„Geht auch mal ohne. Also, bis dann. Kein Alkohol, aber essen und reden.“ Sie legt auf.
Thomas schwitzt. Was ist in ihn gefahren? Schnell mustert er die Wohnung und fängt hektisch an aufzuräumen. Er freut sich auf Gerlinde. Er will sie nicht enttäuschen.
Es bleibt wirklich bei Essen, Tee und Reden. Thomas ist charmant und aufgeräumt. Das hat ihm gefehlt, das weiß er jetzt.
„Hast du die Nachrichten über den Meteoriten über Hamburg gehört?“, fragt er Gerlinde.
„Klar, der NDR war voll davon. Diese Glückspilze, die davon etwas finden. So was passiert mir nie.“
Thomas zögert nicht mehr. Er kann ihr voll vertrauen.
„Du, mir ist ein Stück davon direkt vor die Füße gefallen. Auf der Werft. Aber das muss unser Geheimnis bleiben, denn alles, was dort rumliegt, egal woher, ist Eigentum der Lufthansa.“
„Du willst mich verarschen, Thomas.“ Gerlinde verzieht verärgert das Gesicht. Er hat es doch nicht nötig, mit kleinen Lügen anzugeben. Das findet sie nicht gut.
„Du zweifelst? Du denkst, ich lüge?“ Thomas spürt ihre Unsicherheit.
„Ich kann es dir zeigen. Du kannst es anfassen. Aber bitte niemandem etwas sagen, auch Louise nicht. Klar?“
Sie nickt begeistert und skeptisch zugleich. Thomas nimmt ihre Hand und führt sie zur Anrichte. Unter einem Tuch liegt das kleine Stück geschmolzenes Metall. Er zieht das Tuch mit einer raschen Bewegung weg.
„Da!“ Er nimmt ihre Hand und lässt sie sanft über das Metall hinweggleiten. Gerlinde hält den Atem an. Sie ist begeistert. Von Thomas und dem Stück des Meteoriten. Die Wärme, die von dem Metall ausgeht, wandert durch die Finger in ihren Körper.
Der lange Tisch scheint den Raum zu teilen. Auf der einen Seite liegen die Fenster, durch die das helle Tageslicht fällt. Ein paar Kakteen und ein großer Pfennigbusch fristen dort ihr Dasein. Ohne die Sekretärin wären die Pflanzen wohl schon eingegangen. Seit der Arbeitszeitverdichtung der Raumpflegerinnen im Gebäude des NDR hatten es die Pflanzen schwer. Nun waren sie darauf angewiesen, dass die Sekretärin ab und zu an Wasser dachte. An blühende Pflanzen war überhaupt nicht zu denken. Auf der anderen Seite hingen an der weißen Wand ein paar Drucke von Hamburg. Nichts Aufregendes und vor allem nicht Originelles. Der Vorschlag, dort gelungene Fotos der Mitarbeiter als Wechselobjekte aufzuhängen, fand keine Mehrheit. Über dem langen Tisch hängen die Deckenstrahler, deren unbarmherziges Licht keine fleckige Haut verzeiht. Die in den Tisch eingearbeiteten Anschlüsse für Computer sehen bei oberflächlicher Betrachtung aus wie Warzen. Vor jedem der Stühle liegt eine kleine Mappe.
Langsam füllt sich der Raum mit den Konferenzteilnehmern. Nicht alle Stühle sind besetzt. Es ist eine spontane Konferenz der aktuellen Besetzung in der Tagesschicht. Als Erste treffen Siegbert Murmel, Leiter Aktuelles, und Silke Mehrer, Leiterin Sonderthemen, ein.
Siebert Murmel ist 51 Jahre alt, hat eine glänzende Glatze, die er selbst ganz toll findet. Er lebt in einer schönen Wohnung in Winterhude. Von den drei Räumen ist einer vollgestopft mit Büchern zur Zeitgeschichte. Er selbst bezeichnet sich als „mitten im Leben stehend“, ist ledig und hat auch nicht die Absicht, dies zu ändern. Sein Körper ist eher asketisch, und wenn er in seiner Freizeit nicht gerade in seinem Lieblingssportstudio herumhängt, beschäftigt er sich mit der Tagespolitik. Es gibt angeblich nichts auf diesem Gebiet von dem er keine Ahnung hat. Am Wochenende gönnt er sich regelmäßig einen Besuch in einem Norderstedter Bordell. Es gibt vier „Lieblingsdamen“, wie er sie nennt, die er im Wechsel aufsucht. Alle in der Radaktion wissen und akzeptieren das. Einmal hat eine Praktikantin versucht, ihn auf ihre Seite zu ziehen, aber Siegbert hat ihr schnell klargemacht, dass sie zu wählen hat zwischen kollegialem Umgang oder Ende des Praktikums. Siegbert behauptet von sich, dass er eine feste Beziehung mit nur einer Frau so sehr fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Während seines Studiums in Literaturwissenschaft, Politik der Neuzeit und Journalistik hatte er eine feste Partnerschaft, musste aber schon damals feststellen, dass eine Frau für ihn nicht ausreichend war. An das, was dann folgte, erinnert er sich nur ungerne. Aber schon damals fand er für sich heraus, dass er unkomplizierten Sex mit wechselnden Partnerinnen bevorzugte.
Silke Mehrer, die 42-jährige Leiterin des Ressorts Sonderthemen ist da ganz anders gestickt. Obwohl sie verheiratet ist und drei Kinder hat, ist sei eine überzeugte Verfechterin der Einehe, die ein ganzes Leben halten soll. Das hat für sie keine religiösen Gründe, denn Silke Mehrer ist so religiös wie ein Handtuch, aber sie ungeheuer praktisch und bindungsfest. Ihr Mann Jonas ist Kfz- Mechanikermeister mit eigener Werkstadt in Langenhorn. Sein Spezialgebiet ist die moderne Elektronik, aber er behauptet, alles, was mit einem Auto zu tun habe, könne er auch verstehen. Sein Ruf ist ausgezeichnet, und sein Ehrgeiz besteht darin, dass alle Autos, die wochentags die Plätze auf seinem Hof belegen, am Freitag um 17.00 h repariert sein müssen. Nur selten schaffen er und seine Leute das nicht. Jonas Mehrer ist der erste Kfz-Meister, der in seinem Betrieb auch gleich zwei weibliche Gesellen beschäftigt, und er ist damit sehr zufrieden.
Siegbert Murmel blickt durch die Panoramascheibe, die Konferenzraum und Studio trennt und nickt Conrad Meyer zu, der sich gerne selbst als Conny ankündigt und heute das aktuelle Programm moderiert. Conny hebt den Daumen und fährt die Musikeinlage herunter. Die Sendung wird in den Konferenzraum übertragen, wenn auch etwas leise, um die Besprechungen dort nicht zu stören.
„Und da bin ich wieder, euer Conny, und wie immer gibt es neue Informationen zu dem Thema, das ganz Hamburg beschäftigt. Der geheimnisvolle Meteorit. Kaum zu glauben, was sich da im Internet getan hat. Angebote über Angebote! Hier ist eines von Ebay: „30 g schweres Teilstück des Meteoriten abzugeben. Es ist in meinem Garten niedergegangen. Ich habe es sogar beim Fallen mit dem Handy aufnehmen können. Startgebot 300 Euro.“ Soweit das Angebot. Ich habe mal nachgerechnet, wie viel mittlerweile angeboten wird und komme auf etwa 4,5 kg. Das muss schon ein gewaltiger Brocken gewesen sein, der unseren Hamburger Himmel geteilt hat. Also, ich sage mal, dass nicht alles korrekt ist, was das angeboten ist. Ruft an und teilt uns eure Meinung mit. Die Telefonnummer ist bekannt. Wir stellen so viele wie möglich in dieser Sendung durch.“ Er hebt den Daumen, und die Musik setzt wieder ein. Siegbert Murmel hebt fragend die Augenbrauen und zeigt in Richtung Silke Mehrer. Er liebt es nicht, wenn sich seine Redakteure in gegenseitiger Konkurrenz selbst zerlegen. „Das hätte er mal besser mit dir absprechen müssen“, murmelt er Silke zu. „Du hast doch sicher auch so was vor.“
„Nicht in dieser Richtung, eher etwas Seriöses“, murmelt sie zurück. „Aber mal sehen, was sich so ergibt.“
Der Monitor zeigt in rascher Folge die Anzahl der Anrufer. Es sind schon mehr als zehn, die ihre Erlebnisse mit dem Meteoriten loswerden wollen. Conny fährt die Musik herunter.
„Das rauscht ja schon ganz schön im Blätterwald“, versucht er zu scherzen. „Ich meine natürlich, dass die Drähte glühen. Unser erster Anrufer ist in der Leitung.“ Er tippt eine Rufnummer an. „Mit wem spreche ich?“
„Conny, ich bin Thomas und rufe aus Wedel an. Das mit den Angeboten ist doch alles Betrug. Wenn das seriös ist, sollten die doch die Bruchstücke nicht verhökern, sondern den Astronomen zur Verfügung stellen.“ „Das ist eine gute Idee, Thomas“, stellt Conny fest. „Thomas, würdest du denn auf Gewinn beim Verkauf verzichten? Immerhin geht es nicht um 2 Euro pro Gramm, sondern um deutlich mehr Kohle.“ „Ich denke, der Hamburg Meteorit gehört allen Hamburgern, Da sollten zwei Euro pro Gramm genug sein.“ „Danke Thomas“, beendet Conny das Gespräch. „Du scheinst ja zu den Freunden Hamburgs zu gehören. Mal sehen, was der nächste Anrufer meint.“ Er drückt auf eine andere Nummer, die gerade aufgepoppt ist. „Mit wem spreche ich?“
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