Ich entschied mich, die Schlappen auszulassen und leise Richtung Eingang zu schleichen. Vielleicht hatte ich Glück und sie standen gerade mit dem Rücken zur Tür. Ich wagte mich also Richtung Aufzug, als ich in Höhe des Wohnzimmers durch die Stimme von Jans Mutter abgelenkt wurde.
„Ich bin wirklich schwer enttäuscht mein Sohn. Wir waren zum Brunch verabredet und nichts ist vorbereitet. Diese Frau hat einen sehr schlechten Einfluss auf dich.“
„Sybille, es tut mir leid“, hörte ich Jan sagen. Er nannte seine Mutter Sybille? Ich blieb stehen und musste dem Gespräch lauschen. Und der Spruch, der Lauscher an der Wand, hört seine eigene Schand, sollte nun mit voller Wucht über mich hereinbrechen.
„Warum warst du heute noch nicht in der Firma? Überhaupt die letzten Wochenenden hast du dich dort sehr rar gemacht!“ Sein Vater war anscheinend hierüber aufgebrachter, als dass wir – nö, nicht wir, sondern Jan – den Brunch vergessen hatten. Hätte ich davon gewusst, hätte ich mir doch einen Wecker gestellt. Aber alles hätte half jetzt nicht weiter.
„Nina wollte mit mir mehr Zeit verbringen. Gerade jetzt vor Weihnachten.“
„Sohn, da lässt du dir so schnell von ein paar dürren Beinen den Blick vernebeln? Die Firma wird dich ein Leben lang begleiten, diese Nina dagegen, wird sicher nicht lange an deiner Seite bleiben. Wenn eine Frau jetzt schon solche Einschnitte von dir verlangt, wird dass, wenn ihr länger zusammen seid, nicht besser werden. Junge, lass dich doch nicht von einer Frau so unterbuttern. Deine Mutter stand und steht immer hinter mir. So eine Frau brauchst du auch.“
„Aber ich liebe Nina, Heinrich.“
„Papperlapapp, das ist nur ein Strohfeuer. Sie sieht ganz hübsch aus, aber du brauchst, um weiter erfolgreich zu sein, eine ganz andere Art von Frau an deiner Seite. Sie wird dir nie den Rücken so frei halten, wie ich das bei deinem Vater tue. Aber deine Cousine wäre eine perfekte Kandidatin. Die habe ich übrigens zu Weihnachten zu uns eingeladen. Du wirst natürlich auch dabei sein. Eine Nina ist aber nicht vorgesehen.“
Ich hielt den Atem an. Das war ja wohl … mir fielen schon gar keine Wörter mehr dafür ein. Was bildeten sich seine Eltern eigentlich ein? Die ganze Situation war total grotesk. Jan sprach seine Eltern mit den Vornamen an, seine Eltern fanden mich beide total scheiße und Jan hatte sich bisher sehr zurück gehalten. Ich wartete also mit angehaltenem Atem, ob er nun endlich auf Gegenwehr gehen würde und mich verteidigen würde.
„Ich werde Nina auf keinen Fall in den Wind schießen.“
Ha, da kam der Gegenangriff, weiter so!
„Ich muss mir aber eine plausible Erklärung einfallen lassen, warum sie nicht mit zu euch zum Weihnachtsessen kommen kann. Wenn ihr meint, ich soll meine Cousine besser kennenlernen, dann sicher ohne Nina.“
Zitternd ließ ich den Atem wieder entweichen. Was war das jetzt? Ich konnte es nicht fassen, was ich hier hörte. Auf der einen Seite wollte er mich warm halten, auf der Anderen aber seine Cousine treffen – ohne mich. So etwas würde ich nicht mit mir machen lassen.
Kopflos rannte ich ins Schlafzimmer, zog meine Koffer vom Schrank herunter. Laut polternd kamen sie neben mir runter. Ich riss die Schranktüren auf und fing an, meine Sachen einzupacken. Lautlos liefen mir die Tränen über die Wange. Es schmerzte so sehr. Ich dachte Jan würde mich lieben. Dieses verdammte Arschloch.
„Nina, was ist hier los?“
Ich fuhr herum und sah Jan mit tränenverhangenem Blick an.
„Verpiss dich.“
Er kam auf mich zu. „Nina, rede mit mir. Was ist los?“
„Ich sagte, verpiss dich!“
Jan stand vor mir und wollte gerade nach meinen Händen greifen, als ich nun meinerseits ihn mit eiskaltem Blick ansah. „Fass mich an und ich breche dir jeden einzelnen Finger.“ Meine Worte kamen zischend heraus. Ich fühlte mich mittlerweile wie ein Eisblock.
„Shit, du hast das Gespräch im Wohnzimmer mit angehört. Es ist nicht so, wie du es verstanden hast Nina.“
Wollte der mich jetzt verarschen?
„Jan, ich bin weder taub, noch blöd. Hol jetzt bitte meine Sachen aus dem Wohnzimmer, die mir sind, dann werde ich verschwinden.“
„Nina, lass uns doch über alles vernünftig reden.“
„Du kannst mich mal am Arsch lecken Jan! Hol meine Sachen, habe ich gesagt. Wir werden jetzt nicht darüber reden, und in Zukunft auch nicht. Ich brauche keinen Mann, der nicht hinter mir steht. Der vor allen Dingen nicht zu mir steht!“
„Nina, nun warte doch mal. Lass uns… autsch, was soll das?“
Jan rieb sich das Schienbein. Ich hatte nun wirklich die Nase voll. Ich musste hier raus. Auf keinen Fall würde ich mir die Blöße geben und vor ihm, oder seinen Eltern, heulen.
„Was ist denn hier los?“
Seine Eltern standen nun auch noch in der Tür.
„Sie scheinen doch nicht von gestern zu sein. Nach was sieht es denn aus?“, antwortete ich nicht gerade freundlich.
„Sie packen?“
„Ganz genau!“
„Sie ziehen aus?“
„Wow, Sie sind ja richtig gut.“
„Nina, nun warte doch. Wir können doch über alles reden. Du musst doch nicht gleich deine Sachen packen.“
Ich drehte mich wieder zu Jan um. „Jan, falls du dich erinnern kannst, hatten wir dieses Thema zu Anfang, als ich bei dir eingezogen bin. Warum wohl habe ich mich so lange dagegen gewehrt? Aus diesen Gründen Jan. Eben weil ich geahnt habe, dass andere unsere Beziehung nicht gutheißen und du dann nicht zu mir stehst. Ich habe dir damals gesagt, dass du dir wirklich sicher sein sollst. Das bist du nicht und ich ziehe sofort meine Konsequenzen. Ich muss mich nicht so hintergehen lassen.“
Ich holte tief Luft, drehte mich wieder zu meinen Koffern und packte weiter.
„Konsequent sind Sie, das muss man Ihnen lassen.“ Jans Vater schaute mir anerkennend beim Packen weiter zu.
Ich ignorierte ihn und wandte mich wieder an Jan. „Würdest du jetzt bitte die restlichen Sachen holen? Ich möchte los, die Fahrt ist weit.“
„Du willst jetzt nach Hause fahren?“
„Ja natürlich. Ich werde mir sicher jetzt kein Hotelzimmer nehmen und die Vorweihnachtszeit dort verbringen. Übrigens Jan, hiermit kündige ich auch. Sofort und auf der Stelle.“
„Du hast aber eine Kündigungsfrist …“
„Du bestehst nun wirklich auf die Kündigungsfrist?“
Jans Vater mischte sich wieder ein. „Ich würde einen Auflösungsvertrag vorschlagen, der auf Montag datiert ist. Die Personalabteilung kann Ihnen diesen zuschicken. Am besten wäre per Fax, damit Sie ihn zügig unterschreiben können.“
„Ich gebe Montag die Faxnummer meiner Eltern an die Personalabteilung weiter.“ Ich musste mich Räuspern. „Und vielen Dank.“
„Wissen Sie Frau Sandner, man muss Ihnen ja nicht noch Steine in den Weg legen.“
Jan war unterdessen meine restlichen Sachen aus der Wohnung holen gegangen und ich stand nun fertig bepackt im Schlafzimmer. Er hielt mir die Stiefel hin.
„Nina…“
„Lass gut sein Jan. Es hat keinen Sinn. Irgendwie habe ich es von Anfang an geahnt.“
Ich zog mir Stiefel und Mantel an. Dann schnappte ich mir meine Handtasche und den erstbesten Koffer, der neben mir stand.
„Lass Nina, das werde ich dir zum Wagen bringen lassen.“
„Danke.“
Ich ging an Jans Eltern mit erhobenem Kopf vorbei, nahm meinen Trolley, den man leicht ziehen konnte und verschwand zum Aufzug. Ohne Umwege fuhr ich in die Tiefgarage und stiefelte zu meinem kleinen, alten Opel Corsa. Puh, das würde mit den Koffern ganz schön eng werden, aber der kleine Wagen würde das schon packen und ich auch!
Neben mir erschienen Jan und F-P, die meine Koffer und einige Taschen dabei hatten.
„Soll ich dir noch helfen?“
„Nein. Das schaffe ich schon alleine. Fahr du wieder zu deinen Eltern hoch.“
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