Hatte er vielleicht recht?
Liebte ich Niklas genug, um mit ihm mein restliches Leben zu teilen?
Ein echt mulmiges Gefühl krabbelte mir in die Venen.
„Bitte nerv mich jetzt nicht, … ich soll diese Bilder heute noch fertig bearbeiten! Wir reden später … okay?“
„Na gut, ich lass dich mal wieder, … Tschüssli!“
Gedankenverloren beobachtete ich ihn dabei, wie er wieder aus meinem Büro trippelte und zum Leuchttisch ging, der neben seinem Schreibtisch stand. Mit wild umherfuchtelnden Armen gestikulierte er bei ein paar Fotos mit einem Fadenzähler herum. Dabei fasste er sich immer wieder an die Stirn und schüttelte den Kopf. Offensichtlich dachte er über etwas ernsthaft nach und wirkte dabei sehr aufgebracht. Mir war klar – mit den Fotos konnte seine Reaktion absolut nichts zu tun haben.
Ein leises ‚Ping‘ , das von meinem Computer kam, riss mich von Ben weg, und ich schaute nach, wer mir wohl eine E-Mail geschrieben hatte. Es war Malou, meine beste Freundin. Freudig öffnete ich ihre Nachricht.
Von: malou.salvatore@grand-hotel-paradiso.it
An: mia.becker@mikes-fotostudio.de
Datum: 14. August 2014
Betreff: dein Bild
Hey Süße!
Stell dir vor, endlich ist unser Wohnzimmer fertig! JUHU! Auch dein Bild hängt schon über unserem Kamin. Hast du heute Abend Zeit zum Skypen?
Und nein, wir haben immer noch keine Türen.
Leider!
Sonnige Grüße – Malou
Sie hatte wirklich mein Bild, das ich vor vielen Wochen mit noch einem Weiteren geschickt hatte, aufgehängt. Das freute und berührte mich auf eine bestimmte Art und Weise sehr. Kurz lugte ich auf meine Armbanduhr. Für eine ausführliche Antwort hatte ich fast keine Zeit. Also meldete ich mich nur kurz zurück, in der Hoffnung, sie würde noch vor ihrem Laptop sitzen.
Von: mia.becker@mikes-fotostudio.de
An: malou.salvatore@grand-hotel-paradiso.it
Datum: 14. August 2014
Betreff: re: dein Bild
Hi!
Schön, ein Lebenszeichen von dir zu erhalten. 20.00 Uhr würde passen, hab viel Arbeit …
Freue mich schon – mia =)
Mit neuem, frischem Elan fing ich wieder an, meine Fotos weiterzubearbeiten. Es war bereits nach Mittag, als ich den fertigen Bilderkatalog zufrieden und mit einem guten Gefühl an unsere Kundschaft weiter mailte. Ich lehnte mich entspannt zurück und kramte aus meiner braunen Ledertasche mein Salamisandwich hervor. Genauso, wie sich niemand wirklich über meine morgendliche Unpünktlichkeit aufregte, war es für mich kein Problem, dass meine Pausen manchmal zu kurz kamen oder dass es abends ab und an mal länger dauerte. Das brachte der Job ebenso mit sich, und dazwischen war immer ein bisschen Platz für Kaffee und einen wichtigen Tratsch mit Ben. Jetzt fand ich auch die benötigte Ruhe, den Inhalt meines wichtigen Kuverts genauer zu betrachten, legte mein Sandwich ab, putzte mir meine Schmierfinger an meinem Jeansrock ab und trank noch einen Schluck aus meiner Mineralwasserflasche. Mit gemischten Gefühlen nahm ich die Einladungen aus dem Kuvert.
Wie vereinbart waren es fünf Layout-Muster und zwei verschiedene Papiermuster-Streifen. Der Grafiker hatte sich echt Mühe gegeben. Alle fünf Einladungen im quadratischen Format waren ein Unikat. Im ersten Moment war ich überfordert, wusste nicht einmal, was mir auf Anhieb besser gefallen würde. Alleine die Entscheidung für M & N oder Mia & Niklas fiel mir schwer. Ich beschloss, alle fünf Einladungen nebeneinander auf meinem Schreibtisch aufzulegen und jede einzelne auf mich wirken zu lassen. Die Schriftwahl war echt toll. Mit meinen Fingern fuhr ich die Konturen nach. Dabei ging mir verschiedenes durch den Kopf. Was würde meine Mom sagen, mein Bruder, naja, eigentlich meine ganze Familie, und natürlich auch Malou, meine beste Freundin? Würde sich überhaupt jemand mit mir freuen, oder wären sie alle der gleichen Meinung wie Ben?
Freue ICH mich eigentlich?
Ich meine, hey – ich, Mia Becker, werde heiraten. Eigentlich müsste ich der glücklichste Mensch auf Erden sein – zumindest in meiner kleinen Welt. Aber ich war es nicht. Das Gefühl wollte sich einfach nicht einstellen. Bekam ich jetzt schon die berüchtigten kalten Füße?
Ben hatte absolut recht. Wie sollte mir jemand glauben, wenn ich es selbst nicht einmal tat. Das war echt deprimierend.
Kritisch schaute ich mir die Einladungen genauer an. Mmh … welche Meinung würde wohl Niklas zu den Karten haben?
Niklas musste immer sofort loswerden, was er dachte, egal, worum es ging. Er überrumpelte mich oft mit seiner Schnelligkeit und zwang mir dann, vermutlich unbewusst, seine Meinung auf. In solchen Momenten ging der Manager in ihm durch. Dann entschieden wir uns meistens für das, was er wollte. Seinen Egoismus schob ich manchmal darauf, dass er ein Einzelkind war.
Mir gefiel die Einladung mit einer weißen Calla-Blume und mit silbernen Initialen am besten. Es hatte so etwas von Reinheit, war schlicht und dezent. Unbewusst hallten mir Niklas´ Worte im Kopf nach: „Also, die Karte finde ich viel zu weiß. WIR brauchen etwas mit mehr Pepp!“ Genau sowas in der Art würde er von sich geben. Jetzt waren wir vier Jahre zusammen und manchmal dachte ich, ich würde ihn besser kennen als er sich selbst. Wir waren beide von Grund auf verschiedene Typen, aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an und sollten sich doch auf eine bestimmte Art und Weise irgendwie ergänzen.
Das war doch gut – oder?
Obwohl er für seinen strengen Terminplan nichts konnte, war ich noch immer stocksauer auf ihn, was sich aber bestimmt bis übermorgen, wenn er wieder da war, legen würde. Ich war kein nachtragender Mensch. Der Ärger verging meistens so schnell, wie er kam. Zumindest meistens. Und außerdem wollte ich unsere Wochenendbeziehung, die wir führten, seit er diesen Managerjob angenommen hatte, nicht überstrapazieren. Ich hatte wirklich keine Lust, die wenigen freien Tage, die uns blieben, mit streiten zu verbringen.
Meistens musste er kurzfristig in den Flieger steigen, um einen Deal für ein neues Projekt klarzumachen. Das kam in letzter Zeit häufiger vor.
Es war immer ein wichtiger Deal, ein neues Projekt und vor allem s-u-p-e-r-d-r-i-n-g-e-n-d .
Die Wochenenden waren dann auch noch oft mit diversen Cocktailpartys samt Charity-Events verplant. War der Vorwand auch ein ganz anderer, ging es dann doch hauptsächlich ums Geschäft. In einer lockeren Atmosphäre Kunden geschickt näher an sich zu binden, neue Deals abzuschließen – nebenbei noch die gute Sache, Spenden für Bedürftige zu sammeln.
Meistens, wenn so eine Party bevorstand, erfuhr ich es am gleichen Tag, indem mir mein Liebster ein Geschenk überreichte. In dem nett verpackten Karton war ausnahmslos stets ein ausgefallenes Cocktailkleid, was so gar nicht meinem Geschmack entsprach. Eines konnte man Niklas nicht vorwerfen, dass er geizig wäre – ganz im Gegenteil. Aber die Geschenke, die er mir machte, hatten meist einen Hintergedanken, und waren eher als Vorteil für ihn gedacht. Mit der Zeit studierte ich eine Überraschungs-Mimik ein. „Wow, toll, ein Kleid … wer hätte das gedacht?“ Auch wenn ich mich in den sündteuren Kleidern nie richtig wohl fühlte, weil sie einfach zu eng und zu kurz waren und viel zu viel Spitze hatten … Ich trug sie trotzdem, ich wollte ja nicht undankbar sein. Aber tief in mir brodelte es und ich hasste diese Partys mit diesen Angebern und ihren aufgemotzten Tussis, wo die Tragödie perfekt war, wenn ein lackierter Nagel abbrach.
Zwischen seinem Arbeitskollegen Udo und ihm herrschte stets ein unerbittlicher Konkurrenzkampf. Meistens hing Udo mit den Zahlen hinterher, was Niklas in ein besseres Licht rückte. Ich konnte Udo nicht leiden, schon aus dem einen Grund nicht, weil er fast keine Situation ausließ, um mich anzumachen. Und das auf eine sehr billige Art und Weise. So ganz nach dem Motto, wenn ich schon das eine nicht haben kann, dann eben das andere. Kaum war ich in seiner Nähe, erhob er augenzwinkernd sein Glas und lächelte mir schmierig zu. Hatte er die Gelegenheit, und wir waren tatsächlich für einen kurzen Augenblick alleine an einem Tisch, überhäufte er mich mit derben Anmachsprüchen. Er ekelte mich richtig an. Niklas nahm es gelassen. Natürlich bekam er mit, was da abging, aber wenn Udo mit mir beschäftigt war, hatte er keine Zeit Deals abzuschließen. Und dass ich eine treue Seele war, wusste er. Also, ich war wichtig, sozusagen auch für sein erfolgreiches Geschäft, und deshalb störte es ihn nicht wirklich.
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