„Wie denn das, wenn wir hier einen Umweg fahren?“, fragt Nick entgeistert zurück. „Das fällt doch sofort auf.“ „Dann sollten wir uns auf die Büsche dort zubewegen. Jeder wird denken, dass wir die Blase leeren müssen. Das ist verständlich bei einem so langen Stau. Also?“
Nick kommt sich blöde vor. Er hat das Blitzen nicht gesehen. Im Grunde genommen fühlt er sich von der Blondine, die sich Sonja nennt, überrumpelt. Aber nun steht er schon einmal hier. Da kann er auch zu dem Zaun hingehen. Immerhin gibt es 2 Euro für ein Gramm des Meteoriten. Bei einhundert Gramm hätte sich der Umweg schon gelohnt.
Das Gras ist trocken, und Nick und Sonja eilen zu der Buschgruppe vor dem Zaun. Nick stellt sich so hinter die Büsche, dass alle Autofahrer denken müssen, er hätte ein dringendes Problem. Sonja hat sich ein wenig entfernt, was ja auch angemessen ist, wenn ein Mann die Blase entleert. Sie geht am Zaun hin und her, so, als würde sie auf Nick warten, aber sie inspiziert den Boden.
„Nick“, ruft sie leise. „Hier!“ Nick tritt verwundert hinter den Büschen zurück. Sollte Sonja Recht behalten mit ihrer Beobachtung? Er geht auf sie zu. Mittlerweile nimmt niemand mehr auf der Straße von ihnen Kenntnis. Alle wollen nur schnell weiter.
„Sehen Sie, ich habe es doch richtig gesehen!“, triumphiert Sonja. „Da, der frische Einschlag.“
Nun sieht Nick auch, was sie meint. Es sieht aus wie ein aufgeworfener Maulwurfshügel, in den jemand getreten hat. Sehr frisch, da ist er sich sicher. Er geht hin und kniet sich nieder. Die Erde fühlt sich sehr warm an, riecht irgendwie qualmig. Vorsichtig buddelt er in der Erde, die nach unten hin heißer wird. „Das ist ganz schön warm“, stellt er fest. „Hoffentlich verbrenne ich mir da nicht die Finger.“ „Ich kann nach einem Stock suchen, Nick“, schlägt Sonja vor. „Aber das fällt dann auf, und wenn andere dann aufmerksam werden und fragen, was wir hier tun, sind wir den Fund schnell los.“
„Wird schon gehen“, knurrt Nick und buddelt weiter. „Wie tief kann das Ding denn im Boden stecken?“ Sonja hat keine Ahnung. „Sehr tief kann es nicht sein, denn die Luft hat es ja schon abgebremst. Soll ich Sie mal ablösen?“
Doch da stößt Nick einen kleinen Schmerzensschrei aus. „Verdammt, ist das Ding heiß!“ Er zieht die Hand zurück. „Ich glaube, ich habe mich etwas verbrannt. Hoffentlich ist das Teil nicht infektiös.“ Nick hatte schon einmal eine Infektion, die ihn längere Zeit in Atem gehalten hat. Das will er nicht noch einmal erleben. „Buddeln Sie mal“, fordert er Sonja auf. „Aber vorsichtig.“
Nun erst bemerkt er eine kleine Wunde an seiner Hand. Das muss wohl ein scharfer Schrat gewesen sein. Ein Blutstropfen klebt daran. Er zeigt ihn Sonja. „Da macht es sich ja mal bezahlt, dass ich einen top Verbandskasten im Auto habe.“
Sonja greift nun in die Erde. Sie spürt die Wärme, die ihr entgegenkommt und dann plötzlich das heiße Metall. „Au“, murmelt sie, findet aber, dass die Hitze nun zu ertragen ist. Sie greift fester zu und nimmt das Stück Metall mit der umgebenden Erde in die Hand. Es ist nicht schwer, stellt sie enttäuscht fest. Dafür wird es nicht viel Geld geben. Sie zeigt es Nick, der neugierig auf ihre Hand blickt und auch etwas enttäuscht ist.
„Viel ist das ja nicht“, stellt er fest. Sonja pustet die Erde fort, und nun sehen sie die Form. Es ist eine Art kleiner Hantel, die platt gedrückt wurde und viele kleine scharfe Ecken ausweist. In der Mitte ist es dünn, fast wie eine Taille. Nach außen hin liegen die dickeren Teile. Es glänzt wie poliertes Eisen.
„Sieht interessant aus“, stellt Nick fest. „Aber das sind nicht viele Gramm. Damit können wir höchstens eine große Portion Eis essen. Jeder von uns. Und dafür diesen Aufwand!“ Er klingt enttäuscht.
„Ich hatte auch mehr erwartet“, stimmt Sonja zu. „Was machen wir jetzt damit? Wir haben es ja beide gefunden. Verkaufen und das Geld teilen?“ Sie sieht Nick mit großen blauen Augen an.
Sonjas blick geht über den Zaun und sie sieht, dass dort auch ein Mann im Boden wühlt. Sie denkt nicht weiter darüber nach. Das da drüben ist Lufthansagebiet. Sie wendet sich wieder Nick zu, der sie gerade anspricht.
„Wir könnten es bei Ebay anbieten. Da kriegen wir sicher mehr als von diesen Astronomen“, schlägt er vor. „Ich fotografiere das hier mit dem Handy, dann haben wir einen kleinen Beweis.“ Er zieht sein Handy aus der Tasche. „Haben Sie die Option, die Koordinaten einzublenden?“, fragt Sonja. „Dann klingt alles noch authentischer.“ Nick sieht sie mit großen Augen an. „Wow, das hätte ich nicht gedacht, dass Sie sich damit auskennen“, gibt er anerkennend zurück. „Ja, ich habe eine App, die die Koordinaten darstellen kann. Das mache ich, und dann sende ich das Foto gleich an Sie. Vielleicht noch ein Selfie mit dem Fund?“
Sonja muss lachen. „Ja, das muss sein. Nick und Sonja, die Kometenjäger.“
Nick erledigt das mit dem Selfie und den Koordinaten. „Und jetzt?“, will er wissen. „Wie soll es weitergehen? Wer von uns wird das Stück mitnehmen?“ Sonja überlegt. „Das war ja ein schönes Abenteuer, Nick, und ein schöner Fund. Ich habe eine bessere Idee als Ebay.“ „Und?“ „Wir teilen es einfach und jeder bekommt ein Stück davon. Das können wir dann noch in 100 Jahren zeigen und die Story erzählen Wäre das in Ordnung?“ „Das ist mehr als in Ordnung. Sehen Sie, wie diese Hantelform dazu einlädt, es zu teilen? Nur ein paarmal biegen, und schon reißt es auseinander. Geben Sie mal her.“
„Ich bin nicht so schwach, wie eine Blondine aussieht“, lacht Sonja zurück und beginnt, das Metall in der Mitte zu biegen. Schon nach der zweiten Bewegung bricht es auseinander.
„Na bitte!“, stellt sie fest und reicht Nick ein Stück. Doch bei der Biegerei hat auch sie sich eine kleine Wunde zugefügt. „Das mit den Zacken ist ganz schön ärgerlich“, stellt sie fest und saugt an der Stelle am oberen Rand des Handtellers. „Gehen wir zurück, Nick. Aber es hat sich gelohnt, oder?“ Sie wirft ihm einen schelmischen Blick zu. „Wer kann schon von sich behaupten, dass er auf eine Umleitung gelockt wird und dann ein Stück Meteoriteneisen findet?“ Das findet Nick auch. „Und wir haben alles dokumentiert. Zeit und Koordinaten, sogar per Selfie das Bild der glücklichen Finder.“
„Sollten wir nicht in Verbindung bleiben?“, fragt Nick. „Immerhin sind wir jetzt erfolgreiche Meteoritenjäger. Tauschen wir WhatsApp aus?“ „Ich halte nichts davon“, meint Sonja. „Wir tauschen die E-Mailadressen aus. Dann können wir uns berichten, wie die anderen aus unserer Umgebung auf unseren Fund reagieren. Das ist sicher ganz lustig.“ So machen sie es, fotografieren auch noch ihre Autoschilder, steigen ein und fädeln sich in den Verkehr ein. Nun geht es schneller weiter. Sobald der Hinweis auf die A7 auftaucht, gibt Nick Sonja ein Zeichen. Nun kann sie alleine weiterfahren. Er versucht, über eine Seitenstraße zurückzufahren in Richtung Nedderfeld. Sonja winkt ihm noch einmal zu, dann ist sie weg.
Nick stellt fest, dass er sie ganz nett findet. Natürlich darf Petra, seine Frau, das nicht so klar merken, wenn er von diesem Abenteuer erzählen wird. Das kleine Stück Metall aus dem Himmel wickelt er in ein Papiertaschentuch und verstaut es im Handschuhfach.
Aber was weiß er von dieser Frau? Sie ist blond, heißt Sonja und hat die E-Mailadresse sonja87@hotmail.com. Er hat sogar vergessen, sich das Kennzeichen des Autos zu merken. Komisch, denn sonst ist das immer das Erste, was er checkt. Er schüttelt kurz den Kopf. Er kann ja eine Mail schicken, und es sieht ja auch so aus, als sei sie nicht an Kontakt interessiert. Schade.
Mit fast einer Stunde Verspätung kommt er an der Arbeitsstelle an. Er brennt darauf, die Story zu erzählen und allen das Stück Himmelsmetall in die Hand zu geben. Alle betasten und betrachten es mit einem Anflug von Ehrfurcht. Sie reden davon, wie weit dieses Stück Metall wohl gereist sein mag, bevor es ihrem Kollegen vor die Füße fiel, und wie alt es wohl sein mochte. Angeblich sollen diese Stück ja noch aus der Zeit des Anbeginns stammen, jedenfalls des Anbeginns unseres Sonnensystems. Nick strahlt. Mit so viel Aufmerksamkeit hatte er nicht gerechnet.
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