„Das ist nun er dritte Unfall, der heute Morgen in kurzer gemeldet wird“, stellt er fest. „Offenbar hat wieder jemand versucht, beim Fahren den Himmel abzusuchen. Die Experten von der Sternwarte haben festgestellt, dass ein Objekt von mindestens 80 cm Durchmesser in der hohen Atmosphäre auseinandergebrochen ist. Es muss wohl ein kohlenstoffhaltiger Meteorit gewesen sein. Die Astronomen haben jedem, der ihnen ein Teil des Objekts bringt, eine Belohnung von zwei Euro pro Gramm versprochen. Da lohnt es sich schon, auf den himmlischen Niederschlag zu achten. Obwohl jetzt nur noch winzige Trümmerteile in der Atmosphäre verglühen, könnte das doch ein Hinweis darauf sein, wo die vermutlich metallenen Brocken heruntergekommen sind. Seien Sie also vorsichtig, liebe Autofahrer. Augen noch vorne, nicht nach oben!“
Nick denkt an die zwei Euro pro Gramm. Wenn so ein Trümmerstück ein Kilo auf die Waage bringen sollte, wären das schon 2000 Euro. Nicht schlecht.
Vor ihm steigt die Blondine aus, sieht sich kurz um und kommt zu ihm ans Autofenster.
„Kenn Sie einen Umweg nach Großflottbek?“, fragt sie. „Ich habe es ziemlich eilig, und nun dieses Durcheinander hier.“ Nick nickt. „Biegen in den Weg Beim Jäger ein und lasse Sie mich vorfahren, dann lotse ich Sie zum Nedderfeld. Von da können Sie zur A7. Bahrenfeld dann raus und schon sind Sie in Großflottbek.“ Er macht eine Pause, zumal sich der Autokorso nicht bewegt. „Wissen Sie, was hier eigentlich los ist? Ich habe das mit dem Meteoriten wohl nicht mitbekommen. War noch zu früh.“
„Ja, das weiß ich. Die haben einen Meteoriten bemerkt, der auf einer völlig verrückten Bahn in die Erdatmosphäre eingetreten ist. Da es sich um kein besonders großes Objekt gehandelt hat, dachte man, es würde völlig verglühen. Aber offenbar waren Eisenteile in ihm enthalten, die den Erdboden erreicht haben. Kleine Kohlenstück oder was das ist schwirren noch durch die Atmosphäre und verglühen. Normalerweise würde das keine Meldung wert sein, aber es war wohl die Bahn, die so ungewöhnlich war.“ Die Blondine sieht ihn an, als ob er mit dieser Bemerkung viel anfangen könnte. Sie sieht aber in seinem Gesicht, dass das wohl nicht der Fall ist.
„Es ist so, dass Meteoriten offenbar eine bestimmt Zugbahn im All haben. Sie kennen das doch sicherlich von den Meteoritenschwärmen im Frühjahr und Herbst. Da rennen doch alle nachdraußen, um die verglühenden Staubteile zu sehen. Die Geminiden und Perseiden sind doch bekannt. Das sieht dann so aus, als kämen sie aus dem Sternbild Zwillinge oder Perseus.“
„Ich verstehe immer noch nicht so richtig“, stellt Nick fest. „Was hat das mit diesem Meteoriten zu tun?“
„Na ja, der scheint entgegen der allgemeinen Richtung geflogen zu sein.“ Die Blondine sieht ihn immer noch gespannt an. Ob die Informationen ihm helfen würden? Eher wohl nicht, wie sie feststellt. „Einer der ganz Schlauen, die sich immer sofort auf das Telefon stürzen, um ihr Wissen preiszugeben, hat als Kommentar dazu abgegeben, dass es wohl der Jupiter gewesen war, der den Meteor so abgelenkt hat, dass er falsch herumflog.“
„Und das kommt offenbar selten vor“, wiederholte Nick. „Obwohl das sicher keinen darauf hat, aus welchem Material er besteht. Meteorit ist doch Meteorit. Oder nicht?“
Die Blondine lächelt.
„Bevor Sie mich hier als Expertin für Meteoriten ansehen, was definitiv nicht stimmt, denn ich weiß nur, was da heute Morgen gesagt wurde, will ich mich erst mal vorstellen. Ich heiße Sonja Schwenk, sagen Sie einfach Sonja.“
Sie reicht nicht die Hand. Der nickt ihr zu, ergreift die Hand und meint: „Nick Menning, einfach Nick. Sie sehen da an meinem Kennzeichen: HH – NM. Freut mich, jemanden zu treffen, der morgens wirklich zuhört, was im Radio gesagt wird.“ Sonja muss lachen. „Nicht nur zuhören, sondern sogar die Staumeldungen überhören, wie Sie sehen.“
„Und was hat das mit dem Geld auf sich, das es für diese Eisenteile geben soll?“, fragt Nick nach und sieht gespannt in das blasse Gesicht der blauäugigen Blondine. „Die Astronomen sind hinter dem Kram her. Sie haben zwei Euro pro Gramm versprochen, und nun suchen alle nach den Aufschlagorten. Das könnte sich ja lohnen.“
Nick sieht nach vorne und erkennt die ersten Bewegungen in der Blechschlange. „Es geht weiter. Fahren Sie in den Weg Beim Jäger, dann kann ich Sie lotsen.“ Die Blondine hastet zu ihrem Auto und steigt an, gerade noch rechtzeitig. Die Hamburger Autofahrer neigen stark dazu zu hupen, wenn sie sich ausgebremst fühlen.
Ganz langsam geht es weiter, aber dann führt die Blondine in den Weg Beim Jäger. Nick überholt und setzt sich vor sie. Hier geht es zwar auch nur langsam weiter, aber es geht schneller als auf der Chaussee.
Sonja hält sich dicht hinter ihm Nick hofft, dass sie ihm bei diesem geringen Abstand nicht auffährt. Es geht ganz langsam an den Terminals vorbei, dann beschleunigt sich der Verkehr, und das Schlimmste scheint überstanden. Nick steuert in Richtung Kollaustraße, um Sonja den Weg zur Osterfeldstraße zu zeigen, die zur A7 führt. Nun geht es zügig voran, und er denkt schon an seine Aufgaben in der Firma. Aber ein Blick in den Rückspiegel zeigt ihm, dass Sonja ganz dicht hinter ihm ist. Ob sie den Weg zur A7 wirklich ganz alleine findet, fragt er sich. Er könnte doch in der Firma anrufen und mitteilen, dass er sich verspätet. Dann hätte er Zeit, den großen Ortskundigen zu spielen und die nette Blondine bis zur Auffahrt auf die A7 zu führen. Das erscheint ihm eine gute Idee, und er aktiviert Bluetooth und ruft seine Firma an.
„Ich stecke im Stau“, erklärt er. „Ich werde mich wohl 20 Minuten bis eine halbe Stunde verspäten.“
„Kein Problem, Nick“, tönt es ihm entgegen. „Die Hälfte des Personals steckt im Stau. Sieh zu, dass du gesund und ohne Blechschaden hier ankommst.“
Nick ist zufrieden. Bei der ersten roten Ampel hastet er zu Sonja, die das Fenster herunterdreht. „Ich werde Ihnen den Weg zur A7 zeigen. Fahren Sie einfach hinter mir her.“ Dann hastet er zurück. Gerade noch rechtzeitig, um bei Grün loszufahren.
Nick konzentriert sich auf die Straße, denn die Sache mit dem Umweg ist nicht nur ihm eingefallen, sondern auch anderen Autofahrern, die nun dabei sind, einen neuen Stau aufzubauen. Da blendet Sonja ihr Fernlicht auf. Nick sieht es sofort, denkt an eine Motorpanne und bremst ab.
„Haben Sie das gesehen, Nick?“, fragt sie atemlos, nachdem sie ausgestiegen und zu Nick gehastet ist.
„Was soll ichgesehen haben?“, fragt er. „Den kleinen Lichtblitz auf der rechten Seite.“ Sie zeigt hinüber. „Das sah so aus, als wäre dort ein Stück des Meteoriten heruntergefallen.“ Sie ist aufgeregt und fuchtelt mit beiden Händen herum. Hinter Ihr geht ein Hupkonzert los. „Sind Sie sicher?“, fragte Nick und sieht sie zweifelnd an. „Offenbar sind Sie die Einzige, die das gesehen hat.“
„Ich bin ganz sicher. Die anderen haben es vielleicht für einen Lichtreflex gehalten.“
„Und was nun?“, fragt Nick, dem das Hupen auf die Nerven geht. „Sollen wir nun die Autos hier abstellen und nach dem Stück suchen?“
„Auf jeden Fall sollten wir das tun“, schlägt Sonja vor und gibt den nachfolgenden Autos ein Zeichen. Das Hupen wird noch lauter. „Fahren wir in die Bucht da vorne“, meint Nick, dem wieder diverse Blondinenwitze einfallen. Sie fahren ein Stück vor und parken in der Straßenbucht. Aus den vorbeifahrenden Autos werden ihnen wütende Blicke und einige Stinkefinger geschenkt. Nick zuckt mit den Schultern und zeigt einfach auf Sonja.
„Und wo soll das Stück niedergegangen sein?“, fragt er. „Da drüben, nahe beim Zaun. Ich habe gesehen, wie es dort aufschlug.“ Sonja zeigt in die Richtung. „Da sollten wir suchen, aber so tun, als hätten wir etwas verloren.“
Читать дальше