„Ich hoffe, dass der Fund seines Schädels, dieser Partei Pur Parisenne keine Sympathien zukommen lässt. Bisher waren sie nur eine kleine Partei, vollkommen unbedeutend“, erwähnt Jean nebenbei. „Wieso kannst du diesen Delac nicht leiden?“ „Persönlich kannte ich ihn ja nicht, aber diese Pur Parisienne sind sehr radikal. Wer nicht aus Frankreich kommt, ist minderwertig und besonders die aus Paris sind die Krönung der Schöpfung. Wenn es nach ihnen ginge, würden sie auch allen Andersdenkenden und Andersgläubigen den Garaus machen. Die Weltausstellung war ihnen auch ein Dorn im Auge, die haben Angst, dass sich die vielen Fremden mit den Pariser Damen einlassen und somit die Blutlinie verunreinigen. So ein Schwachsinn! Bei dir als deutscher Protestant, würden sie wahrscheinlich die Hunde loslassen und dich zurück über die Grenze jagen. Glücklicherweise kann man ihn jetzt nicht mehr wählen.“ „Na zum Glück, aber da steht doch sicherlich schon eine Nummer zwei in den Startlöchern.“ „Da wirst du recht haben, aber nur nicht den Kopf verlieren, diese Partei ist recht klein, und wenn ich mir Delac anschaue, wird sie jetzt noch kleiner. Vielleicht war es auch ein interner Machtkampf, und ein Parteimitglied hat ihn im wahrsten Sinne des Wortes einen Kopf kürzer gemacht.“
„Darf ich dir meinen guten alten Freund vorstellen? Das ist Pastor Bertrand Duval. Er ist erst gestern hier in Paris angekommen. Bertrand ist ein weiterer Schützling von meinem Geldgeber Monsieur Laffon. Leider treffen wir uns nicht so häufig, da wir immer in unterschiedlichen Kolonien unterwegs sind“, stellt Pastor Koch einen Herrn Anfang der 40er vor. „Es freut mich, Sie kennenzulernen, ich habe noch nicht so viele Freunde von Richard kennengelernt.“ „Oh Mademoiselle, die Freude ist ganz meinerseits. Ich habe gedacht, Monsieur Laffon scherzt, als er mir erzählte, mein Freund Richard hat eine Herzensdame gefunden. Aber wenn ich Sie mir so ansehe kann ich es verstehen, dass sein Herz erweicht wurde. Da hat er doch noch ein bisschen Platz in seinem Herzen gehabt, ich dachte es wäre schon von seinen Zöglingen in den Kolonien ausgefüllt.“ „Jetzt tue nicht so, du hattest doch auch eine liebe Frau – Gott hab sie selig.“ „Ja meine Charlotte, die Cholera hatte sie mir genommen, das ist eben der Preis, den man zahlt, wenn man in den Kolonien arbeitet.“ „Oh, Sie Armer, mein herzlichstes Beileid“, bekundet Marie. „Das ist schon gut, danke. Es ist mittlerweile schon vier Jahre her, und sie lebt in meinem Herz und meiner Seele weiter.“
„Siehst du Marie, das ist einer der Gründe, wieso ich mich davor gesträubt habe, Gefühle für dich zuzulassen, in den Kolonien ist das Leben für eine Frau zu gefährlich. Ich hasse mich immer noch dafür, dass ich so egoistisch bin und deine Liebe erwidert habe.“ „Aber Richard, so schlimm wird es schon nicht werden, hier in Paris sterben auch Menschen. Versuch doch mal eine Straße zur Hauptverkehrszeit zu überqueren, so ein Bus oder eine Droschke fährt dich schneller über den Haufen als eine Herde Antilopen.“ „Du hast ja Recht, es ist überall gefährlich, aber ich könnte es mir nie verzeihen, wenn dir etwas passiert.“ „Du brauchst keine Angst um mich zu haben, außerdem habe ich dich ausgesucht, du hattest keine Chance, mir zu entkommen“, lacht Marie. „Das stimmt leider, wie hätte ich nein sagen können, bei deiner leckeren Bouillabaisse, oder deinem Coq au vin. Das musst du mal probieren Bertrand, das beste Coq au vin, das ich je gegessen habe.“ „Jetzt wird mir so einiges klar, die gute Marie ist nicht nur in deinem Herzen, sondern auch in deinem Magen. Ich hätte mir auch nichts anderes vorstellen können, dass eine Frau, die meinen Freund hier abbekommt, nicht kochen könnte. Apropos Freund, darf ich euch meinen Freund Manuka vorstellen, er ist aus Neu Guinea aus meiner Mission. Er hat mich durch die schwere Zeit geführt, als meine Frau gestorben war.“ Richard und Marie erblicken einen großen muskulösen dunkelhäutigen Mann mit freiem Oberkörper und Lendenschurz. Als er auf sie zukommt und seine Hand ausstreckt, sieht er im ersten Moment furchteinflößend aus. Aber kaum steht er neben Pastor Bertrand Duval, durchzieht ein breites Grinsen sein Gesicht, und er strahlt eine Sympathie aus, die jede Furcht verfliegen lässt. In einem nahezu perfekten Französisch begrüßt er Marie und Richard.
„Ich bin hocherfreut Sie beide kennenzulernen. Bertrand hat mir schon so viel von Ihnen erzählt. Pastor Koch, es freut mich Sie endlich auch persönlich zu treffen. Natürlich auch ihre liebreizende Frau.“ Überrascht über den dunkelhäutigen Freund von Pastor Duval, grüßt Pastor Koch zurück und bemerkt: „Ich bin erstaunt über Ihre gute französische Aussprache, aber diese bezaubernde Frau ist noch nicht meine Ehefrau.“
Noch nicht! Aber bald werde ich deine Frau sein, du entkommst mir nicht mehr, geht es Marie durch den Kopf.
„Was hältst du davon Marie, wenn du Pastor Duval und Monsieur Manuka heute Abend zeigst, wie gut du kochen kannst?“ „Du weißt genau, dass ich da nicht nein sagen kann, ich kann dir doch keinen Wunsch abschlagen. Da werde ich mir etwas Besonderes einfallen lassen müssen.“
„Da kommen wir doch gerne, nicht wahr Manuka? Jetzt müssen wir uns aber beeilen, wir müssen noch Monsieur Laffon unsere Aufwartung machen. Ach ja bevor ich es vergesse mein Freund Manuka isst kein Fleisch.“ Kaum hat Pastor Duval sich verabschiedet, ist er mit seinem großen dunklen Freund auch wieder verschwunden.
Nachdem Sophie, Isabell bei der Toilette geholfen und Ordnung in ihren Kleiderschrank gebracht hat, geht sie erst einmal in ihre Stube, um sich ein bisschen auszuruhen, wer weiß, wo Isabell sie am Mittag noch hinschleppt? Kaum hat Sophie die Treppen in die sechste Etage erklommen, geht sie vorsichtig an der Türe vorbei, die ihr gestern an den Kopf geschlagen wurde. Das kann sie heute nicht nochmal gebrauchen, dabei denkt sie an diesen jungen Mann mit seinen Sommersprossen, der an ihren Kopfschmerzen schuld war. Kaum hat Sophie die Tür passiert, schwingt sie wieder auf und verfehlt sie nur knapp. „Sie haben es wohl auf mich abgesehen? Wollen Sie mich umbringen?“ fährt Sophie den jungen Mann an, der gerade eilig aus dem Zimmer kommt. „Oh Verzeihung, das war wirklich nicht meine Absicht, aber ich muss mich immer so beeilen, da mein Herr ein Choleriker ist und immer schnell herumschreit, wenn man nicht gleich zur Stelle ist. Ihr Name ist Sophie, nicht wahr?“ erkundigt sich der junge Mann und beschwichtigt Sophie mit seiner angenehmen ruhigen Stimme.
Eigentlich war Sophie ja wütend auf ihn, weil er sie fast zum zweiten Mal über den Haufen gerannt hätte, aber dann erblickt sie wieder seine zarten Sommersprossen und sein auf ihre Antwort wartendes Lächeln. „Oh ja das stimmt, mein Name ist Sophie. Wie war nochmal ihrer?“ fragt Sophie etwas verlegen nach, wobei sie noch ganz genau weiß, wie dieser junge Mann heißt, aber sie will nicht zu interessiert an ihm erscheinen.
„Ich bin Alexandre, ich hoffe Sie sind mir wegen gestern nicht mehr böse. Wenn es ein Trost für Sie ist, ich bekam ganz schön Ärger, weil ich zu spät zu Mr. Stonebridge kam. Ich konnte Sie doch nicht liegen lassen, nachdem ich sie KO geschlagen hatte.“ „Stellen Sie sich fremden Frauen immer so vor?“ „Nein natürlich nicht, aber so konnten Sie mir wenigstens nicht weglaufen“, lacht er die hübsche Zofe an. Jetzt muss auch Sophie lachen und kann ihm dummerweise nicht mehr böse sein, sie wollte doch eigentlich distanziert sein, und jetzt bringt er sie zum Lachen. „Na also, es sieht so aus, als ob Sie mir nicht mehr böse sind. Darf ich Sie heute Abend zur Entschuldigung einladen? Ich habe gehört, auf der Ausstellung kann man im Palais de la Danse sein Tanzbein schwingen.“ Sophie ist sich nicht ganz sicher, ob Isabell etwas dagegen hat, die will sicherlich mit Albert weggehen, und da muss sie ihr noch beim Ankleiden helfen. Außerdem, wie peinlich wird es werden, wenn dieser Alexandre merkt, dass sie kaum tanzen kann? Aber kann sie überhaupt nein zu diesem süßen Kerl sagen? „Ich würde ja gerne Ihre Einladung annehmen, aber ich muss erst noch abklären, ob ich frei bekomme.“ „Das kann ich verstehen, ich muss meine freien Abende sonst zwei Wochen im Voraus beantragen, aber ich hoffe, dass es bei Ihnen klappt, sonst muss ich noch ohne Sie tanzen gehen.“ So ein Mist, jetzt setzt er sie unter Druck. Sophie will ja auch nicht, dass dieser süße junge Mann alleine zum Tanzen geht, sonst lernt er dort noch eine andere kennen. Obwohl, da wird es sicherlich nicht so viele Türen geben, die er einer anderen an den Kopf schlagen kann. „Wenn Sie Zeit haben, stecken Sie mir einfach bis heute Abend eine Nachricht an die Tür, Sie wissen ja welche es ist?“ „Keine Sorge, die vergesse ich nicht so schnell, die hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen.“ „Dann freue ich mich jetzt schon auf heute Abend, ich hole Sie um 20:00 Uhr ab!“ Selbstbewusst verabschiedet sich der junge Mann von Sophie, die schon fast keine andere Wahl hat, als mitzugehen.
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