Seine beiden Mitarbeiterinnen in der Außenstelle, Monika Stolz und Sabine Keller, haben keinerlei Vorurteile, ja, sie finden es sogar prima, nicht unter Machogehabe zu leiden. Die Rollen in der Außenstelle sind klar verteilt, und im Prinzip kann jeder jeden vertreten.
Normalerweise sind die Besuchermassen übersichtlich, aber das Ereignis des Meteoriten über Hamburg hatte einen regelrechten Hype entfacht, der durch die regelrechte Schatzsuche, die nun einsetzte, noch verstärkt wurde.
„Der Himmel hat für die Hamburger und die Dörfer rings um uns herum eine völlig neue Bedeutung erhalten“, meinte Dr. Petersen. „Wenn das so weitergeht, müssen wir uns nach Verstärkung umsehen, denn wir sollten dann an einem weiteren Tag öffnen.“ Er lächelte kurz und fügte hinzu. „Ich meine natürlich an einem weiteren Abend.“
„Ich könnte dienstags“, meldet sich Monika Stolz. „Mein Lebenspartner Peter hat da ohnehin Nachtschicht bei der HVV.“ Dr. Petersen nickt. „Eine Person reicht aber nicht aus, da muss ich erst mal mit Henning reden. Der fühlt sich sowie schon von mir vernachlässigt. Und wie sieht es bei Ihnen aus, Frau Keller?“
Sabine Keller greift in ihr dichtes braunes Haar und scheint sich daran festzuhalten. Sie ist geschieden und hat mit ihrem Ex-Ehemann Walter vereinbart, die Versorgung der beiden Kinder gemeinsam zu organisieren.
„Ich werde mit Walter reden, ob da etwas machbar ist. Ich bin eh schon selten genug mit meinen Beiden zusammen. Aber ich werde das klären.“
„Wir könnten uns doch auch beim NDR melden und nach Ergänzung suchen. Gerade jetzt läuft das Thema doch gut, und ich sich sicher, dass in Hamburg genug Hobbyastronomen herumlaufen, die gerne hier mithelfen, wenn es auch ziemlich am Ende der Welt liegt.“ Monikas Hinweis wird von Dr. Petersen sofort aufgenommen.
„Handeloh liegt doch noch innerhalb der Reichweite des HVV“, stellt er fest. „Das dürfte doch kein Problem sein. Ich werde, wenn Sie zustimmen, mal beim NDR vorfühlen.“
Monika Stolz und Sabine Keller nicken.
„Wir werden da auch so organisieren, dass wir um Voranmeldungen per Email bitten“, fährt Dr. Petersen fort. „Dann können wir das Aufkommen besser steuern und so eine Überlastung der Anlage vermeiden.“
Konrad Menthel ist Oberkommissar bei der Kripo Hamburg. So lange er zurückdenken kann, wollte er schon immer bei der Polizei arbeiten, und das, obwohl seine beiden Eltern immer viel Abstand von der Polizei hielten. Das lag daran, dass sie Verfechter der freien Nutzung von Hasch waren, und nichts konnte sie davon überzeugen, dass das Gesetz über ihrem Genuss stand. „Sieh dir doch an, wie viele Säufer es gibt, Konrad“, argumentieren sie noch heute, wenn Konrad mal ein Wochenende im Haus seiner Eltern verbringt und sich über den Geruch von Cannabis aufregt. „Denk mal an die vielen Toten und die hohen sozialen Kosten, die Alkohol aufwirft. Und was tut der Staat dagegen?“ Sie warten die Antwort nicht ab und geben sie selbst. „Nichts. Denn er verdient ja dran. Oder die Raucher. Wie gefällt es dir, die Bilder auf den Zigarettenschachteln zu sehen? Raucherlungen, Krebs, Raucherbeine, Amputationen. An einem Joint ist noch keiner gestorben, oder?“
Konrad Menzel, mittlerweile 39 Jahre alt, Nichtraucher und Seltentrinker, lächelt milde. Was soll er auch sagen? Er liebt seine Eltern und versucht, sie so gut es geht zu verstehen. Immerhin ist er nicht bei Drogenabteilung, sondern bei der Mordkommission.
Er ist ledig, wie er immer wieder mit leicht leidender Stimme verkündet. Dabei liegt es nicht an ihm, wie er immer betont. Er hätte gerne geheiratet, sofort. Mit 1,82m und athletischen 72 Kg war er trotz des beginnenden Haarausfalls ein attraktiver Mann. Judo, Boxen, Ringen und Leichtathletik hielten ihn fit. Aber er hatte eine Achillesferse, wie er immer wieder feststellte. Es waren seine inneren Wünsche nach einer bestimmten Form der Sexualität, die ihm Probleme machten. Dabei war es nichts Perverses, was ihm so vorschwebte, nichts, was einer Partnerin dauernden Schaden verursacht hätte. Es war viel einfacher, wie er selbst meinte. Aber das, was in den Pornofilmen immer wieder als so selbstverständlich dargestellt wurde, erwies sich im Leben als sehr schwierig. Mit dieser Last umzugehen, das ist sein Problem.
Seine erste Freundin Petra hatte ihn schon beim ersten Zusammentreffen überwältigt. Rotes Haar, seine Leidenschaft. Schlanke, sportliche Figur, begeisterte Tänzerin, klug und trotz der jungen Jahre – er war gerade 19 Jahre und sie 17 Jahre alt- schon mit einer Mischung von Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit versehen, die ihn sofort begeisterte. Dass er in der Polizeischule war, störte sie nicht. Das Gemeinsame war ihr wichtig, die Grundprinzipien, wie sie immer sagte. Alles schien wunderbar zu laufen. Auch der erste Sex, mehr ein unbeholfenes Herantasten an den Körper des Anderen als ein großes Erlebnis, war von einem gewissen Strahlen erfüllt, das durchaus ausreichen konnte, um ein langes Leben zu verschönern. Es war, wie Petra sagte, der Vorgeschmack auf das Versprechen der großen Liebe. Konrad war ihr völlig verfallen, und er zählte immer schon die Stunden, bis er wieder mit ihr zusammen sein konnte. Sie stand kurz vor dem Abitur und hatte schon große Pläne mit Studium und Beruf. Journalistin wollte sie werden. Dann erhielten sie von Christine, Petras Freundin, eine ominöse Einladung.
„Wir veranstalten eine intime Party mit tollem Essen, Tanzen und zum Abschluss gibt es einen guten Pornofilm, den Jochen ausgesucht hat. Wir würden uns freuen, wenn ihr mit von der Party sein könntet.“
Dann folgte die Liste der weinigen Eingeladenen, mit denen Petra und Konrad aber schon seit gut einem Jahr vertraut waren. Petra sah ihn fragend an. Porno? Sie formte das Wort mit den Lippen, als sein es ein Geheimnis, das sie fortan mit allen anderen tiefer verbinden würde als eine gewöhnliche Freundschaft. Ihr Gesicht war etwas gerötet. Jochen spürte die Unsicherheit. Trotzdem nahm er sie in den Arm und meinte, dass das doch mal eine schöne Sache wäre. So in der Freundesrunde einen Porno zu sehen, schließlich seien sie ja erwachsen. Petra nickte, wenn auch etwas unsicher.
So kam es, dass Konrad zum ersten Mal einen Hartcoreporno zu sehen bekam. Die Handlung war wie immer simpel gestrickt: oral, vaginal, anal. Dazwischen ein paar dünne Dialoge und das stereotype Hecheln und Stöhnen. Trotzdem starrten alle gebannt auf den Fernseher, auf dem der Film lief.
Konrad spürte, dass es eine gewisse Szene gab, die ihn nicht mehr losließ. Während er bei dem Wechsel von oral über vaginal zu anal kaum den Blick abwenden konnte, sah Petra einfach nur nach unten. Er spürte die verkrampfte Haltung und versuchte, sie durch leichtes Streicheln zu entspannen. Aber es half nicht. Das Gekicher und die beifälligen Kommentare der Freunde machten es für Petra noch schwieriger, und sie rutschte auf dem schwarzen Ledersofa unruhig und unsicher hin und her.
Sie tanzten nach dem Porno noch eine paar Runden, aber es war klar, dass die Freunde von dem Film so angeregt waren, dass sie schnell ihre Privatsphäre haben wollten. Dieses Wissen um die Wünsche der Anderen setzte Petra noch mehr zu. Sie wollte einfach nur nach Hause. Weg von dieser zu intimen Szene. Gekünstelt fröhlich und aufgekratzt verließen sie die Freundesgruppe.
Für Petra war klar, dass sie diesen Abend nicht wiederholen wollte. Es ging ihr zu sehr gegen ihre eigenen Vorstellungen von gutem Sex. Für Konrad aber lief es anders. Immer wieder, wenn er mit Petra zusammen war, kamen die Bilder von oralem, vaginalen und analen Sex auf. Zunächst eher sanft, wie ein Wind im Sommer, dann aber immer stärker, wie ein Herbststurm.
„Könntest du dir vorstellen, dass wir das auch mal so probieren können wie im Porno?“, fragte er Petra leise. „Das hat mich so angemacht.“
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