Sein Verstand wusste dies, doch sein Herz dachte gar nicht daran, dass zu akzeptieren und malträtierte seine Seele immer und immer wieder.
Und in jenen qualvollen Momenten wie diesem, wo er nur noch ein Schatten seiner selbst war, durchlebte er seine eigene, private Hölle, bis er schließlich – so wie jetzt – kraftlos einschlief, während er noch immer Melias Gesicht vor Augen hatte und die Liebe zu ihr spüren konnte.
Ja, es war ein beinahe grausames Ritual, das mit einer erschreckenden Regelmäßigkeit über ihn kam – und doch konnte Mavis es nicht nur verdammen, denn wenn er wiedererwachte, spürte er nur noch das wärmende Gefühl der Liebe in sich und eine Zuversicht, die er nicht greifen konnte, die ihn aber für eine gewisse Zeit stärker, schneller und besser machte.
Mavis hoffte, dass es auch dieses Mal so sein mochte, dann sank er endgültig in das Reich der Träume.
Sie verharrten abrupt, als sie das Quieken vor sich hörten und in jedem von ihnen stieg ein ekliger Hitzeschauer auf.
Melia und Kalipos, die die Vorhut bildeten, stockte sofort der Atem und sie blickten sich mit ernsten Mienen an. Chalek hinter ihnen starrte sie mit weit geöffneten Augen an, blieb aber ebenfalls ruhig.
Teres und Nimas, die nebeneinander gingen, stießen einen spitzen Schrei aus, doch als sie die mahnenden Blicke von Kalipos und Melia auf sich sahen, bissen sie sich auf die Zähne und stöhnten nur noch leise, aber sichtlich entsetzt. Nudik am Ende der Gruppe schaute nervös nach allen Seiten, doch konnte er nichts erkennen.
Dafür konnten alle ein weiteres Quieken vernehmen, das nun keinerlei Zweifel mehr offenließ: Eine dieser furchtbaren Insektenbestien musste sich in der Nähe befinden.
Drei Stunden hatten sie gebraucht, um die Hochebene in Richtung Osten zu durchqueren. Sie waren schnell, aber vorsichtig gewesen und hatten die östlichen Ausläufer des Gebirges vor wenigen Minuten erreicht. Den Weg zu finden, der sie durch den Tunnel zu dem Bergsee führen würde, über den sie vor Jahren hierhergekommen waren, war nicht schwierig, wenngleich er durch erheblichen Pflanzenwuchs ziemlich versperrt war.
Letztlich erreichten sie den Tunnel, durchquerten ihn und gerade, als sie ihn wieder verlassen hatten und in den schmalen Gang traten, der nach etwa zwanzig Metern abrupt vor dem Felsentrichter endete, an dessen Fuß sich der wundersame Bergsee befand, hörten sie dieses nur allzu bekannte Quieken.
Melia und Kalipos schauten sich nochmals an. Ihnen war klar, dass das Geräusch nur aus einer Richtung kommen konnte, dennoch waren sie etwas irritiert.
Sie deuteten den anderen an, zu bleiben, wo sie waren und Teres und Nimas zusätzlich mit einem weiteren mahnenden Blick, still zu sein.
Dann huschten sie lautlos weiter. Wenige Meter vor der Felsenkante wurden sie immer langsamer und drückten sich zu beiden Seiten des Ganges an die Felswände.
Jetzt konnten sie nicht nur weiteres Quieken hören, sondern auch das deutliche Platschen von Wasser. Als sie sich anschauten war beiden bewusst, was geschehen sein musste.
Doch obwohl schon klar war, was sie zu sehen bekommen würden, konnten beide nicht drum hin, sich in einer ruckartigen Bewegung nach vorn zu beugen und über die Felsenkante hinweg in die Tiefe zu schauen. Fünfzehn Meter unter ihnen erkannten sie eine Insektenbestie mitten in dem kleinen, gut gefüllten Bergsee. Sie war sichtlich nervös und ihre Klauen zuckten wild umher, obwohl deutlich zu sehen war, dass sie bequem in dem See stehen konnte. Das Wasser stand etwa zwei Meter hoch und reichte der Bestie bis zum Maul. Ansonsten schien das Monstrum unverletzt, wenn auch noch immer ziemlich verwirrt über den Sturz in die Tiefe. Die Anwesenheit der Menschen hatte sie noch nicht bemerkt.
Melia zog ihren Kopf wieder zurück und drückte sich fest an den Felsen. Fieberhaft überlegte sie, was jetzt zu tun wäre.
Die Tatsache, dass dort unten eine der Bestien war, war schon schlimm genug, dass sie den Sturz aber auch noch überlebt hatte, war absolut schlecht. Ihr widerliches Quieken war weithin zu hören und würde früher oder später Artgenossen anlocken. Melia war klar, dass sie das nicht zulassen durften. Folglich gab es nur eine sinnvolle Lösung. Sie warf Kalipos einen Blick zu und erkannte darin noch Unschlüssigkeit, doch Melia zögerte nicht.
In einer fließenden Bewegung nahm sie ihr Impulsgewehr aus der Lederscheide in ihrem Rücken und aktivierte es. Mit einer kurzen Handbewegung wechselte sie die Schussfunktion auf den integrierten Granatwerfer unterhalb des Laufs. Dann schaute sie wieder zu Kalipos. Der Anführer blickte ernst und irgendwie durch sie hindurch. Sie erkannte, dass er nachdachte, das Für und Wider abwog und sie ließ ihm diese paar Momente, da sie nicht ohne seine Zustimmung schießen würde. Sein Blick aber wurde schnell wieder klar und er nickte ihr zu, gab ihr aber zu verstehen, auf sein Kommando zu warten.
Kalipos schob seinen Oberkörper wieder über den Felsenrand und schaute in die Tiefe, doch das Monster war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass es nach oben blickte. Er wandte sich an Melia, nickte und formte mit den Lippen lautlos das Wort Okay .
Melia schloss kurz ihre Augen und atmete durch, dann griff sie die Waffe fester, drückte den Lauf gegen ihre rechte Schulter, wirbelte herum, richtete ihn nach unten und visierte die Bestie an.
Doch gerade in dem Moment, da sie abdrücken wollte, hörte sie neben sich ein weiteres Quieken. Instinktiv hielt sie inne und ihr Kopf zuckte nach rechts.
Einen Wimpernschlag später warf sie sich in einer ruckartigen Bewegung zurück gegen die Felswand. Während Kalipos sie erstaunt anstarrte, spürte sie eine widerliche Hitzewelle in sich aufsteigen.
Einen Augenblick später hörte auch er, was sie so entsetzt hatte und erstarrte ebenfalls.
Und noch einen weiteren Moment später war da ein vollkommen anderes Geräusch zu hören. Es war dumpf, wurde schnell lauter, hatte einen schnellen Rhythmus – und es kam aus dem See in der Tiefe.
Mit wild klopfendem Herzen schob Melia ihren Oberkörper bis an den Felsenrand und spähte hinunter.
Ihre dunkle Vorahnung sollte sie nicht getäuscht haben. Deutlich war zu sehen, wie die Wasseroberfläche in dem kleinen See zu sprudeln begann. Das dumpfe Dröhnen wurde rasend schnell lauter und zu einem gespenstischen Fauchen.
„Oh Scheiße!“ entfuhr es ihr langgezogen und sichtlich geschockt.
Dann mischte sich in das Fauchen das Kreischen der Bestie und im selben Augenblick schoss der Wasserspiegel schlagartig in die Höhe.
Tu es! schoss es Melia in den Kopf und ohne zu Zögern wirbelte sie wieder zurück in Richtung See, drückte gleichzeitig den Knauf der Waffe gegen ihre rechte Schulter.
Doch kaum realisierte sie die Situation erneut, stieg panisches Entsetzen in ihr auf, als sie die monströse Bestie quiekend und um sich schlagend auf sich zu rauschen sah. Ihr ganzer Körper verkrampfte sich unwillkürlich.
Melia musste sich förmlich zwingen, zu handeln, aber ihr Überlebenswille war letztlich stärker. Sie visierte ihr Ziel nur kurz an, dann drückte sie ab.
Das Projektil aus der Waffe donnerte quasi ohne Verzögerung in den Rumpf der Kreatur und detonierte augenblicklich. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich nur noch weniger als einen Meter unterhalb der Felsenkante. Sie schrie schmerzhaft auf, als das Geschoss ihren Panzer durchschlug, doch war das Rauschen des Wassers mittlerweile so laut, dass es kaum noch zu hören war.
Einen Wimpernschlag später jagte die tödliche Energie der Sprengkapsel nach außen und zerfetzte den Rumpf der Bestie, ließ ihn wie einen Luftballon zerplatzen.
Während die Flutwelle aus dem See über die Felskante hinwegstieg und sich in ihre Richtung bewegte, schossen die zerfetzten Körperteile der Kreatur auf sie zu und klatschten schließlich zusammen mit dem Wasser wuchtig gegen sie.
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