„Arsch, das habe ich gehört!“ Die Tablette wirkte endlich und ich konnte mich langsam erheben. „Ich gehe jetzt ins Bad. Ich brauche eine Dusche und muss mir dringend die Zähne putzen. Ich habe einen Pelz auf der Zunge, als ob ich die ganze Nacht am Teppich geleckt hätte. Bäh!“
Beim Weggehen meinte ich ein leises Lachen zu hören. Ich drehte mich zu Jan um, doch dieser hielt sich die Hand vor den Mund und hustete dezent. Schon klar, wollte der mich verarschen?
Grummelnd verschwand ich im Bad und schnappte mir meine Zahnbürste. Nach dem ausgiebigen Putzen fühlte sich meine Zunge ganz glatt an und der ätzende Geschmack war aus meinem Mund verschwunden. Danach ließ ich mich von dem schönen warmen Wasser aus der Dusche verwöhnen.
In einen Bademantel gewickelt und mit einem Handtuchturban, trat ich den Weg in die Küche an. Ich brauchte jetzt dringend Koffein. Jan hielt mir schon eine Kaffeetasse entgegen.
„Danke!“ Ich liebte den Geruch von Kaffee. Ohne mein Lebenselixier konnte ich nicht in den Tag starten.
Jan stand an die Küchenzeile gelehnt und beobachtete mich. Mir war klar, dass wir uns aussprechen mussten.
Seufzend stellte ich meine Tasse ab. „Ja, ich bin sauer auf dich. Nein, ich habe keine Dummheit deswegen angestellt. Dass mir der Tequila einen unverhofften Abgang bescheren würde, konnte ich nicht ahnen. Gut, und die Palme stand doof im Weg. Und F-P wollte ich auch nicht anmotzen.“
„Du hast Georg angemotzt?“
„Ich war besoffen. Ich kam aus einer Disko, in der ich mich eigentlich vergnügen wollte, stattdessen habe ich mir die Seele aus dem Leib … Na du weißt schon. Ich war mies drauf. Wegen dem Ganzen.“
„Es tut mir leid Nina.“ Jan zog mich an sich heran. „Ich möchte mich nicht mit dir streiten. Aber du musst auch verstehen, dass jetzt so kurz vor Weihnachten ein enormer Stress herrscht. Ich würde viel lieber mit dir in die Stadt gehen und Weihnachtseinkäufe tätigen und mit dir die Wohnung schmücken. Hab bitte Nachsicht mit mir, dass ich seit Jahren keine ernstzunehmende Beziehung hatte, mit der ich ein familiäres Weihnachtsfest feiern wollte. Daher hab ich die letzten Jahre auch immer am meisten an Weihnachten gearbeitet, damit andere sich für ihre Familien Zeit nehmen konnten. Es ist für mich etwas schwer, nun alle Aufgaben mit einem Mal abzugeben und umzuschichten.“ Er sah mich zerknirscht an.
„Ach, Jan. Ich verstehe das ja alles. Aber ich habe mich so sehr darauf gefreut. Bisher habe ich nur mit meinen besten Freunden zusammen gefeiert. Für mich ist es das erste Weihnachten mit einer neuen Familie. Ich möchte doch auch alles schön haben, wenn deine Eltern zu Besuch kommen.“
„Ich weiß Schatz und ich freue mich riesig, dass du dir solche Mühe gibst.“
Auf einmal sah mich Jan mit großen Augen an. „Mist, verdammter. Ich habe meine Eltern vergessen. Die wollen Morgen zum Adventkaffee vorbei kommen.“
Eins, zwei, drei … dann sprang ich auf. Für meinen Zustand waren drei Sekunden wirklich schnell, um zu reagieren. Während ich in das Schlafzimmer hastete, ging ich schon die Einkaufsliste durch. Ich zog mir die Unterhose hoch – Adventskranz -, BH und Socken an – Weihnachtsdeko -, ich zog mir Shirt und Pulli über den Kopf – Backzutaten - , jetzt musste ich nur noch die Jeans zuknöpfen – fuck, Wohnung putzen -. Im Eiltempo wollte ich gerade auf die Aufzugstür zu rennen, als mich Jans Räuspern aus dem Bad ablenkte.
Er wedelte mit dem Fön und ich griff mir an die noch feuchten Haare. Mist, ich wäre jetzt wirklich eiskalt so rausgerannt. Ich stürmte ins Bad und nahm Jan den Fön ab.
Das „Danke“ von mir, ging im Föngebläse unter. Zum Glück hatten meine Haare nur Kinnlänge, so dass ich schnell mit Föhnen fertig war. Auf Makeup verzichtete ich heute, dafür war nun wirklich keine Zeit mehr.
In Windeseile schoss ich wieder Richtung Fahrstuhl. Davor stand schon Jan mit meinen Stiefeln, meinem Mantel und der Handtasche in der Hand. Wahrscheinlich wäre ich ohne alles nach draußen gerannt und hätte dann total blöde in der Halle gestanden. Ein gefundenes Fressen für F-P. Aber Moment, der Kerl müsste heute frei haben. Immerhin hatte er die Nachtschicht übernommen.
Ich schlüpfte in Schuhe und Mantel und griff nach meiner Tasche. „Gehst du mit?“ Ich schaute Jan von der Seite an.
„Klar.“
Die Fahrstuhltüren öffneten sich und wir stiegen zusammen ein.
„Dich kann ich doch nicht alleine weglassen. Nicht, dass du mir nachher noch die anderen Palmen niederreißt, oder drin hockst und Georg einen Herzinfarkt bekommt.“
Empört zog ich die Luft ein und holte mit meiner Tasche aus. Gerade als ich ihm diese über den Kopf zog, öffneten sich die Fahrstuhltüren und uns schaute geschockt eine Familie an.
„Mama, warum schlägt die Frau den Mann?“
„Psst, Schatz. Lass uns ruhig einsteigen.“
Das Teufelchen auf meiner Schulter klatschte in die Hände. Ich konnte einfach nicht anders. „Der böse Onkel hier, hat mich unsittlich angefasst.“
Damit ging ich locker neben Jan weiter in die Eingangshalle hinein. Ich hörte noch, wie die Kleine, „Mama, was bedeutet unsittlich?“ ihre Mutter fragte, dann schlossen sich die Aufzugtüren.
„Du kleines Biest!“
„Strafe muss sein, mein Schatz.“ Ich grinste in mich hinein.
Drei Stunden hatten wir mit Einkaufen verbracht. Deko, Zutaten für die Kekse und sogar schon einige Geschenke waren nun in den Tüten verstaut. Jan war die ganze Zeit ohne Murren an meiner Seite geblieben und hatte Packesel gespielt.
Zu Hause angekommen, stürze ich direkt in die Küche.
„Kannst du mir bitte die Tüten mit den Lebensmitteln bringen?“ Während ich in den Schränken nach Schüsseln und Küchenmaschine kramte, stellte mir Jan die gewünschten Tüten auf die Küchentheke.
„Ach, und mach doch gleich noch Weihnachtsmusik an.“ Während ich im Schrank nach dem Spritzbeutel suchte, hob ich die freie Hand. „Ich rate dir, keinen Mucks von dir zu geben.“
Ich kannte Jan genau. Weihnachtsmusik war eigentlich gar nichts für ihn.
Nachdem ich alle Utensilien für das Plätzchenbacken zusammen getragen hatte, erklang leise aus den Lautsprechern sanfte Weihnachtsmusik. Natürlich gab es in der Küche auch ein Boxensystem, welches über die Anlage im Wohnzimmer geschaltet werden konnte, oder über Jans Smartphone. Natürlich waren die technischen Dinge hier im Appartement toll, aber mir würde auch eine kleine süße Wohnung mit zusammengewürfelten Möbeln reichen. Ich kam aus einem kleinen Dorf und meinen Eltern gehörte ein kleiner Bauernhof. Sie betrieben zwar keine Landwirtschaft mehr und auch Tiere gab es kaum noch, doch den Hof würden sie nie aufgeben. Auch wenn ich mich vor einiger Zeit dazu entschlossen hatte, in die Großstadt zu ziehen, damit ich hier einen Beruf ausüben konnte – und wenn es nur am Empfang der hiesigen Zeitung war – so fehlte mir unser Dorf doch sehr.
Meine Lehre als Bürokauffrau hatte ich im Nebenort machen können, allerdings war keine freie Stelle vorhanden, so dass sie mich nicht hatten übernehmen können. Auch in den anderen Firmen gab es keine freie Stelle. So war ich mutig nach München gezogen. Meine Eltern hatten mich am Anfang mit ein wenig Geld unterstützt, damit ich mir eine kleine Wohnung leisten konnte.
Nun aber stand ich in dieser riesengroßen, noblen und modernen Küche. Leise Musik rieselte aus den Lautsprechern und auf der riesigen Arbeitsfläche lagen meine Zutaten für die Weihnachtsbäckerei.
„Ich habe dir schon den Backofen eingeschaltet“, rief mir Jan aus dem Wohnzimmer zu. Auch dieser ließ sich mit dem Smartphone bedienen. Ich zweifelte auch nicht daran, dass der Kühlschrank seinen Inhalt selbst per Internet ordern konnte.
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