1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Ein unangenehmes Thema für Anita. Diese Bemerkung zielt immer in eine Region ihres Wesens, die sie für nicht mehr existent hielt.
„Das haben wir schon alles besprochen, Konrad. Ich bin nicht geeignet, dir als Frau zu dienen. Ich bin das, was ich bin, und ich bin es irgendwie gerne. Stell dir mal vor, was deine Kollegen von dir denken würden. Konrad hat eine Professionelle geheiratet! Dann wärst du einen Job los.“ Sie nippt an dem Wein. „Du hat einen guten Weingeschmack, Konrad. Da bin ich doch froh, dass wir zueinander gefunden haben. Auf unsere spezielle Beziehung!“
Sie sieht den Schatten, der über Konrads Gesicht huschte. Aber er atmet nur einmal durch, wie er es bei diesem Thema immer tat.
„Auf unseren Freitagabend!“ Konrad lächelt. „Ich hätte auch nie gedacht, dass das einmal mein Leben wird. Aber ich bin zufrieden, so, wie es ist. Und du bist einfach toll. Danke dir.“
Anita steht auf und deutet eine leichte Verbeugung an. „Stets zu Ihren Diensten, Monsieur. Wenn Sie zufrieden sind, bin ich es auch. Ich möchte diese Freitagabende auch nicht missen. Bei dir fällt es mir leicht, auch meinen Hintern hinzuhalten. Was ich sonst nicht tue!“ Sie kichert und Konrad greift sich lächelnd einen neuen Happen.
Konrad steht auf und geht zum CD-Player. Er legt eine CD ein, die er sich erst kürzlich gekauft hat. Les Chants d‘ Auvergne. Eine leise, zärtliche Frauenstimme klingt durch den Raum, begleitet von Klarinette und Fagott. Er zieht Anita zu sich heran und beginnt langsam mit ihr zu tanzen.
„Also, was interessiert dich an diesem Meteoriten?“, hakt er nach, während sie sanft durch den Raum schweben.
„Ich hätte auch gerne ein solches Stück Metall“, gibt Anita zu. „Weißt du, es ist schon aufregend, etwas zu besitzen, was so lange durch das All geflogen ist und was – weiß- ich gesehen hat. Alleine schon, es zu berühren und zu wissen, dass es Millionenmal länger durch das Universum gesaust ist als ich leben werden.“ Sie atmen leise und vorsichtig, als könnten sie die Musik und ihre Gedanken zu sehr stören. „Aber das sind nun mal Wünsche.“
Konrad überlegt. „Du könntest doch beim NDR anrufen und nachfragen, ob ein glücklicher Besitzer es dir erlaubt, das Stück Metall zu berühren“, schlägt er vor. „Versprich ihm eine Flasche Prosecco, und dann ist das vielleicht schon geritzt.“ Eine sanfte Drehung, ein Nachführen der Füße.
„Wie soll ich das machen?“, fragt sie. „Das ist mir zu gefährlich, falls ein Kunde die Sendung hört und meine Stimme erkennt. Dann ruft er vielleicht nach mir an und sagte: Das wäre doch toll! Dann würde eine Professionelle mal etwas anderes spüren. Und ich wäre dann vor allen Zuhörern lächerlich gemacht worden.“ Konrad spürt die Bitternis in ihrer Stimme und die leichte Verkrampfung in ihrer Haltung. Er beendet das Tanzen aber nicht, wiegt sich mit ihr nur leicht auf der Stelle, so, als wolle er neuen Schwung holen.
„Ich kann das ja für dich machen“, bietet Konrad an. „Für dich würde ich doch schon fast alles machen. Jedenfalls fast alles.“ Er grinst mit diesem lausbübischen Lächeln, dass sie an ihm mag. Es macht ihn jung und attraktiv, findet sie. Fast schon zu attraktiv. Sie entspannt sich wieder und wiegt sich mit ihm in dem Takt der sanften Frauenstimme. Nur ein paar Schritte noch, nur noch ein paar Atemzüge an dieser Schulter. Das gehört nicht zu ihrem Job, wie sie es nennt. Es ist irgendwie anders. Schön und doch fremd.
Anita umschlingt seinen Hals und legt ihren Kopf an seine breite Schulter. „Ja, das weiß ich, Konrad. Mache es für mich. Bitte.“
Nick Menning, der Spezialist zur Beurteilung von Autos, schließt die Haustür auf. Schon längst wollte er das Gelb der Tür überstreichen, weil es so aufdringlich für sein Auge ist. Aber Petra, seine Frau, liebt nun einmal Gelb. „Das erinnert mich an Sonne, auch an den dunklen Tagen. Und“, fügte sie oft mit einem Lächeln hinzu, „auch wenn du meine Sonne bist, gibt es doch einige trübe Tage.“ Nick streicht sich über das braune Haar, legt die Tasche zur Seite, nimmt sie in den Arm, drückt ihr einen Kuss auf den Mund und rasselt mit dem Hausschlüssel. Sofort kommt Anna, die mit 5 Jahren die Erstgeborene ist, angerannt.
„Papa, Papa!“, ruft sie und wirft sich in seine Arme. Freude und Stolz leuchten aus Nicks braunen Augen. Mit der unversehrten linken Hand streichelt er über Annas hellbraunes Haar und drückt ihr einen Kuss auf den Kopf. „Na, was meine Große heute so angestellt?“, fragt er und schaut ihr tief in die Augen.
Anna beginnt zu erzählen, was es so gab. „Mama hat mich beim Kochen mithelfen lassen“, berichtet sie stolz. „Ich kann das jetzt auch.“
„Dann kann mir ja nichts mehr passieren“, stellt Nick fest. „Und was habt ihr gekocht?“ „Nudeln und Tomatensoße“, verkündet Anna stolz, kann dann aber nicht berichten, weil Petra nun ihrerseits ihren Mann in die Arme nimmt und ihm einen Kuss gibt. Für sie ist es immer wieder der ersehnte Moment, wenn sie nicht weiter mit den Kindern alleine ist. Gemessen an ihrer früheren Aktivität als Angestellte des TÜV HANSA war es schon mehr als gewöhnungsbedürftig, von der Hektik des Berufs umzusteigen auf die Kinderversorgung und den Haushalt. Aber sie wollte schon immer eine große Familie haben, und nun sind es zwei Kinder, die den Alltag füllen. Nach ihrem Willen könnten es auch durchaus noch mehr sein. Nick hat auch schon sein Einverständnis bekundet, was ein drittes Kind angeht, aber mehr? Wie soll das finanziert werden? Eng wird es jetzt schon, wenn sie verreisen wollen, und es soll ja nicht immer der Stellplatz mit Wohnwagen und Zelt bleiben.
Er nimmt die kleine Anna auf den Arm und umarmt gleichzeitig seine Frau. Dann löst er sich wieder und geht mit Anna zu Noah, dem Jüngsten, hin, um auch ihn gebührend zu begrüßen. Noah macht gute Fortschritte, und er besteht mit Geschrei darauf, auch in den Arm genommen zu werden. Für Nick kein Problem, und nun schleppt er beide Kinder ins Wohn- und Esszimmer.
Petra bringt die dampfenden Nudeln und die Soße aus der Küche.
„Schön, dass der Rückweg leichter war als der Hinweg“, stellt sie eher vermutend als wissend fest und sieht fragend in seine Augen.
„So ist es, Petra. Es war der reinste Horror. Aber ich habe etwas Tolles erlebt.“
Sein Blick geht durch das Wohnzimmer mit den Möbeln aus dem Möbelhaus. Es war nicht unbedingt sein Geschmack, aber er konnte seine Wünsche nicht bei seinem Gehalt umsetzen. Das würde noch etwas dauern. Außerdem konnte jetzt mit zwei kleinen Kindern alles zuerst einmal aufgebraucht werden. Später war wohl mehr möglich. Noah, der kleine Junge, hangelt sich ihm schon entgegen, was, wie Nick meint, für einen Einjährigen schon eine gute Leistung ist. Noah ist ein Sonnenscheinkind, immer vergnügt und immer bereit, die Arme zu öffnen, wenn er ruft: „Wer hat den Papa lieb?“ Dann gibt es auch schon einmal kleine Eifersüchteleien mit der Schwester, aber das hält nie lange an.
Nick wäscht sich die Hände. „Und dann ab zum Abendbrot!“, ruft er vergnügt, während ihn Petra fragend ansieht. „Was hast du denn so Tolles erlebt?“. Er klopft auf seine Tasche und grinst. „Erzähle ich beim Abendbrot“, flüstert er ihr zu.
Sie sitzen um den Tisch herum. Der kleine Noah neben Petra auf dem Hochstuhl, Anna neben ihrem Papa. Petra hat Rührei und gemischten Salat gemacht, dazu gibt es Toastbrot und Käse. Alle trinken Tee. Das haben Petra und Nick so vereinbart, dass sie am Tisch mit den Kindern nie Alkohol trinken werden. Vorbildfunktion.
„Nun, was war, Papa?“, fragt diesmal Anna. „Was hast du erlebt?“ Sie erwartet, dass es wieder Geschichten vom Autokauf sind, die Papa erzählen wird. Das macht er gerne, und Anna fragt ihn dann immer genau aus.
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