„Wollen wir nicht nochmal über…“
„Wie oft noch?“, unterbrach ich ihn. „Wirklich, lass es gut sein.“
„Das hab ich nicht gewollt.“ Er zog den Kopf ein und ging weg.
Ich drehte mich zu dem Haufen an Koffern um und wäre am liebsten jetzt schon verzweifelt darauf heulend zusammengebrochen. Ein Räuspern riss mich zum Glück aus dieser Schmach.
„Frau Sandner, wenn ich Ihnen behilflich sein darf?“ F-P hatte mich also nicht verlassen.
„Würden Sie das wirklich? Ich meine, nach dem Desaster am Freitagabend…“
„Das war doch kein Desaster. Und nun lassen Sie mich die Koffer einpacken, dann müssen Sie nicht länger hier in der Kälte stehen.“
Geschickt und wirklich schnell, ließ der Portier die Koffer in den kleinen Corsa verschwinden. Kofferraum, und Rücksitzbank waren allerdings voll beladen. Aber es passte wirklich alles hinein.
„Vielen, vielen Dank!“
„Nichts zu danken. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Fahrt und fahren Sie bitte vorsichtig.“
Ich wusste nicht was mich antrieb, aber ich musste F-P umarmen. Als ich ihm noch einen dicken Schmatzer auf die Wange drückte, war es ihm sichtlich unangenehm.
„Und Sie, bleiben so wie Sie sind. Auch wenn Sie ein wenig zugeknöpft herüberkommen.“ Ich grinste nun wieder. Dann schwang ich mich hinter das Lenkrad und fuhr in den Sonntagsverkehr von München hinaus. Hier würden mich jetzt keine zehn Pferde mehr halten. Nun ging es also doch wieder in die Heimat.
Ich fädelte mich auf die Autobahn ein und nachdem ich meine Reisegeschwindigkeit erreicht hatte, wählte ich per Kurzwahltaste die Nummer meiner Eltern.
Natürlich hatte ich mein Handy in der Freisprecheinrichtung. Bei meinem Pech würde mich sonst sofort eine Polizeikontrolle erwischen.
„Sandner?“
„Hallo Mama, Nina hier.“
„Oh hallo Schatz. Alles in Ordnung? Ich hoffe, du möchtest jetzt nicht für Weihnachten absagen?“
„Nein Mama, ganz im Gegenteil. Ich bin auf dem Weg zu euch. Steht mein Zimmer noch frei?“
„Aber natürlich mein Schatz. Ich werde das Bett gleich frisch beziehen. Fahr bitte vorsichtig!“
„Danke Mama, du bist die Beste. Bis nachher.“
Meine Mutter war wirklich die Beste. Sie fragte nicht nach, was los war. Sicher ahnte sie es, aber sie war so taktvoll, gerade am Telefon nicht damit anzufangen.
Ich dreht das Radio lauter und gab Gas. Mit sagenhaften 100 km jagte ich über die Autobahn. Ich seufzte. Ich kroch natürlich und die Fahrt würde verdammt lange dauern.
I
ch versuchte, mich so geschickt als möglich zu strecken. Ich war jetzt 6 Stunden unterwegs und es war nicht mehr weit bis zu unserem kleinen Dorf.
Vor zwei Stunden hatte allerdings dichter Schneefall eingesetzt und ich kroch nun wirklich vor mich hin. Das letzte Stück der Strecke kannte ich zwar auswendig, trotzdem musste ich vorsichtig fahren. Mittlerweile lag eine dicke Schicht Schnee und wie erwartet, war hier bei uns im Hinterland kein Winterdienst unterwegs.
Die letzten Kilometer standen nun bevor. Diese musste ich den Berg hinauf schaffen, wo unser Dörfchen lag. Eigentlich musste ich es nicht schaffen, sondern mein armer altersschwacher Corsa. Bisher kämpfte er sich unermüdlich die kurvige Straße hinauf.
Ich konnte kaum noch die Hand vor Augen erkennen. Die Scheibenwischer arbeiteten unermüdlich und ohne mich hätte es mein Autochen sicher nach Hause geschafft. Aber ich saß immer noch hinter dem Lenkrad. Und das war fatal. Die letzte Kurve nahm ich zu euphorisch und Klein-Corsa kam ins Schlittern. Meine Winterreifen waren nicht mehr die Besten. Hatte ich den Wagen in München fast nie gebraucht, so wurde es mir nun zum Verhängnis. Hektisch bemüht, versuchte ich gegen zu lenken, doch der Wagen schob sich unermüdlich Richtung Graben.
Ein Ruck fuhr durch das Auto. Nun war ich also kurz vorm Ziel vom Weg abgekommen. Ich versuchte, nochmal Gas zu geben, aber der Motor heulte nur auf und die Räder drehten durch. Auch das Einlegen des Rückwärtsganges und schubweises Gasgeben halfen nicht. Ich saß im Graben fest.
Frustriert ließ ich meinen Kopf auf den Lenkrad herabsinken. Ich drehte den Zündschlüssel und der Motor verstummte. Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass es erst der Anfang einer Reihe von Pannen war. Denn eine Panne alleine gab es bei mir nicht. Ich saß nun einige Hundert Meter vom Dorf entfernt, mitten im Graben. Mit ein wenig Vorstellungskraft konnte ich sogar die Dächer durch das dicke Schneetreiben erkennen.
Ich nahm mein Handy aus der Halterung, um meine Eltern anzurufen. „Nein“, murmelte ich. Und dann lauter, „verdammt nochmal, das darf jetzt nicht wahr sein!“
Ich hatte genau an der einen einzigen Stelle meine Panne, an der kein Handynetz vorhanden war. Sozusagen ein Funkloch auf dem Berg. Genau an dieser Stelle war unser Bermudadreieck.
Somit blieb mir nichts anderes übrig, als das letzte Stück zu laufen. Oder wenigstens so weit, wie ich wieder Handyempfang hatte. Ich sah nicht gerade erfreut nach draußen in die dichten und großen Schnellflocken. Frau Holle gab jetzt wirklich alles und ich war mir sicher, da halfen noch ein paar Azubis mit.
Ich griff nach meinem Mantel auf dem Beifahrersitz, zwängte mich im Auto schon hinein und drückte gegen die Fahrertür. Ich drückte nochmal. Und noch einmal, bis ich mir eingestehen musste, dass die verdammte Tür nicht aufging.
Ich massierte mir die Schläfen und atmete ruhig ein und aus. Ich schob mich auf die Knie und Richtung Beifahrertür. Hoffentlich ging diese auf. Während ich im Vierfüßlerstand unbeholfen versuchte, die Tür zu öffnen, klopfte es. Ich bekam einen riesen Schreck, Bilder von Massenmördern mit Äxten in der Hand, abgetrennten Köpfen und ganz viel Blut, schossen mir Kinomäßig durch meinen eigenen Kopf. Ich schrie und bäumte mich auf. Als mein Kopf gegen den Himmel des Autodaches stieß, wurde mein Schrei zu einem Wimmern und Stöhnen. Während ich mir mit der linken Hand den Kopf hielt, riss ich mit der rechten Hand beherzt den Rückspiegel ab – der sowieso schon lose war – und drehte mich auf dem Sitz so gut es ging zum Klopfgeräusch hin.
Kampfbereit hielt ich den Spiegel in der Hand, als ich das Gesicht am Fahrerfenster sah. Mein Wimmern wurde wieder zu einem Schrei und vor lauter Angst schmiss ich den Rückspiegel – ich gebe zu, absolut gedankenlos – Richtung Seitenscheibe. Natürlich ging diese nicht zu Bruch, aber das Gesicht verschwand von der Scheibe. Draußen erklang ein Brüllen und nun wurde an der Fahrertür gerissen. Mein Schreien war in ein Jammern übergegangen und ich versuchte mich rückwärts über den Schaltknüppel Richtung Beifahrersitz zu schieben.
Die Fahrertür wurde nun aufgerissen, die Schneeflocken flogen sofort hinein und ich schmiss mich mit einem spitzen Schrei nach hinten. Schemenhaft sah ich die Gestalt näher kommen und trat zu.
„Verdammt noch mal, sind Sie verrückt?“, brüllte die Gestalt. „Wollen Sie mich kastrieren?“
Oh Mist, die Stimme kannte ich doch. Den Schmerz ignorierend und versucht, möglichst meine Stimme unter Kontrolle zu bekommen, fragte ich, „Daniel?“
Ein Kopf tauchte nun vorsichtig an der offenen Tür auf. „Nina, bist du das?“
„Ja“, gab ich kleinlaut zu.
„Wolltest du mich gerade entmannen, oder was war das für eine Aktion?“
Ich schämte mich jetzt wirklich. „Nein, aber als ich hier liegenblieb und dann das Klopfen … ach Menno, ich habe da an den Kopfmörder gedacht.“
Daniel schob sich nun weiter in mein Auto hinein und hielt mir die Hand hin. „Das sind Kindergeschichten gewesen. Du weißt doch, dass dies jedem Jugendlichen hier erzählt wurde – vor allen Dingen den Mädchen – damit sie nicht nachts unterwegs waren.“
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