Das wusste ich natürlich, aber meine Nerven lagen nun mal blank. Nach all dem Mist, brach ich nun in Tränen aus. Der Schmerz, den ich die ganze Zeit verdrängt hatte, kam nun mit voller Wucht an.
„Scheiße Nina, so war das nicht gemeint.“
Daniel zog mich aus dem Wagen heraus und nahm mich in den Arm. Seine Wachsjacke fühlte sich unangenehm kalt und nass an und doch tat es gut, dass mein alter Jugendfreund mich fest im Arm hielt und ich an seiner Schulter Rotz und Wasser heulen konnte.
„Was ein beschissener Tag“, schniefte ich und löste mich langsam aus Daniels Umarmung.
„Komm, ich nehme dich mit ins Dorf und liefere dich bei deinen Eltern ab.“
Auf der Straße stand der große Range Rover, den Daniel schon lange besaß.
„Könntest du vielleicht mein Gepäck noch…?“
„Steig schon einmal ins Auto ein, ich kümmere mich darum.“
Auf zittrigen Beinen ging ich zu Daniels Auto und stieg ein. Der Motor lief noch und es war mollig warm. Erst jetzt bemerkte ich, dass die kurze Zeit draußen ganz schön kalt gewesen war.
Der Kofferraum wurde geöffnet und die ersten zwei Koffer wurden von Daniel hineingehoben.
„Puh, was schleppst du denn so viel Gepäck mit? Man könnte meinen du würdest hierher ziehen.“ Er grinste mich über die Koffer hinweg von hinten an.
Ich hatte mich auf dem Sitz nach hinten gedreht und spielte nun mit einer Haarsträhne.
„Hups, du scheinst wirklich hierher zu ziehen?“
Auch wenn ich schon einige Jahre nicht mehr hier wohnte, so kannte er die Geste noch von früher. Immer wenn er mit einer Vermutung richtig lag, fing ich unbeholfen an, mit meinem Haar zu spielen. Sogar, als ich die Haare mal rappelkurz gehabt hatte, war dieser Tick nicht verschwunden.
„Ich frage jetzt lieber nicht weiter nach.“
Ich war wirklich froh, dass mich Daniel hier draußen gefunden hatte. Nachdem er das letzte Gepäckstück in seinem Auto verstaut hatte, fuhren wir schweigend zum Dorf. Wie ich es von früher her kannte, war die große Tanne schon geschmückt und das goldene Licht im weißen Schneefall sah einfach traumhaft aus.
Daniel hielt vor dem kleinen Fachwerkhaus meiner Eltern an und ging gleich ans Heck, um die Koffer auszuladen. Während ich noch auf das Haus zuging, wurde schon die Haustür aufgerissen und meine Mutter kam mir entgegen.
„Schatz, wir haben uns schon Sorgen gemacht. Und warum bist du mit Daniel hier? Wo ist dein Auto?“
Hatte sie heute Mittag keine Fragen gestellt, so prasselten diese jetzt auf mich ein.
„Mara, lass unsere Tochter doch erst einmal reinkommen.“
Mein Vater trat an uns heran und nahm mich in den Arm. „Willkommen zu Hause mein Kind.“
Auch mit 25 Jahren war ich immer noch ihr kleines Mädchen. Während mich mein Vater zusammen mit meiner Mutter ins Haus schob, half er Daniel dabei, die Koffer auszuladen.
„Danke Daniel. Möchtest du noch mit reinkommen und dich aufwärmen?“
„Nein Danke Helmut. Ich werde Ninas Auto noch aus dem Graben ziehen, danach müssen meine Tiere versorgt werden.“
Ich trat noch einmal in den Flur, um mich bei Daniel zu bedanken. „Ohne dich wäre das heute ein langer kalter Weg geworden.“ Ich umarmte ihn und ging dann wieder mit meiner Mutter in die Wohnstube. Meine Eltern hatten das Fachwerkhaus vor einigen Jahren gekauft und liebevoll renoviert. Ich würde mein altes Zimmer beziehen. Auf Dauer war das nichts, aber für den Übergang sicher die beste Lösung.
„So Nina. Nun erzähl uns doch bitte was vorgefallen ist.“ Meine Eltern setzten sich zu mir auf die große kuschelige Couchgarnitur und warteten ab, dass ich ihnen die Geschichte erzählte.
Nach einigen Tassen heißer Schokolade und einem kleinen Imbiss später, hatte ich alles meinen Eltern erzählt. Wie ich es von ihnen gewohnt war, hielten sich beide zurück. Weder konnte ich mir anhören, dass sie sich das gleich gedacht hatten, noch schimpften sie über Jan.
„Es ist schon spät und ich bin hundemüde. Ich werde mal ins Bett verschwinden.“ Ich gähnte herzhaft. Ich gab meinen Eltern einen Kuss auf die Wange und verschwand in mein altes Kinderzimmer. Zum Glück gab es ein kleines Bad, was nur mir gehörte. Nachdem ich mich fertig gemacht hatte und im Bett lag, rasten meine Gedanken. Was war das nur für ein beschissener Tag gewesen. Wieso war mir früher nicht aufgefallen, dass Jan nicht zu mir stehen würde? Wie konnte ich nur so blind gewesen sein?
Obwohl ich total müde war, konnte ich lange nicht einschlafen, denn die Bilder spulten sich immer und immer wieder in meinem Kopf ab. Leise vor mich hinweinend fiel ich irgendwann in einen unruhigen Schlaf.
E
in dumpfes Geräusch riss mich aus meinem Schlaf. Verwirrt rieb ich mir meine verquollenen Augen. Da, schon wieder das Geräusch. Ich quälte mich aus dem Bett und ging zum Fenster. Irgendjemand warf Schneebälle gegen eben dieses. Ich öffnete einen Fensterladen und stecke den Kopf hinaus.
Nicht nur die Kälte traf mich mit voller Wucht, sondern auch der nächste Schneeball traf mich direkt in mein Gesicht.
„Verdammt, was soll das?“, brüllte ich wutentbrannt aus dem Fenster.
„Ahhh, endlich bist du wach. Wurde aber auch mal Zeit.“
Die Stimme kannte ich. Sogar zu gut. „Judith?“
„Wer denn sonst. Zieh dich an und schwing deinen Hintern hier raus. Es ist so ein geiles Winterwetter und die Hunde wollen eine Runde laufen.“
Verwirrt blickte ich nun nach unten und sah meine beste Freundin aus Kindheitstagen dort stehen. „Was habe ich damit zu tun, dass die Hunde laufen wollen?“
„Na, weil du mitkommst. Du kannst vergessen, dass du dich vergräbst. Also rein in deine Winterklamotten und ab mit mir ins Feld.“
„Du hast echt einen Vollschatten“, brummte ich und schloss das Fenster. Mühsam schälte ich mich aus meinen Lieblings-Nachtshirt und zog mir meine dicken Klamotten an. Mein Blick fiel auf den Rock und die Bluse, die über der Stuhllehne hingen und ich gestern noch getragen hatte. Das konnte ich nachher ganz nach hinten in den Schrank verbannen. Wann und wo sollte ich das jetzt noch anziehen?
Das Bellen von Judiths Hunden riss mich aus meinen Gedanken und ich schoss die Treppe nach unten. Wieviel Uhr war es eigentlich? Als ich an der Küche vorbeikam, hielt mir meine Mutter schon einen Thermobecher entgegen.
„Ich habe mir schon gedacht, dass dich Judith aus dem Bett werfen würde. Hier einen Kaffee mit viel Milch, so wie du ihn magst. Und dann wünsche ich euch beiden ganz viel Spaß da draußen.“
Ich schlüpfte in meine dicken Winterstiefel, zog Mütze, Schal und Handschuhe an und nahm dann, bevor ich vor die Haustür trat, einen großen Schluck von meinem Kaffee. Mmmh lecker. Meine Mutter hatte auch noch an die zwei Zuckerwürfel gedacht, die ich in meinem Kaffee unbedingt brauchte.
Dann trat ich vor die Haustür, wo mich Judith und die Hunde stürmisch begrüßten. Das ich da nicht die Kaffeetasse verlor, grenzte an ein Wunder. Denn normalerweise, war ich für alle Pannen prädestiniert.
„Soho Süße. Nun erzähl mir, was dieser Arsch dir angetan hat. Aber erstmal gibt mir einen Schluck von deinem Kaffee ab.“
Während wir nun durch die verschneiten Felder und Wiesen stapften, die Hunde um uns herum tollten, schüttete ich Judith mein Herz aus.
„Was ein Arschloch.“
„Ich kann ihm noch nicht mal einen Vorwurf machen. Letztendlich, was will so ein reicher Mann mit so einer kleinen Dorfmaus.“
„Was ein Quatsch Nina. Wenn man jemanden liebt, ist es egal, welchen Stand er hat.“
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