„Ja, er hat eine Fuhre nach Greenwich rüber, das wird wohl spät heut’.“
„Was schreibt Jane, geht es ihnen gut?“, erkundigte sich die Mutter.
Jonathan verdrehte die Augen in dramatischer Weise und gab dann im Brustton eines königlichen Ausrufers zum Besten: „Hört, ihr Leute, Jane Turner ist ‘ne Amerikanerin, Jane is ‘ne Amerikanerin!“
Eleonore ignorierte ihn schlichtweg und antwortete: „Ja, sie scheinen alle wohlauf zu sein.“
Kurz setzte sie an zu erzählen, dass Jane sie gefragt hatte, ob sie nicht nachkommen wolle. Aber dann behielt sie die Idee für sich, denn sie hatte selbst noch nie ernsthaft darüber nachgedacht.
Schweigend löffelten sie ihre Suppe, nur unterbrochen von Peters Geschlürfe und dem gelegentlichen albernen Gekicher der Zwillinge.
Der März ging in einen verregneten April über. Das Wetter drückte auf jedermanns Stimmung. Selbst die Osterfeiertage waren verregnet.
Aus einer Laune heraus hatte Eleonore bei ihrer Antwort auf Janes Brief nachgehakt, wie das denn funktionieren solle, mit einer Anstellung und ob es denkbar sei, dass sie dort als Gouvernante arbeiten würde? Sie hatte gehört, in Amerika sei vieles so anders, so viel einfacher, weniger festgefahren.
Ansonsten hatte sie nicht viel zu berichten gewusst.
Was sollte sie auch schreiben? Jane erlebte ja so viel mehr in der Neuen Welt. Eleonore erzählte von der neuen Stelle, aber die merkwürdige Begegnung mit dem jungen Bradford und die Abmachung mit den Büchern ließ sie unerwähnt. Was gab es da auch schon zu erzählen? Er hatte ihr einmal ein Buch geliehen und schon hatte er seinen großen Plan wieder vergessen, denn seitdem hatte sie ihn weder gesprochen noch zu Gesicht bekommen. So hatte das Ganze sie lediglich in ihrer Vermutung bestärkt, dass er sich durch seine kleine heimliche Tat fürchterlich edelmütig fühlte, dann aber zu seinem Tagesgeschäft übergegangen war.
Sie hatte ein paar Besorgungen für die Köchin erledigen müssen und so die Zeit für einen Abstecher zum Postamt genutzt, um den Brief an Jane auf die Reise zu bringen.
Nun trat sie aus dem Gebäude, in dem die Feuchtigkeit, die von den vielen Menschen hereingetragen worden war, nasskalt in der Luft hing. Sie zog die Kapuze des schweren Wollcapes über den Kopf, um durch den strömenden Regen zurück zum Bradfordschen Anwesen zu eilen. Um diese Zeit waren die Straßen trotz des Wetters voll.
Eine Droschke, die an ihr vorbei fuhr, spritzte schlammiges Wasser auf. London war bei dieser Witterung mehr als trist.
Seufzend schüttelte sie sich, froh, als sie endlich wieder in der Wärme des Anwesens zurück war.
Die Hausdame saß bei einer guten Tasse Tee in der Küche und überwachte mit gewohnt strengem Blick das Treiben um sich herum.
„He da, Eleonore“, rief sie aus, als sich diese an ihr vorbeistehlen wollte.
„Solltest du nicht längst die Böden wienern? Ich meine mich zu erinnern, dass das die Aufgabe ist, die ich dir heute Morgen zugeteilt hatte.“
Eleonore schluckte. „Ja, Ma’am, es ist nur...“
Sally ging dazwischen. „Es ist gut, Ms Cunningham, ich brauchte noch dringend Eier, die alten waren nicht mehr frisch genug für das Soufflé, da habe ich sie schnell losgeschickt.“
Ms Cunningham zog die Nase kraus und warf beiden einen missbilligenden Blick zu. „Nun gut! Dann aber sofort ab an die Arbeit.“
Eleonore lieferte die Einkäufe ab, rechnete das Wechselgeld auf den Penny genau vor und band sich ein Tuch um die Haare, um dann einen schweren Kessel auf den Herd zu setzen und das Putzwasser vorzubereiten.
„Fang oben an, die Herrschaften sind allesamt außer Hauses. Dann störst du niemanden!“, rief ihr die Hausdame hinterher.
Eleonore polterte mit dem schweren Eimer und dem Schrubber ausgerüstet den Gesindeaufgang hinauf und betrat den Flur mit den Privatgemächern von der hinteren Seite. Sie fing mit den Räumen gleich zu ihrer Linken an.
Es herrschte eine ziemliche Unordnung dort. Nur der Schreibtisch war übersichtlich und aufgeräumt. Es musste der Raum von Jacob Alexander Bradford sein, mutmaßte sie.
„Fang oben an, dann störst du niemanden“, äffte sie ärgerlich Ms Cunningham nach, während sie alles unsanft abstellte. Im gleichen Ton fuhr sie fort, machte ihrem Unmut Luft, der plötzlich in ihr aufgestiegen war.
„Aber ja, Ma’am. Bitte jetzt, bitte gleich, bitte sofort!“, führte sie die imaginäre Konversation fort und hängte gleich noch einige gemurmelte Flüche dran, die eines Bierkutschers würdig gewesen wären und die sie allesamt von Jane gelernt hatte. Dann endete sie mit einer unfeinen Bemerkung über den unglaublichen Saustall, den sie jetzt aufzuräumen hatte.
„Wie meinen?“, durchbrach da eine männliche Stimme ihre Tiraden.
Sie fuhr herum. Dabei stolperte sie fast über den Schrubber, der hinter ihr lehnte, wich dem Eimer aus, und fiel dem Sohn des Hauses direkt in die Arme.
„Hoppla“, brachte der überrascht hervor und fing sie ungeschickt auf. Sie fühlte für den Bruchteil einer Sekunde seinen Atem an ihrer Wange und spürte seinen athletisch anmutenden Oberarm durch den feinen Stoff seines Hemdes hindurch. Wieder einmal wurde sie rot: Weil er sie womöglich über Ms Cunningham hatte herziehen hören, weil er sie mit Sicherheit hatte fluchen hören, und weil sie sich wie ein ungeschickter Tollpatsch verhalten hatte. Sobald sie wieder sicher stand, ließ er sie umgehend los. Sie knickste schnell. „Entschuldigung Sir, ich...“
Er hob abwehrend die Hände, zuckte mit den Schultern. Dabei spielte ein belustigter Zug um seinen Mund. „Ich habe nichts gehört, nichts gesehen… Eleonore, nicht wahr?“
„Ja, Eleonore ist mein Name“, gab sie knapp zurück. Sie ärgerte sich über sich selbst, aber irrationalerweise auch über ihn: Darüber, dass er hier im Weg stand und dass er sich so offensichtlich über sie amüsierte.
„Ich muss mich wohl entschuldigen“, kam es da von ihm. Sie nahm den Putzlappen, wrang ihn energisch aus und befestigte ihn dann am Schrubber. Dann begann sie den Boden zu wischen. Sie fragte nicht, ob er seine Räumlichkeiten, nun da er doch im Hause war, eventuell benutzen wollte und sie später wieder kommen sollte.
„Entschuldigen? Ich wüsste nicht warum.“ Sie sprach ins Leere und sah ihn nicht an, sondern wischte weiter, als ob er nicht zugegen sei.
„Nun ja, für gewöhnlich halte ich mich an meine Versprechen!“
Er folgte ihr mit seinem Blick. Als sie nichts erwiderte, sagte er: „Ich bin Ihnen doch eine weitere Bücher-Leihgabe schuldig.“
Eleonore hielt inne, stütze sich auf den Stiel und sah ihn aus schmalen Augen an. „Schuldig sind Sie mir gar nichts, Sir!“
„Doch, doch“, widersprach er. „Sagen Sie schon, wonach steht Ihnen der Sinn?“
„Nach einer dampfenden Tasse heißer Schokolade“, entfuhr es ihr. Sie hatte nicht weiter nachgedacht, die Worte waren unüberlegt über ihre Lippen gekommen. Erschrocken schlug sie sich mit der Hand vor den Mund. Was war denn heute bloß los mit ihr? Das musste das Wetter sein, da konnten die Nerven ja nur blank liegen!
„Nun“, lachte Jacob Bradford auf, „ich hatte an etwas Literarischeres gedacht, aber wenn Mademoiselle eine Schokolade wünschen, warum nicht?“
Sie sah ihn forschend an. War da Ironie in seiner Stimme gewesen? Verärgerung? Aber er sah sie in keinster Weise zürnend an. Eine Stimme in ihrem Kopf mahnte sie zur Vorsicht. Man konnte nie wissen, was die Männer im Schilde führten, es war ja mehr als hinlänglich bekannt, dass die feinen Herren sich gerne an Dienstmädchen heran machten. Scharf sog sie die Luft ein. „Nein, danke, Sir“, gab sie schroff zurück.
Für einen Moment wirkte er vor den Kopf gestoßen. Dann begann er, sie zu necken. „Oh, ich verstehe, Sie müssen Ihrer Arbeit nachgehen. Ja, wahrscheinlich haben Sie Recht, mit dem was Sie vorhin sagten: Ms Cunningham kann ein echter Drache sein. Und bei dem Saustall, der hier herrscht, ist eine Verzögerung wahrscheinlich nicht vertretbar, Sie wollen ja irgendwann auch fertig werden mit der Arbeit.“ Wieder blitzte es belustigt in seinen Augen. Eleonore hingegen stand der Mund offen. Ihr wurde heiß. Er hatte es doch gehört, jedes einzelne Wort!
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