Er war so ganz anders als Jan. Jan! Das erste Mal dachte ich wieder an ihn. Eigentlich hatte ich mit mehr Schmerz gerechnet, immerhin waren wir einige Zeit zusammen gewesen. Verdrängte ich die Trennung, würde der Schmerz noch einsetzen, oder war ich so eiskalt geworden? Ich konnte mir die Fragen nicht beantworten.
„Nina?“
„Äh, ja?“ Was hatte mich Daniel gefragt?
„Du warst mit deinen Gedanken anscheinend ganz weit weg.“ Daniel sah mich fragend an.
„Hm, ich habe an meine Trennung gedacht.“
„Entschuldige. Ich bin wirklich ein Trampel. Da plane ich mit dir das Backgeschäft und nehme keine Rücksicht auf dein Befinden.“
„Ich habe mich gefragt, ob ich gefühlskalt geworden bin?“
Daniel war total erstaunt. „Wie kommst du darauf?“
„Weil ich hier stehe und ohne Probleme an meinen Ex denke. Dabei ist die Trennung erst zwei Tage her. Ich müsste doch jetzt mit verheulten Augen auf dem Bett liegen. Mindestens aber mit einer riesengroße Tasse Schokolade bei meiner Mutter in der Küche sitzen.“ Ich nagte mir gedankenverloren an der Lippe.
„Erst einmal kann ich sagen, dass du sicher nicht gefühlskalt geworden bist. Ich bin kein Trennungsexperte, aber entweder verdrängst du jetzt die Gefühle und sie kommen später hervor, oder aber, deine Gefühle für den anderen waren nicht so vorhanden, wie du dachtest.“
„Ich weiß nicht“, seufzte ich. „Aber egal, lass uns die letzten Dinge fertig bekommen, bevor der Laden gestürmt wird.“
Irgendwie kam es mir falsch vor, mit Daniel über die Situation mit Jan zu sprechen.
Ich konzentrierte mich auf die letzten Bleche mit Muffins, die zu Cupcakes werden wollten und gab ihnen ihr Häubchen in verschiedenen Farben und Geschmacksrichtungen und verzierte sie mit bunten Essperlen und winzigen Zuckerstangen.
Pünktlich um neun standen schon die vier netten Damen vor der Tür, die sich gestern um die Kreationen gestritten hatten. Für diese Vier brauchte es wirklich ein kleines Café. So konnten sie den neuesten Tratsch und Klatsch austauschen, die Einkaufenden informieren und natürlich auch beobachten und brachten die Kasse zum Klingeln. Meine Idee für mein eigenes Café nahm immer mehr Formen an.
Auch dieser Tag verlief wieder sehr hektisch. Es hatte sich mittlerweile im ganzen Dorf herumgesprochen, dass es in Daniels Laden nun auch Weihnachtsgebäck zum Kaufen, aber auch direkt die Leckereien vor Ort zu Essen gab. Dies war natürlich ein Magnet für alle. Gerade vor Weihnachten hatte ich dieses Örtchen schon immer sehr geliebt. Die Menschen hier waren herzlich. Aber vor Weihnachten zeigte sich das ganze Potential. Es wurde sich oft zu Kaffee und Kuchen getroffen. Man half den älteren Personen, den Schnee vom Grundstück zu beseitigen, man schmückte das ganze Dorf und es herrschte ein Zusammenhalt, den es nicht mehr oft in der heutigen Zeit zu sehen gab.
Für Städter war es vielleicht total skurril, wir hier aber kannten es nicht anders und wollten es auch nicht anders haben. Sogar die Menschen, die hierher zogen, konnten sich dem Charme des speziellen Zusammenhalts irgendwann nicht mehr entziehen.
Daniel und ich hatten uns für die Vorweihnachtszeit darauf geeinigt, dass der Laden samstags geschlossen blieb, dafür aber sonntags nachmittags geöffnet wurde. Außerdem meinte er, dass ich nur Morgens zum Backen und dann nachmittags zum Kaffee und gegebenenfalls zum Nachbacken erscheinen musste. Das ging aber mal gar nicht. Wenn ich mein kleines Café eröffnen wollte, dann würde ich auch dort immer stehen müssen. Auch wenn es Daniel nicht passte, so musste er einsehen, dass ich den größeren Dickkopf von uns beiden besaß.
Ich mühte mich gerade mit der Torte ab, die ich Judith versprochen hatte, als Daniel zu mir trat.
„Was machst du da? Möchtest du auch Torten mit ins Programm nehmen?“
„Nein, nein. Judith hat mich gebeten, für ihre Nichte eine Fondant-Torte zu kreieren. Thema ist: Die Eiskönigin. Sie dachte, weil ich so schöne Kreationen mit meinen Cake Pops hinbekomme, würde mir so eine Torte sicher leicht fallen.“ Ich fuhr mir frustriert mit den Händen durchs Gesicht.
„Öhm, du hast Mehl im Gesicht.“
„Egal, ich komme nicht weiter. Ich habe das Bild hier liegen, wie die Torte mal aussehen soll, aber irgendwie fühle ich mich gerade total überfordert.“
Ich schaute Daniel hinterher, der sich wortlos rumgedreht hatte und nach vorne in den Verkaufsraum verschwand. Anscheinend waren meine Tortenprobleme langweilig, oder er wollte damit lieber nichts zu tun haben. Ich sah mir immer wieder das Bild an und versuchte, den Rollfondant in Form zu bringen, aber er schien nicht mit mir kooperieren zu wollen. Das sah nicht wie der Rock der Eiskönigin aus, sondern wie blau-gefrorene Schamlippen. Schrecklich, einfach schrecklich.
Ein Husten riss mich von den erfrorenen Schamlippen weg. Daniel stand mit dem Laptop in der Hand vor mir und versuchte entweder einen ganz fiesen Krümel aus dem Hals zu husten, oder aber, was wahrscheinlicher war, einen Lachanfall dezent zu tarnen.
„Was??“
„Ach, nichts“, krächzte Daniel. Der Hals-Frosch hatte gerade mordsmäßigen Spaß.
„Ein Kleid kann doch jeder“, sagte ich pikiert. „Aber eine Eiskönigin auf Schamlippen, ist eine Kunst.“
Daniel war immer noch am Hüsteln. „Wie alt ist die Nichte von Judith?“
„9 Jahre.“
Der Frosch quakte jetzt ganz doll und Daniel konnte kaum noch sein Lachen unterdrücken.
„WAS?“ Ich war jetzt echt verstimmt.
„Ich stelle mir gerade vor, wie Judith mit der Torte auftaucht und stolz die Schamlippen-Königin den neunjährigen Mädels präsentiert, während die Mutter einer Ohnmacht nahe ist“, gluckste Daniel.
„Hmpf.“ Ich war mächtig sauer und hätte am liebsten mit der Faust auf den Kuchen geschlagen.
„Hier. Schau dir lieber das Video an.“ Deswegen war Daniel also aus dem Raum gegangen und hatte nun den Laptop im Arm.
Er stellte ein YouTube Video an, wo die Herstellung der Eiskönigin-Torte zu sehen war. Sofort war ich in das Video vertieft und schaute mir die Schritte der Herstellung an. Daniel verschwand aus dem Hinterzimmer und schloss leise die Tür, damit ich wohl meine Ruhe hatte.
Mir tat der Rücken weh und ich konnte nicht mehr stehen. Ich streckte und dehnte mich und gähnte lauthals. Das war wohl das Zeichen für Daniel, wieder hineinkommen zu dürfen.
„Wohow. Das hat nun wirklich nichts mehr mit Schamlippen zu tun. Nina, das sieht wirklich fantastisch aus!“
Ich betrachtete mein Werk selbst richtig stolz. Das blaue Kleid bauschte sich um den Kuchen herum und stolz präsentierte sich darauf die Eiskönigin. Sie streckte den Arm nach oben und auf der Handfläche tanzten kleine Schneesterne. Für meine erste Rollfondant-Torte, sah sie wirklich hammermäßig aus. Auch wenn der Start etwas holprig gewesen war.
„Könntest du mir beim Einpacken helfen?“ Ich kramte durchsichtiges Einpackpapier hervor, in welches ich die Torte verpacken wollte. Daniel hob vorsichtig das Kunstwerk hoch, so dass ich die Rolle mit dem Papier drunter durchziehen konnte. Mit feinem Draht, den ich mit in die Folie einarbeitete, konnte ich diese stabilisieren, damit die Königin auf keinen Fall kaputt ging, oder aber die Folie im Gesicht kleben blieb. Bänder bildeten den Abschluss und danach trat ich einen Schritt zurück, um mein nun fertiges Werk zu betrachten.
Daniel stellte sich neben mich und wir ließen die Erscheinung auf uns wirken.
„Du solltest solche Torten unbedingt auf Kundenanfrage anbieten. Mit den richtigen Anleitungsvideos wirst du jedes Kunstwerk hinbekommen.“
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