„Ich wollte mich für gestern entschuldigen. Ich habe die Situation falsch interpretiert und mit mir sind die Pferde durchgegangen. Nina bitte, komm wieder zu mir zurück. Lass es uns noch einmal versuchen.“
„Du willst mich wohl verarschen Jan!? Da ziehst du so eine Show bei deinen Eltern ab, hast in dem Moment auch nicht das Rückgrat, um mich aufzuhalten und es richtig zu stellen, lässt dann gar nichts von dir hören und nun stehst du hier auf der Matte und hoffst, ich würde zu dir zurückkommen? Hast du den Knall nicht gehört?“ Ich war mal wieder sauer. Sehr sauer. Er konnte froh sein, dass die Theke zwischen uns stand, sonst hätte ich wohl bei meiner Rede ihm den Finger fest in die Brust gebohrt.
„Du hast Recht. Ich habe mich wie der letzte Arsch benommen. Das war so nicht in Ordnung. Ich hätte zu dir stehen müssen und dich gegen meine Eltern verteidigen sollen. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Ich war in dem Moment total überfordert. Ich hatte noch nie so eine lange Beziehung. Es war mir noch nie so ernst mit einer Frau. Du bist die Erste, mit der ich wirklich zusammen sein möchte. Ich habe das in dem Moment nicht verstanden. Es tut mir wirklich leid Nina, gib mir … gib uns noch eine Chance.“
Natürlich trafen seine Worte in mein Herz, aber da war nichts mehr, was gekittet werden konnte. Irgendwie war unsere Beziehung doch zu oberflächlich gewesen und das wurde mir jetzt klar. Das war auch nicht sehr nett, ihm das nicht so gesagt zu haben, aber ich war nicht bereit, ihm seinen Fehler, den er nun mal begangen hatte, so wieder gut zu machen.
„Nein Jan. Nicht jetzt, nicht morgen und auch nicht übermorgen. Seit ich hier wohne, ist mir klar geworden, dass es genau richtig war, hierher zu kommen. Du hast mir mit deinem Verhalten eine Chance aufgetan, die ich jetzt nicht verstreichen lassen möchte. Ich werde hierbleiben. Ich werde den Laden weiterführen und ich werde in meine eigene Wohnung ziehen. Und wie du siehst, habe ich nur von mir geredet. Du kommst darin nicht vor. Es war eine schöne Zeit mit dir, aber sie ist vorbei!“
„Du weißt doch gar nicht, was du dir entgehen lässt. Ohne mich, bist du ein Nichts. Schau dir doch den mickrigen Laden an. Was willst du hier erreichen? Ich könnte dir etwas viel größeres bieten, als so eine kleine Klitsche. Du müsstest noch nicht mal in der Küche stehen. Schau dich doch an, wie du dich gehen lässt, du kleine …“ Jan stockte und verstummte.
„Verschwinde“, knurrte es hinter mir.
Stocksteif stand ich nach diesen Worten hinter dem Tresen und mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Warme Arme legten sich von hinten um mich und zogen mich an Daniels feste Männerbrust.
Kein Gedanke schwirrte in meinem Kopf, ich war wie gelähmt. Warmer Atem strich leicht über meine Wange, als sich Daniel zu mir herunterbeugte.
„Psst, Nina ruhig. Er ist weg. Lass die Worte von dem Mistkerl nicht an dich ran. Er wollte dich verletzen. Lass nicht zu, dass er es schafft.“
Ich merkte kaum, wie Daniel mich langsam in das Hinterzimmer zog. Dort verfrachtete er mich auf einen Stuhl und hockte sich vor mich. Mit seiner Hand zwang er sanft meinen Kopf nach oben, so dass ich ihm in die Augen schauen musste.
„Wie konnte er sich so verändern?“ Ich konnte es immer noch nicht fassen, wie Jan sich in Sekunden um 180 Grad drehen konnte.
„Ich denke, dass er schon immer so war, es aber gut überspielt hat. Du hast ihm früher wahrscheinlich auch nie eine Gelegenheit geboten, dass er sein wahres Gesicht zeigen musste.“
„Ich kann mich doch nicht so in einem Menschen getäuscht haben?“
„Es gibt Menschen, die spielen jahrelang perfekt ihre Rolle. Manch einer sogar sein Leben lang. Eigentlich sollte man meinen, dass man als Partner irgendwann hinter diese Fassade schauen könnte, aber das ist ein Märchen. Wer schon immer sein falsches Ich lebt, dem kann man nicht hinter die Fassade schauen. Nur in wenigen Situationen lassen solche Menschen ihre Maske fallen. Es gibt sogar so welche, die sich auch in diesen Situationen unter Kontrolle haben. Wenn man Glück hat, erfährt man von anderen, wie die Person eigentlich ist.“
Redete er jetzt noch von Jan. Auch wenn mich Daniel immer noch anschaute, so sah er auf einmal durch mich hindurch. Sein Blick war entrückt und mir schwante, dass er von sich sprach. Anscheinend hatte er eine ähnliche Situation erlebt und wusste, was ich durchmachte. Diesmal legte ich meine Hand an seine Wange und sein Blick und er kehrten zu mir zurück.
„Du sprichst von dir?“, fragte ich vorsichtig.
Abrupt stand Daniel auf. „Wir sollten langsam weitermachen, die Kundschaft wird bald hier auftauchen.“
Der Bann der Situation war gebrochen und auch ich hatte mich wieder einigermaßen gefangen und stand auf.
Zum Glück war auch heute so viel im Laden los, dass ich keine Gedanken mehr an Jan verschwenden konnte. Ich backte, ich verkaufte, ich redete mit den Kunden. Es gab gleich zwei Tortenaufträge, die ich nächste Woche fertig machen musste. Ich freute mich schon darauf. Für solche Fälle hatte ich mir verschiedene Bilder aus dem Internet herausgesucht, damit ich für den Anfang den Kunden eine kleine Vorauswahl bieten konnte. Irgendwann würden diese Bilder allein von mir stammen.
Ich freute mich, dass meine Backkünste so gut ankamen und zum Abend hin, hatte ich Jan und dessen Arschlochart ins Hinterstübchen verdrängt und mir ging es wieder gut. Heute war Freitag und morgen würde der Laden geschlossen bleiben. Die Reglung hatten wir vor Weihnachten eingeführt und würden sie auch so weiter handhaben. Dafür wurde Sonntagnachmittag von 14 bis 16 Uhr geöffnet sein. Dieser Kaffeetreff hatte sich schnell rumgesprochen. Vor allen Dingen unsere vier Tratsch-Damen aus dem Dorf ließen es sich nicht nehmen, diese zwei Stunden voll auszunutzen und den neuesten Dorfklatsch zu verbreiten. So war das nun mal, wenn man auf dem Land lebte. Nichts blieb verborgen. Auch nicht, dass Frau Berger, die eigentlich Single war, eine vaginale Entzündung gehabt hatte und sie sogar deswegen bei ihrem Frauenarzt gewesen war. Solche Informationen waren nicht wirklich prickelnd, aber die Spekulationen, wie Frau Berger zu dieser Entzündung gekommen war, rissen nicht ab und waren im Moment das Topthema.
Ich hoffte, nein ich betete sogar, dass ich nie, wirklich nie, außer der Reihe zu meinem Frauenarzt musste. Wer wusste schon, was dann über mich erzählt wurde. Ich schüttelte mich.
„Ist dir kalt?“ Daniel hatte gerade den Laden geschlossen und stand nun neben mir.
„Nope. Ich habe nur gerade an Frau Berger denken müssen.“
„Du fragst dich doch jetzt nicht auch, wo sie die Entzündung her hat?“
„Um Gottes Willen nein! Ich habe nur daran gedacht, was passiert, wenn ich einmal außer der Reihe zu meinem Höhlenforscher muss. Da lief es mir wirklich eiskalt den Rücken runter.“
Das tiefe Lachen von Daniel hallte durch den Laden. „Höhlenforscher … bei der Berufsbezeichnung hätte ich mir meine Studienrichtung doch noch mal überlegen sollen. Und wenn du mal wegen was auch immer, zum Frauenarzt musst, such dir am besten einen, der weit weg seine Praxis hat. So kannst du bei solchen Fällen heimlich zum Arzt gehen.“
„Das wird ja immer besser“, schnaubte ich. „Nun darf man hier in dem Kaff noch nicht mal außer der Reihe zu seinem Gynäkologen, ohne gleich Gesprächsthema Nummer eins zu werden.“
„Was bin ich froh, dass der nächste Urologe doch ein wenig weiter weg ist. Nicht auszumalen, was ich schon für Gesprächsstoff gesorgt hätte.“
„Ach? Wie? Du warst öfter beim Urologen?“, fragte ich sogleich neugierig nach.
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