam zu Kopf zu steigen begann, erlaubte er sich entgegen seiner sonstigen Gewohnheit ein etwas selbstgefälliges Lächeln und die Frage: „Na, wie war ich, Kleines?“
Eufrasias Lächeln bekam einen verschwörerischen Zug, und sie antwortete leise: „Deine Manneskraft ist eines Königs würdig.“
Philipp, der auf eine solche unfreiwillig komische Bemerkung nicht gefasst gewesen war, musste einen Lachanfall unterdrücken und gleichzeitig versuchen, seinen Wein dabei nicht wieder auszuspucken. „Keine Frau macht Komplimente wie du!“ stellte er fest, als er sich wieder gefangen hatte. Eufrasia schmiegte sich glücklich an ihn und streichelte seine Brust. „Schmeichle mir...“ flüsterte er in ihr Ohr.
Sie drehte sich langsam auf den Rücken und sah ihn an. „Du bist der beste Liebhaber in Spanien.“
„Das ist keine Schmeichelei, das ist wahr“, bemerkte Philipp. „Weiter.“
„Du bist der König der Welt!“
Philipp grinste. „Na ja, fast... Weiter.“
„Du bist der Mann meines Lebens“, sagte sie sanft.
Philipp gelang es, keine Miene zu verziehen, obwohl er innerlich erschrak. Hatte sich Eufrasia etwa in ihn verliebt? Er hatte nie daran gedacht, dass diese Affäre solche Folgen zeitigen könnte – doch der Blick, mit dem sie ihn ansah und die zärtlichen Worte, die sie ihm zuflüsterte, wenn sie sich liebten, ließen kaum einen anderen Schluss zu... Entschlossen schob er diesen Gedanken beiseite. Mit der Zeit würde er eine Lösung für dieses Problem finden; jetzt wollte er sich seine Stunden mit ihr nicht verderben lassen. Er stellte das Weinglas ab und nahm seine Geliebte in die Arme. „Mir würde es schon reichen, der Herrscher über deine Nächte zu sein“, sagte er leise. Eufrasias Antwort war ein leidenschaftlicher Kuss.
Im Januar des Jahres 1560 war es dann endlich soweit: Spaniens neue Königin, die französische Prinzessin Elisabeth, traf im Land ein. Philipp war seiner jungen Frau bis nach Guadalajara entgegengereist und erwartete nun unter einem reich verzierten Baldachin ihre Ankunft. Er war umgeben von allem, was in Spanien Rang und Namen hatte, und der düstere Prunk, den sein Hof entfaltete, war durchaus dazu angetan, einen Neuankömmling in Ehrfurcht erstarren zu lassen. Die alles dominierende Farbe war schwarz, und der würdevoll-versteinerte Gesichtsausdruck der Granden, die sich um ihren König versammelt hatten, tat nichts dazu, die Düsternis ihrer Kleidung aufzuhellen.
Philipp war bewusst, dass die Schlichtheit, die die gleichmäßig schwarze Kleidung suggerierte, gespielt war. Sein Vater hatte diese Kleiderordnung zu seiner Regierungszeit durchgesetzt, als er am spanischen Hof das burgundische Hofprotokoll seiner Großmutter Maria eingeführt hatte, doch schon zu den Zeiten Karls V. war eine klaffende Lücke zwischen der höfischen und der privaten Kleidung der Adligen entstanden. Kein Hofprotokoll würde Kastiliens Edelleute auf ihren Schlössern und Herrensitzen je vom Zurschaustellen prunkvoller Stoffe und teurer Schmuckstücke abhalten, dachte Philipp resigniert... Er selbst hielt sich nicht nur aus Verehrung für seinen Vater an die burgundischen Kleidungsvorschriften, sondern auch, weil er deren Einfachheit schätzte. Doch in diesem Augenblick war er etwas besorgt, ob die französische Prinzessin, die die helle, fröhliche, verschwendungssüchtige Atmosphäre des Pariser Hofes der Valois gewöhnt war, vom Anblick ihres künftigen Gatten nicht eingeschüchtert werden würde.
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