Philipp stand geräuschlos von seinem Stuhl auf, trat in die Schlafzimmertür und räusperte sich leise. Das Geräusch ließ die junge Frau erschreckt herumfahren. Sie sah ihn mit kaum verborgener Angst an und wartete, dass er sprechen würde; durch sein Schweigen verunsichert, fragte sie schließlich: „Seid Ihr sicher, dass...“
Philipp ließ sie nicht ausreden, sondern zog sie an sich und küsste sie. Sie erwiderte seine Zärtlichkeiten mit großer Leidenschaft, aber er spürte dennoch ihre Unsicherheit und begriff mit einem Mal, dass er ihr erster Mann sein würde. Gemeinsam sanken sie auf sein Bett, und in den nächsten Stunden tat Philipp alles, um Eufrasia ihren gewagten Entschluss nicht bereuen zu lassen.
Seit ihrer Hochzeit waren Ana und Ruy ständig unterwegs, denn Ruy hatte von Philipp nicht nur Ländereien in Italien und den Titel eines Fürsten von Eboli, sondern auch ein großes Landgut bei Pastrana und den dazugehörigen Herzogstitel als Ehrung erhalten, und der König hatte ihm auch das Geld zum Bau eines großzügigen Familiensitzes geschenkt. Doch da Ruy sich häufig in Toledo oder Valladolid am Hof einfinden musste, ging erstens der Bau meist ohne ihn voran und kam zweitens das Landleben, das er so gern genossen hätte, etwas zu kurz.
Ana fühlte sich bei Hofe durchaus wohl, doch sie verbrachte nach wie vor viel Zeit zuhause im Familienschloss der Mendozas, denn nach einigen Tagen in den Hauptstädten des Reiches oder in Pastrana vermisste sie stets ihre Fechtlektionen mit Marinelli. Sie hatte oft erwogen, ihren Vater zu bitten, den Italiener aus seinen Diensten zu entlassen und ihr damit die Möglichkeit zu geben, ihn nach Pastrana zu holen, aber sie wusste, wie sehr Diego de Mendoza nicht nur Marinellis professionelles Können, sondern auch seine Intelligenz und Bildung schätzte, die ihn zu einem angenehmeren Gesprächspartner machten als die zwar nicht ungebildete, aber doch eher profaneren Dingen als Ovid und Vergil zugewandte Dorotea.
So kam es für Ana überraschend, als Marinelli sie eher beiläufig während der Waffenkontrolle nach einer Fechtstunde fragte: „Für wie gut haltet Ihr mich, Doña Ana? Als Fechter, meine ich.“
Ana legte verwundert den Degen beiseite, den sie in der Hand hielt. „Ich glaube nicht, dass ich Euer Können fachmännisch beurteilen kann, Luigi. Für mich seid Ihr der beste Fechter der Welt!“
Marinelli runzelte die Stirn. „Meint Ihr, ich könnte einen König unterrichten?“
Auf Anas Züge trat ein verstehendes Lächeln. „Daher weht der Wind, Ihr möchtet an den Hof! Glaubt Ihr denn, dass mein Vater Euch gehen lässt?“
„Nun ja, ich habe mir neulich ein Herz gefasst und mit ihm über meinen Wunsch gesprochen, und nachdem ich meine gesamte Überredungskunst aufgeboten hatte, hat er mir erlaubt, in König Philipps Dienste zu treten. Vorausgesetzt, der König will mich einstellen.“
Er zögerte, doch Ana sah ihm an, dass er noch etwas auf dem Herzen hatte. „Und?“ fragte sie nachdrücklich. „Ihr wollt mich bitten, am Hof ein gutes Wort für Euch einzulegen, nicht wahr?“
Marinelli grinste erleichtert. „Ihr habt es erraten, Señora.“
„Warum so schüchtern, Luigi? Ihr wisst doch, dass ich das gern für Euch tun werde. Ich nutze die erste Gelegenheit, um Euch Philipp zu empfehlen, versprochen!“
Ana hielt Wort. Sobald sie nach Toledo zurückgekehrt war und ihr Reisegepäck in Ruys Stadthaus untergebracht hatte, suchte sie den Alcázar auf und betrat Philipps Gemächer. Anders als sonst an Nachmittagen war er nicht in seinem Arbeitszimmer anzutreffen, sondern spazierte in Gedanken versunken auf der Galerie des Innenhofes auf und ab, die von grazilen maurischen Bögen getragen wurde und dem wuchtigen Äußeren des Alcázar so gar nicht entsprach.
Philipp schrak aus seinem Gedanken auf, als Ana ihn ansprach. „Gar nicht bei der Arbeit, mein König?“
Der unwillige Gesichtsausdruck wurde zu einem erfreuten Lächeln, als Philipp erkannte, wer ihn gestört hatte. „Oh, ich arbeite unablässig, Doña Ana! Gerade habe ich eine Antwort auf die Protestnote des französischen Gesandten entworfen, der sich darüber beschwert, dass ich die ketzerische Königin von England so offen unterstütze.“
„Ihr habt weder Feder noch Papier noch einen Schreiber bei Euch, um die Antwort zu verfassen. Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht eher einen kleinen Spaziergang gemacht habt?“ fragte Ana lächelnd.
„Ich pflege über meine Worte gründlich nachzudenken, bevor ich sie zu Papier bringe. Nicht umsonst genieße ich den Ruf, äußerst langsam zu sein, was das Abfassen von Depeschen und ihre Versendung angeht.“
„Es freut mich, dass Ihr auf dem Thron noch die Selbstironie besitzt, die Ihr als Infant hattet“, sagte Ana, während sie überlegte, wie sie das Gespräch ohne einen allzu abrupten Übergang auf Marinellis Anliegen bringen könnte.
„Seid Ihr nur gekommen, um das herauszufinden, oder kann ich Euch bei etwas anderem behilflich sein?“ fragte Philipp, als hätte er ihr Dilemma geahnt.
Ana zögerte zum Schein einige Sekunden, bevor sie antwortete: „Ja, vielleicht... Wie zufrieden seid Ihr eigentlich mit Eurem derzeitigen Fechtmeister, mein König?“
Philipp ließ ein unwilliges Knurren hören. „Ich glaube, ganz Kastilien weiß, dass Don Pedro de Riveira ein Stümper ist, oder? Mein Vater hat ihn eingestellt, weil er ein Günstling Herzog Albas ist, und ich behalte ihn aus Pietät gegenüber dem verstorbenen Kaiser in meinen Diensten, aber er ist schlicht und einfach ein Haudegen, der von wirklicher Fechtkunst nichts versteht, wenn Ihr mich fragt. Kein Vergleich zu seinen Vorgängern!“
Ana beschloss, auf Philipps Stimmung einzugehen und einen direkten Angriff zu führen. „Habt Ihr jemals von Luigi di Marinelli gehört?“
„Nein, müsste ich?“
„Nun, erstens ist er Euch bei Eurem Besuch auf dem Schloss meiner Eltern damals vorgestellt worden, aber ich verzeihe Euch, dass Euer Namensgedächtnis mitunter an Überforderung leidet.“ Sie lächelte maliziös, als sie Philipps entnervten Blick sah, der so viel besagte wie „Doña Ana, ich regiere die halbe Welt, da kann ich mir nicht jeden einzelnen Namen merken, den ich höre“. Rasch fuhr sie fort: „Aber zweitens ist er auch der Fechtmeister meiner Familie, der sich überglücklich schätzen würde, seine bescheidenen Fähigkeiten – die meiner Meinung nach gar nicht so bescheiden sind – in die Dienste des Königs stellen zu dürfen.“
Philipp zögerte kurz. Dann fragte er: „Luigi di Marinelli – aus welcher Gegend Italiens stammt der Mann?“
„Er kommt aus Mondragone bei Neapel. Angeblich hat er schon mit fünfzehn Jahren die besten Fechter Italiens besiegt.“
„Neapel? Ihr empfehlt mir allen Ernstes einen Neapolitaner als Fechtmeister?“
„Warum nicht?“
„Habt Ihr vergessen, dass es noch vor wenigen Jahren in Neapel fast einen Aufstand gegen die spanische Herrschaft gegeben hätte? Wer garantiert mir, dass dieser Marinelli nicht eines Tages auf die Idee kommt, eine nicht abgestumpfte Waffe zu benutzen und mich aufzuspießen?“
Ana verschlug es vor Überraschung für einige Sekunden die Sprache. „Ihr... Das glaube ich einfach nicht! Luigi – ich meine, Signor di Marinelli hat jahrelang in unserem Haus gelebt und meinem Vater, einem der bedeutendsten Adligen Spaniens, Fechtunterricht erteilt. Er hätte tausendmal die Gelegenheit gehabt, meinen Vater umzubringen, wenn er wirklich einen solchen Hass auf die Spanier hätte, wie Ihr ihm unterstellt! Warum seid Ihr nur so misstrauisch?“
Philipps Züge wurden von einer Sekunde auf die andere hart. „Weil ich dieses Reich nicht als Toter regieren kann, Doña Ana. Und weil es zu viele Menschen auf dieser Welt gibt, die mir einen qualvollen Tod wünschen.“
Sie spürte, dass hier mit ihm nicht weiter zu reden war. In versöhnlichem Ton sagte sie deshalb: „Aber meint Ihr wirklich, ich würde Euch Marinelli empfehlen, wenn ich dächte, dass er eine Gefahr für Euch sein könnte? Gebt ihm eine Chance, mein König: Lasst ihn Euch in meinem Beisein eine Probestunde geben. Ich verbürge mich mit meinem Leben für seine Vertrauenswürdigkeit.“
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