„Mensch Mia, das ist nicht lustig! … Aber was sagst du, passt perfekt – oder?“
„Ich bin … sprachlos und ich fühle mich … äußerst … geehrt! Zeig mir doch mal das ganze Wohnzimmer.“
Sie drehte ihren Laptop langsam einmal um ihre eigene Achse. Eines musste man ihr wirklich lassen, die Beste hatte wirklich Geschmack. Ihr neues Wohnzimmer war äußerst stilsicher eingerichtet. Warme, helle Farben ließen den Raum gemütlich erscheinen und luden zum Kuscheln ein.
„Echt schön geworden“, gab ich ehrlich von mir.
„Du kannst gerne auch mal persönlich vorbeikommen und dir unser Haus anschauen!“
„Willst nur wieder angeben! … Ach nö – ich bleib lieber hier im verregneten, trostlosen München! Da gefällt´s mir viel besser.“
Marie-Louise war meine beste Freundin, eigentlich mehr noch, sie war wie eine Schwester für mich – unzertrennlich – bis sie Gianni heiratete. Unsere Freundschaft begann schon relativ früh, da sie nur ein paar Häuser entfernt von uns wohnte. Ihre Eltern führten ein sehr nobles, aber traditionelles Vitalhotel. Sie war oft bei uns und wir spielten häufig zusammen mit meinem kleinen Bruder. Zu seinem Leidwesen Vater-Mutter-Kind . Denn Malou war ein Einzelkind, was die Sache nicht gerade leichter machte, als sie mit Gianni nach Italien auswanderte.
Malou war nur ein paar Monate älter, besuchte den gleichen Kindergarten und dieselbe Schule wie ich. Wir verstanden uns auch ohne Worte, weinten zusammen bei Free Willy , hatten eine Schwäche für Comiczeichnungen, wünschten, es würde Batman wirklich geben, und Tom Cruise ließ unsere Mädchenherzen im Film Top Gun gleich zweimal höher schlagen. Wir spielten die Videokassette so oft rauf und runter, bis der Videorecorder das Band fraß, und wir nur mehr schreiend den Kampf der Ameisen mit ansahen, der am Bildschirm flimmerte. Die Tragödie war sozusagen ziemlich perfekt! Mit dreizehn nahmen wir, wie fast alle Mädchen, Reitunterricht. Träumten von großen Springreitturnieren und Preisen. Mit unseren Müttern zusammen kauften wir uns das erste Handy. Damals noch, heutzutage kaum vorstellbar, mit einem schwarz-weißen Mini-Display, und als Fluffy, Malous Hamster, das Zeitliche segnete, trauerten wir gemeinsam. Eine ganze Woche lang trugen wir nur schwarze Klamotten. Letztlich waren wir unzählige Stunden füreinander da; in guten und auch in schlechten Tagen. Wir wurden älter und auch die Jungs wurden allmählich interessanter. Einst hatten wir uns felsenfest geschworen, dass sich niemals ein Junge oder ein Mann zwischen uns drängen würde, und heute denke ich, dass dies viel schneller passierte, als es uns lieb war. Meine beste Freundin war äußerst hübsch, hatte langes, blondes Haar, ein sonniges Wesen und die Jungs standen Schlange. Sie war ziemlich stolz und ließ sie reihum abblitzen. Natürlich gab es auch bei mir ab und an eine kleine Schwärmerei, aber nach dem ersten Kuss dachte ich meistens, wie werde ich den schnell wieder los. Bis es mich dann doch irgendwann ziemlich heftig erwischte. Im Gegensatz zu Malou war ich plötzlich in einen voll süßen, dunkelhaarigen Jungen verliebt (insgeheim schwärmte ich immer schon für dunkelhaarige Typen. Wie ich an einen semmelblonden Mann geraten konnte, ist mir bis heute schleierhaft). Hätte es das Klassenbuch nicht gegeben, hätte er vermutlich nicht mal gewusst, dass auch ich in derselben Klasse saß. Irgendwann, so nach eineinhalb Jahren, fiel ich ihm dann doch auf. Am Semesteranfang, im Maturajahr, auf der Geburtstagsparty eines Schulkollegen. Naiv wie ich war, glaubte ich damals noch ernsthaft, Träume von der großen Liebe könnten wahr werden. Die Realität traf mich hart. Nach kurzer Zeit war die Beziehung vorbei. Vielleicht hätte ich den Schmerz in meinem Herzen schneller überwunden, wenn ich ihn nicht jeden Tag hätte sehen müssen. Wenn ich einfach flüchten hätte können. Aber ich hatte noch beinahe zwei ganze Semester vor mir, sodass ich gezwungen war jeden Tag mit anzusehen, wie er andere Mädels anmachte und mich mit blöden Sprüchen erniedrigte. Ich steckte meine ganze Energie ins Lernen, was nicht gerade ein Nachteil war. Malou spendete mir unzählige Stunden des Trostes, war immer für mich da, ohne sich auch nur einmal zu beschweren (dafür gab es andere in unserer Clique). Sie glaubte trotzdem noch an die Liebe. Sie war überzeugt, ich hätte mich nur in den falschen Kerl verliebt. Mit ihrem Optimismus hoffte sie, mich aus meiner Depri-Wolke zu holen, bis sie selbst ein ähnliches Abenteuer erleben durfte. Und so kam es, dass das Lied ‚Männer sind Schweine‘ von den ‚Ärzten‘ zu unserer persönlichen Hymne wurde! Das Thema Jungs war für die nächste Zeit definitiv abgeschrieben – dachten wir zumindest … Sozusagen hatten wir sämtliche Härtetests durch, die eine echte Freundschaft eben aushalten musste, tja, und auch den ersten gemeinsamen Urlaub – natürlich ohne Eltern! Keine Ahnung, wer damals die Blitzidee hatte. Aber in den Sommerferien, mit einem ausgezeichneten Abschluss in der Tasche und bevor wir zu studieren anfingen, beschlossen wir gemeinsam ans Meer zu fahren. Ich denke, es war Malou, die mich aus meinem Trott reißen wollte. Im Nachhinein betrachtet war das von allen Ideen die dümmste, die wir je hatten. Wir waren süße neunzehn Jahre jung, und völlig planlos ließen wir einfach unsere Finger auf einer Landkarte über den Ort, wo unsere Reise hingehen sollte entscheiden, und damit auch über unser Schicksal. Hauptsache weit weg von unserem Heimatort, irgendwohin wo es Sonne, Strand und Meer gab. Das Ganze war natürlich topsecret. Nicht mal unsere Eltern wussten Bescheid. Auch nicht mein Bruder. Sie glaubten, wir würden eine ganze Woche bei einer Freundin zelten. In Wirklichkeit machten wir – und jetzt kommt´s – Italien unsicher. Aus dem Meer wurde ein See, da unsere Finger unbegreiflicherweise am Gardasee festhingen. Genau genommen in Bardolino. Wir besaßen beide kein Auto, demzufolge brauchten wir einen Platz in einem Flieger, und natürlich auch noch ein Hotel. Bevor es losgehen konnte, benötigten wir Geld. Also haben wir fast jeden idiotischen Job angenommen, den wir bekommen konnten. Wir verteilten in überdimensional großen Weintrauben- und Erdbeerkostümen Flyer an Passanten für eine Fruchtmesse. Wiesen Autos in freie Parkplätze ein, mangels Berufserfahrung wurden wir da allerdings gleich wieder gefeuert. Zuletzt arbeiteten wir bei einer Imbisskette, wodurch wir, wenn wir abends heimkamen, von weiten schon nach Pommes rochen. Als wir jeden Cent zusammengekratzt hatten, buchten wir einen Flug und ein Zimmer in einem Zwei-Sterne-Hotel. Mehr war einfach nicht drin. Anhand der Fotos schaute das Hotel eigentlich ganz passabel aus. Die Poolanlage und die Zimmer waren auch ganz nett abgebildet. „Traumurlaub, wir kommen!“, riefen wir noch, als wir Anfang August am Flughafen auf unseren Flug warteten. Aus dem Traum wurde leider ganz schnell ein Albtraum. Wie sich herausstellte, waren die Fotos ein Fake. Die Zimmer waren ja noch akzeptabel, bis auf die kleinen Mitbewohner – auch Kakerlaken genannt. Böse Zungen behaupten, ich wäre nicht gut zu Haustieren, und das wurde diesen Biestern mehr als nur einmal zum Verhängnis. Das Essen ging gar nicht, deshalb ernährten wir uns anfangs nur von Wassermelonen. Die kleinen Mengen an Grappa, die wir uns täglich gaben, brachten unser Immunsystem auf Vordermann und waren wohl der Grund dafür, dass wir nicht ernsthaft erkrankten. Naja, bei den massenhaften Freizeitangeboten des Hotels wurde es uns bald zu langweilig, und an blöden, aber manchmal auch an guten Ideen, mangelte es uns eigentlich nie wirklich. So fuhren wir mit dem Taxi in die nächste Stadt und ließen uns zu einem angesehenen Club, der von außen wie ein Schloss ausschaute, kutschieren. Laute, gute Musik, die uns gefiel, dröhnte nach außen, und wir waren echt in Stimmung. Der Einlass verlief nicht ganz unproblematisch, aber Malou – langhaariges, blondes Girl, Traum eines jeden Italieners – ließ ihr verführerischstes Lächeln spielen und ich schaute mir vergnügt ihr Spektakel an. Nach elendslangem Zögern ließ uns der Türsteher doch noch passieren – was ich ein paar Stunden später allerdings ziemlich bereute … Der Club wirkte urig, aber äußerst edel. Es kam uns vor, als würden wir eine Gruft betreten. Überall Gewölbe, und an den grauen Mauern befestigte schwarze Wand-Kronleuchter spendeten gedämpftes Licht. In der Mitte waren eine riesige Tanzfläche und mehrere Bars. Es war ziemlich voll, die meisten Tische belegt. Überall wimmelte es nur von wohlhabenden, süßen, italienischen Männern, mit jeweils einem Rudel hübscher Damen. Wir fielen ganz schön auf, denn irgendwie waren wir die einzigen Touristen. Bei uns zu Hause würde man sagen, wie zwei Kasnocken spazierten wir durch den Club. Malou und ich schlängelten uns, vor Selbstbewusstsein nur so strotzend, an mehreren Tischen vorbei, und gingen in Richtung der Bar neben der Tanzfläche. Wir bestellten uns eine Cola, die wir gleich mal austranken, und als der DJ Hits von ‚Cypresshill‘ auflegte, fanden wir uns schon auf der Tanzfläche wieder. Wir bildeten uns tatsächlich ein, dass wir gut tanzen könnten. Im Nachhinein schäme ich mich bis heute für die spastischen Verrenkungen, die wir da abgezogen haben. Aber es war scheißegal, denn es kannte uns ja niemand, was sich bedauerlicherweise schnell änderte. Am Rand der Tanzfläche standen ein paar Jungs, die an Bierflaschen nippten. Ständig schielten sie zu uns rüber und ich wurde den Eindruck nicht los, dass sie sich über uns köstlich amüsierten. Vom Aussehen her waren sie ja ganz süß, und einer von ihnen, ein blonder Typ, hatte wohl Gefallen an meiner besten Freundin gefunden. Das merkte man schon daran, wie intensiv er sie beobachtete. Außerdem war er unter dem schwarzhaarigen Haufen mit seiner blonden Haarpracht nicht zu übersehen. Guckte Marie-Louise mal scheu in seine Richtung, sah er anfangs verlegen weg, lachte laut und quatschte gleich mit seinem Freund, der nur beharrlich zu nicken schien. Nach einer Weile traute er sich dann doch, drehte den Kopf schief und lächelte ihr verlegen zu. Wohl auch deshalb, weil sie ihn ununterbrochen anstarrte. Malou hüpfte nervös herum. Geschickt drehte sie sich um, um auszuschließen, dass er an ihr vorbei grinste. Sie konnte gar nicht so recht glauben, dass das süße Lächeln ihr gegolten hatte. Ich hatte sie noch nie so erlebt, dachte noch, sie würde mir gleich zusammenbrechen. Blondi ging an uns vorbei, schenkte der Besten nochmals einen Blick, der mehr sagte, als er eigentlich sollte, und ging zum Pult des DJs hoch. Kaum hatte der DJ etwas rhythmische Musik aufgelegt, kam Blondi wieder zurück auf die Tanzfläche und fing mit Malou zu tanzen an. Hätte ich es damals nur annähernd geahnt, dass sie diesen Typ gleich heiraten würde, ich hätte sie gepackt und wäre schreiend mit ihr aus dem Lokal gerannt.
Читать дальше