Mavis zwang sich abrupt, seine Gedanken zu stoppen. Schmerzhafte Erinnerungen und Sehnsüchte gehörten ebenfalls nicht hierher, sondern waren etwas für später, wenn er wieder allein war.
„Vilo!“ Joriks Ruf riss Mavis endgültig aus seinen Gedanken. Sein Freund war zusammen mit Marivar, Esha, Malawi und Idis, sowie Shamos, Pater Matu, Kendig und Rimbo mit der Amarula aus Kimuri kurz nach Mavis, Biggs und Captain Tibak auf der Calira und kurz vor Vilo, Kaleena, Jovis, Leira, Captain Cosco und Sergeant Dek mit der Kitaja , hier eingetroffen. „Schön, dass ihr es doch noch geschafft habt!“ Er schüttelte seinem Freund kräftig und mit einem breiten Grinsen die Hand.
„Wir haben nicht viel Zeit!“ erwiderte der Commander mit ernster Miene.
„Wo ist mein Vater?“ Kendig war zu ihnen getreten und schaute Vilo direkt an.
„Im Cockpit. Er will schnell reagieren können, falls...!“
„Falls was?“ raunte Mavis.
„Cosco hat eine List angewandt, um Narix auszutricksen...!“ erwiderte Vilo.
„Was für eine List?“ fragte Esha neugierig.
„Wir sind zunächst mit Höchstgeschwindigkeit Richtung Norden gefahren, um von unserem eigentlichen Ziel abzulenken. Dann haben wir die Triebwerke abgeschaltet und uns totgestellt. Cosco hat das Schiff unter einen großen Felsvorsprung direkt am Meeresgrund gelenkt. Er meinte, dass wir dort nicht mehr zu orten sein würden. Nachdem unsere Verfolger aus unserem Radarbereich heraus waren, sind wir wieder aufgestiegen und sofort hierher!“
„Nicht schlecht!“ meinte Jorik.
„Ja...!“ stimmte Vilo zu. „...aber ob diese List wirklich funktioniert hat, kann ich nicht sagen!“
„Hat sie nicht!“ Augenblicklich wirbelten alle herum und erkannten Rimbo vor sich, der durch den kurzen Sprint aus dem Cockpit der Amarula zu ihnen etwas außer Atem war. Während er einmal kurz durchatmete, warf er Mavis einen düsteren Blick zu. „Wir haben ein Signal!“
Das maskenhafte, zornige Gesicht von Captain Narix an Bord der Talura weichte schlagartig auf, als er die Nachricht des Radaroffiziers erhielt, dass er nicht weniger als drei Signale an der Küste des südlichen Poremiens aufgefangen hatte und ein zufriedenes Lächeln erschien auf seinen Lippen, weil er am Ende doch Recht behalten hatte und ihnen der Feind eben nicht durch die Lappen gegangen war, wie einige der Besatzungsmitglieder stumm angeklagt hatten.
Umso selbstzufriedener befahl er sofort in harschem Tonfall. „Machen sie die Raketen startklar!“
„Welche Rohre Sir?“
Narix huschte ein weiteres Lächeln über die Lippen. „Alle!“
Mavis atmete scharf ein und funkelte Vilo sofort zornig an. „Wie nah?“
„Zu nah!“ erwiderte Rimbo.
„Verdammter Narr!“ zischte Mavis und trat direkt vor Vilo. „Erst verrätst du uns, dann führst du den Feind direkt hierher! Bist du sicher, dass du auch wirklich auf unserer Seite stehst?“ Bevor Vilo etwas erwidern konnte, wirbelte Mavis schon wieder zu Rimbo herum. „Alarmstart!“
„Ziel erfasst!“ bestätigte sein erster Offizier.
Narix Gesicht versteinerte sichtlich. „Feuer frei!“ Der erste Offizier nickte dem Mann am Kontrollpult zu und dieser betätigte den Abschussmechanismus. Es ging ein Rütteln durch das Schiff, gefolgt von einem zischenden Geräusch, als die Projektile den Rumpf verließen und an die Oberfläche jagten, wo sie beinahe senkrecht in den Himmel stiegen und sich in einem hohen Bogen mit mehreren hundert Meilen in der Stunde ihrem Ziel näherten. „Sechs Raketen abgefeuert!“ meldete er mit monotoner Stimme. „Geschätzte Flugzeit....achtzehn Sekunden!“
Narix nickte ihm zu, wandte sich ab und musste erneut grinsen. Längst hatte er erkannt, wo sich die feindlichen Flugboote befanden. Das Gebiet gehörte zum ehemaligen Stützpunkt Kos Korros , der vor sieben Jahren von den Fremden dem Erdboden gleichgemacht worden war. Er selbst war damals anwesend gewesen, deshalb hatte er das Bild der zerstörten Anlage noch gut vor Augen. Ganz besonders das vielfach beschädigte Dach des unterirdischen Stützpunktes. Die sechs Raketen hatten genau diesen Bereich zum Ziel und ihre unbändige Energie würde dort endgültig alles zerstören und seine Widersacher für immer unter sich begraben.
Mavis stand auf dem halbzerstörten Kai des Stützpunktes und überblickte das Geschehen. Alle Anwesenden bewegten sich schnell, aber nicht hektisch.
Denn das, was zu befürchten war, war eingetreten: Der Feind hatte sie entdeckt. Mavis aber hatte diese Möglichkeit ja bereits früh in Betracht gezogen und entsprechend Vorsorge getroffen. Auf seinen Befehl hin strebten jetzt alle den ihnen zugewiesen Booten entgegen.
Lediglich Kaleena, Jovis und Leira standen noch etwas ratlos umher.
Er wollte gerade zu ihnen gehen, als er Vilo, Cosco und Kendig aus der Kitaja kommen sah. Sie waren auf dem Weg zur Amarula , mit der sie fliegen sollten.
Mavis wollte Kaleena und den beiden anderen zurufen, dass sie sich ihnen anschließen sollten, als über ihnen ein rasend schnell näherkommendes Pfeifgeräusch zu hören war. Er erkannte es sofort und brüllte. „In Deckung!“ Dann schien die Welt um sie herum zu explodieren.
Die ersten beiden Raketen der Talura rauschten durch die bereits vorhandenen Explosionslöcher in der Hallendecke, donnerten in den hinteren Kaibereich und detonierten dort mit schier unbändiger Wucht. Die gewaltige Druckwelle brüllte ihnen mit einer derart immensen Lautstärke entgegen, dass Mavis sie beinahe körperlich spüren konnte. Zwei Flammenfäuste zuckten zur Decke empor und etliche Gesteinstrümmer schossen durch die Luft. Da sich an den Auftreffpunkten jedoch kaum noch etwas von Wert befunden hatte, verpufften die Explosionen ohne größeren Schaden anzurichten, abgesehen davon, dass der Boden unter ihnen erbärmlich erzitterte.
Kaum aber waren diese beiden ersten Raketen detoniert, jagten die nächsten beiden heran. Die erste jedoch verfehlte den Hafenbereich und donnerte weiter hinten auf den Felsen der Steilküste, unter der sich der ehemalige Stützpunkt verborgen gehalten hatte. Die zweite Rakete aber traf dafür umso besser, krachte auf den östlichen Teil der Hallendecke und als der Sprengkopf seine enorme Energie blitzartig freigab, zerriss der Fels dort unter furchtbarem Getöse und etliche Trümmer schossen in die Tiefe, wo sie in das Hafenbecken klatschten und die Wasseroberfläche in Wallung brachten.
Obwohl alles um sie herum zerstört zu werden schien, wusste Mavis sofort, dass sie verdammtes Glück gehabt hatten, denn alle Explosionen waren zu weit von ihnen entfernt gewesen, um Schäden an den Flugbooten anzurichten. Seine Freude währte jedoch nicht lange, denn gleich darauf gab es zwei weitere Explosionen. Die erste war wieder deutlich über und ein wenig westlich von ihnen. Diese Rakete musste ebenfalls auf die Steilküste gestürzt sein. Ihre Flugbahn war nicht lang genug gewesen, sie sollte ihnen ebenfalls keinen großen Schaden zufügen können. Die zweite aber sah Mavis förmlich direkt auf sich zukommen, als sie durch ein Loch im Dach hindurchjagte und nur wenige Meter hinter ihm aufschlug. Wieder rissen die Explosionen an seinen Trommelfellen, während ihn die Druckwelle, wie viele andere auch, von den Füßen fegte und nach vorn schleuderte. Mavis konnte sich gerade noch mit einer blitzschnellen Drehung abwenden, da krachte er auch schon rüde auf den Kai. Während über ihm die heiße Flammenfaust dahin rauschte, wurde er nur noch von einem Gedanken beherrscht: Sie mussten von hier weg! Jetzt sofort!
Mavis wirbelte herum und überblickte die Situation. Wenige Schritte von ihm entfernt, erkannte er Vilo, der zu seiner Familie und Leira stürzte. Alle anderen erhoben sich ebenfalls, stützten sich gegenseitig und rannten ohne zu Zögern zu den Flugbooten. Dabei schien es, als wäre niemand von ihnen ernsthaft verletzt.
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