„Ich bin Marlies, und ich finde es nicht richtig, dass du den Anbietern bei Ebay unterstellst, sie hätten keine echten Stücke. Ich habe leider nichts gefunden, aber wenn ich etwas finde, gebe ich das nicht für zwei Euro weg. Die haben doch Geld genug, um mehr zu bieten als Käufer bei Ebay.“ Marlies legt auf, bevor Conny antworten kann.
„Dann mache dich mal auf die Suche, Marlies. Es soll noch viele Stücke geben, die nicht gefunden wurden.“ Es ist deutlich zu hören, dass Conny sich lustig macht. „Erst mal Musik, bevor es mit den Anrufen weitergeht.“
Aktuelle Musik erklingt. Siegbert Murmel streicht sich über die Glatze. Er findet, dass dieser Meteorit in der Tat ein Geschenk des Himmels ist, denn das vorgesehene Programm sollte sich mit dem Ärger über KFZ- Reparaturen beschäftigen. Nicht gerade der neueste Hit, aber immer aktuell. Seine Gedanken werden immer noch von den gestrigen Erlebnissen in seinem Lieblingsbordell, dem Bluelight, abgelenkt. Marianne, seine Favoritin, hatte ihm alle Wünsche erfüllt und dann noch kostenlos, schließlich ist er ja Stammkunde bei ihr, noch ein Schmankerl kostenfrei draufgelegt.
„Sigi“, reißt in Conny aus den Träumen, „wie wollen wir das Gespräch lenken? Eher so in Richtung Unterstützung der Astronomen oder Verständnis für die Ebayer?“
Siegbert schüttelt den Kopf. Der Themenwechsel in seinem Kopf ist ihm zu abrupt.
„Wir sollten zuerst sammeln und sehen, wohin die allgemeine Richtung geht und dann genau das Gegenteil machen“, schlägt er vor. „Das bringt Spannung in die Sache. Silke kann ja mal schnell nachsehen, was wir alles so zu diesem Thema haben. Wäre nicht schlecht, wenn wir da ein bisschen kompetent daständen.“
Conny nickt. Silke Mehrer schlägt den Computerwieder auf und flüstert, dass sie die Stichworte Komet, Meteorit und Sternschnuppen eingegeben hat. Dann macht sie die kreisende Handbewegung, und das bedeutet, dass sie alle relevanten Beiträge auf die Monitore der Kollegen umleiten wird. Siegbert ist zufrieden. Das Thema ist gerettet und mit Marianne hat er einen Termin ausgemacht, der am kommenden Sonntag sehr früh liegen wird. Er möchte mal der erste Mann zu Beginn von Mariannes Schicht sein. Wenn er wie gewöhnlich erst spät kommt, hat sie schon etliche Kunden hinter sich. Er glaubt, dass das sich auf ihn auswirkt.
„Wo sind deine Gedanken, Sigi?“, scheint der Blick von Silke zu bedeuten, die ihn ganz deutlich mit den Augen fixiert. „Jedenfalls nicht bei dir“, würde Siegbert gerne antworten, denn die Vorstellung, mit einer Frau im Bett zu liegen, die drei Kinder und eine deutliche Zahnlücke oben rechts hat, turnt ihn nicht an.
„Und hier ist wieder NDR 2, hier ist Conny, und unser Thema ist immer noch der Meteorit. Hallo Sonja! Du hast den nächsten Beitrag.“
„Und ich habe ein echtes Stück des Meteoriten, Conny“, kommt die schnelle Antwort. „der heutige Morgen hat mir nicht nur ein Stück des Meteoriten eingebracht, sondern auch die Bekanntschaft eines ganz netten Autofahrers, ohne den das alles nicht Wirklichkeit geworden wäre.“ Bevor der Kollege noch einmal anrufen konnte, wollte sie doch selbst die Sache schildern.
„Du machst uns neugierig, Sonja. Erzähle uns alles. Alles bleibt unter uns, versprochen!“
Conny lacht selbst über seinen Witz, aber eine Handbewegung Silke Mehrers lässt ihn wieder ernst werden. „Leg los!“
„Also, heute Morgen steckte ich in diesem verflixten Stau auf der Langenhorner Chaussee, und ich hatte es wie immer eilig. Auf der Höhe Flughafen habe ich einen anderen Fahrer gefragt, ob er einen Umweg kennt. Der ist doch dann tatsächlich vor mir hergefahren und hat mich um den Stau herumgelotst. Dass es solche Autofahrer gibt, hätte ich nicht vermutet. Jedenfalls gab es hinter dem Flughafen wieder einen kleinen Stau, und da sahen wir, wie ein kleines Feuer vom Himmel fiel. Was soll ich sagen? Es war ein Stück des Kometen. Wir konnten sehen, wo er einschlug. Also rannte wir beide dorthin und er buddelte dann das Eisenteil aus. War noch sehr heiß. Die Erde hat ein wenig gedampft. Das Eisenstück sah aus wie eine zerfledderte Hantel. Als es dann abgekühlt war, hat mein Retter es dann mit ein paar Bewegungen zerbrochen. Nun hat er ein Stück und ich auch.“
„Das ist ja eine tolle Geschichte, Sonja“. Conny hebt den Daumen und Sigi nickt. „Und was machst du jetzt mit dem Meteoritenstück?“
„Das kommt in meine Vitrine. Außerdem habe ich mir an einer scharfen Bruchstelle eine kleine Verletzung zugezogen. Nun bin ich wohl Weltraumgeschädigte, oder?“ Sie hören ihr Lachen und stimmen ein. „Sogar Meteoriteninvalide“, stimmt Conny zu. „Da hat sich dem Umweg ja gelohnt.“
„Darf ich meinen Retter kurz grüßen, Conny?“ „Klar doch. Er hört sicher zu.“
„He, Nick, du hast mir heute Morgen geholfen. Durch dich bin ich auch zu dem kleinen Stück des Meteors gekommen. Nochmals vielen Dank und ganz liebe Grüße. Vielleicht treffen wir uns beim nächsten Stau wieder.“
„Das wäre doch toll“, ergänzt Conny, das Gespräch wieder an sich reißt. „Und für Nick, den Retter im Stau und dem Finder des Kometenstücks, kommt nun das nächste Musikstück. Nur für dich, Nick!“
Die Musik erklingt. Conny hebt den Daumen. Silke Mehrer nickt. „Ein toller Beitrag“, findet Sigi Murmel. „Da bin doch gespannt, ob sich dieser Nick auch meldet. Ich gebe der Vermittlung Bescheid, dass er bevorzugt eingestellt wird.“
Schließlich sind es vier Finder, die sich über NDR outen. Nick, Sonja, Swantje und Gernot. Natürlich wird nicht nach Adressen oder vollem Namen gefragt, aber bei der Anmeldung zum Gespräch werden Namen und Telefonnummern notiert.
Gesellschaft für Volkstümliche Astronomie e.V. Außenstelle Handeloh
Dr. Petersen gilt als sehr umgänglich. Seine Geduld mit den Besuchern in der Außenstelle Handeloh ist schon fast sprichwörtlich. Dabei sorgt seine hohe, magere Statur eher dafür, dass die Besucher den Eindruck haben, er schaue von oben auf sie herab. Mit seinen knapp 2 m Größe sieht er wegen der schlanken Figur eher wie ein wandelnder Pfahl aus, der sich unten in zwei lange Beine spaltet, aus dem oben zwei Seitenäste heraussprießen und auf dem als Krönung ein lockiger Kopf sitzt, der ständig den Eindruck erweckt, er könne nach hinten oder vorne kippen. Dr. Peters trägt nie Anzüge, immer das, was er lockere Freizeitbekleidung nennt. Seine braunen, warmen Augen strahlen viel Lebensfreude aus, obwohl er selbst sagt, dass sein Beruf als Physiklehrer alles andere als ein Zuckerschlecken sei. Aber das behauptet er gerne, bevor er hinzufügt, dass er für genau diesen Beruf lebt. Die Aufgabe als ehrenamtlicher Leiter der Nebenstelle in Handeloh hat er sofort angenommen, als die Bitte an ihn herangetragen wurde. Er wohnt schließlich in Handeloh und kann die Außenstelle über den Planetenweg jederzeit zu Fuß erreichen. Werner, das ist sein Vorname, und wenn er nicht gerade in amtlicher Funktion unterwegs ist, lässt er sich gerne so nennen, hat seinen Beruf zu seinem Hobby gemacht. Die Astronomie ist seine große Leidenschaft.
Direkt dahinter, wenn nicht sogar gleichzeitig, kommt Henning, sein Lebenspartner. Gemeinsam haben sie in Handeloh ein Haus und ein Grundstück gekauft, und es dauerte eine ganze Zeit lang, bis die doch eher konservative Gesellschaft in Handeloh die Lebensgemeinschaft der beiden Männer akzeptiert hatte. Man hat sich schnell darauf geeinigt, dass sie bei den Dorffesten nicht unbedingt als leibendes Paar in Erscheinung treten, aber das war sowieso nicht im Sinne von Dr. Class Petersen.
Schwieriger war es in der Schule. Neben den üblichen Witzen und verstreckten Andeutungen kam es durchaus auch zu direkten Anfeindungen aus dem Kollegium, aber die Souveränität, über die Dr. Petersen verfügte, ließ die ewig Gestrigen schnell verstummen.
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