1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 »Ja, ja … jaa«, antwortete sie und schloss die Augen. Es machte ihr Mühe, die Erinnerung an die Worte des Säufers hervorzurufen. »Es sagte, er käme von der Insel im Norden, aus Britanniaaaaahhh…«
Kapitel IV
A. D. 195, März
Fremde mit gleichem Blut
Arianrhod blickte dem kleinen Currach sehnsüchtig hinterher. Wie gern wäre sie mit dem Boot wieder nach Breith zurückgefahren. Und um ihre trübselige Stimmung noch mehr auszuweiten, schien der Himmel über Ynys Môn die Art von Grau beibehalten zu wollen, das in seiner monotonen Gleichmäßigkeit in ihr nichts anderes hervorzubringen vermochte, als Trauer und Hoffnungslosigkeit. Sie winkte dem Mann im Boot noch einmal zu, aber er sah sie nicht, sondern konzentrierte sich darauf, die Strömung zu erwischen, die ihn ohne eigene Mühe wieder auf die große Insel zutreiben würde.
Sie dankte Swidger mit einem stummen Lächeln, als er ihr die Zügel ihres Reitpferdes reichte. Er hatte sich in all den Jahren während ihrer selbst auferlegten Pflicht angewöhnt zu schweigen, wenn sie sich auf den Weg machten, von dem er überzeugt war, dass er die Mühe nicht wert war.
Aber Brannon ist mein Sohn, dachte sie und saß mit geübtem Schwung auf. Es genügt schon, dass ich ihn nicht ständig um mich habe. Vielleicht würde er dann nicht so … anders sein.
Kaum hatte sie den Gedanken im Kopf, da wusste sie, dass auch eine dauerhafte Nähe zu ihrem Sohn ihn nicht zu einem liebenswerten Wesen wandeln würde. Sie kannte die Berichte der Druiden.
Was ist nur mit ihm geschehen? Welchen Fehler haben Túan und ich nur getan, dass aus ihm … - ja, was - geworden ist?
Als würde sie ihr Schuldgefühl niederdrücken, beugte sie sich im Sattel ein wenig vor und gab dem Pferd die Sporen.
Dumme Kuh, mach dir nichts vor!, schalt sie sich und blickte erneut zum Himmel.
Ich hasse dieses Einerlei, fluchte sie lautlos und wünschte sich wenigstens von frischem Wind oder heftigen Böen aufwirbelnde Wolkenberge. Sie hatte alle Schattierungen des breith´schen Himmels schätzen gelernt, von hellem Grau wie von jungen Tauben, bis hin zu fast schwarzen Regenwolken. Ein wildes, zerzaustes Firmament, war ihr allemal lieber, als diese unendliche Weite, die wie eine schwere Decke auf ihr zu liegen schien.
Arianrhod nahm nur aus den Augenwinkeln Swidger und den kleinen Trupp Krieger und Kriegerinnen wahr, die sie begleiteten. Nur ihr Unterbewusstsein registrierte die Wegmarken, die sie alle nur zu gut kannte.
Zehn Jahre. Seit zehn Jahren mache ich diese Reise. Und zehn Mal bin ich den halben Weg tränenüberströmt zurückgeritten. Swidger hat schon recht: Warum tue ich mir das an? Weil ich immer noch nicht zugeben will, dass ich eine schlechte Mutter bin? Dass ich versagt habe?
Plötzlich setzte Regen ein und sie hoffte, dass ihre Begleiter nicht sahen, dass sie weinte.
Wenn ich nur wüsste, durch was ich versagt habe .
Der Regen nahm an Heftigkeit zu und sie gestattete sich, mit einer Hand die Tropfen - und ihre Tränen - fortzuwischen.
Und es gibt auch sonst nichts, was mein Herz erfreuen könnte , dachte sie. Cumail ist immer noch verschwunden. Niemand hat ihn seit vielen Wochen gesehen. Yan meint, dass der alte Druide womöglich einfach in den Wald gegangen ist, um in Frieden zu sterben. Es war vielleicht ein Fehler, ihm die Bürde von Brannons Ausbildung aufzuladen. Und die Unheilige Tafel. Auch sie kann immer noch nicht vernichtet werden. Auch der letzte Versuch schlug fehl. Wie lange wird sie von der Macht des Blutes - Túans Blutes und dem aller anderen Opfer - erfüllt sein, bis wir sie endlich aus dieser Welt schaffen können?
Für eine Sekunde fühlte sie sich unendlich allein. Aber nur für eine Sekunde. Sie hob den Kopf und sah, dass Swidger sie - wie er wohl glaubte unbemerkt - aus seinen Augenwinkeln beobachtete. Ein warmes Gefühl stieg sofort in ihr auf und zu ihrer eigenen Überraschung huschte der zaghafte Versuch eines Lächelns über ihr Gesicht.
»Du siehst weitaus besser aus, wenn du dir nicht die Farbe des Himmels auf dein Gesicht legst«, versuchte er sie aufzumuntern und sie war erstaunt, dass er in der Lage zu sein schien, einen Teil ihrer Gedanken zu lesen.
Sie nickte und dankte ihm damit für seinen gut gemeinten Versuch. Auch wenn sich ihre Stimmung nicht wesentlich gebessert hatte, so erkannte sie doch, dass sie als Königin nicht so ein jämmerliches Bild abgeben durfte und richtete sich gerade auf. Der Regen an sich störte sie nicht, an den hatte sie sich längst gewöhnt. Manchmal genoss sie ihn sogar. Schließlich war er immer noch besser als die brütende Hitze Italias, die oft tagelang alles an ihr hatte kleben lassen. Kleidung, Schmuck, Haare. Alles hatte zwar nach Ölen und kostbaren Salben geduftet, aber nach wenigen Tagen drückender Temperaturen, hatte sie sich nur noch Regen gewünscht. Selbst die kurzen Erholungen im Bad mit frischem Wasser hatten ihr nur kurze Zeit Linderung verschafft.
Jetzt habe ich mehr als genug Regen, stellte sie lakonisch fest und lächelte dabei ein wenig deutlicher . Ach hör schon auf, du jammerst wie eine verzogene Prinzessin oder Senatorengattin. Du bist jetzt die Königin der Cruithin. Und die liebt Regen!
»Ein wenig vermisse ich die Bräune meiner Haut. Dieses Land hat einfach zu wenig Sonne«, gab sie zu und blickte ihm nun direkt in die Augen. »Ich hoffe, dass du mich auch noch liebst, wenn ich aufgrund dieses Mangels – und zunehmenden Alters – nicht mehr die südländische Schönheit bin, die dich verzaubert hat.«
Sie wussten beide, dass diese kleine Neckerei sie nur davon ablenken sollte, den ganzen Rest des Weges eigene schwarze Wolken über ihren Häuptern zu erzeugen.
»Auch in meinem Land gibt es mehr Regen und graue Wolken als in Italia. Aber nicht so viel wie hier«, gab er zu. »Aber du könntest auch eine nubische Sklavin mit pechschwarzer Haut sein und ich würde dich genauso lieben. Die Farbe deiner Haut ist nicht das, was mich zu dir zieht.«
Es freute sie beide, dass sie dem scheinbar unausweichlichen Ablauf der Reise eine neue Variante zu verleihen in der Lage schienen. Auch wenn beide wussten, dass die Ablenkung nur so lange Bestand haben würde, bis sie ihr Ziel erreicht hätten.
Es hat keinen Sinn, den Grund unserer Reise totzuschweigen , dachte sie und erschrak ein wenig, als in ihr der Gedanke aufflammte, dass es am besten wäre, Brannon wäre tot.
Ich bin die schrecklichste Mutter auf dieser Erde.
Swidger hatte offensichtlich wieder erkannt, dass sie nicht in der Lage zu sein schienen, wenigstens auf dem Hinweg nicht an Brannon zu denken.
»Brannon ist zwar rasch gewachsen, aber eigentlich ist er immer noch ein Jüngling«, versuchte er zum hundertsten Male, ihr ein wenig Trost zu spenden.
»Umso mehr verwundert mich dieser unstillbare Blutdurst Brannons«, erwiderte sie heftiger, als sie eigentlich antworten wollte und die nächsten Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. »Er gibt sich nicht damit zufrieden, dass Breith von den Römern befreit ist.«
Sie blickte Swidger in einer Mischung aus Verzweiflung und Liebe an und dachte daran, dass er in all den Jahren ihr einziger Halt gewesen war. Kein adeliger Mann wie ihr Vater (den sie nur noch als Römer sah, und längst nicht mehr als Verwandten), kein magischer Druide wie Túan, sondern nur ein ganz normaler Mann.
Nun, ein Berg von Mann und in seiner Unerschrockenheit und beinahe an Berserker erinnernde Kampfeslust sicherlich nicht das, was man mit normal beschreiben sollte.
Sie lächelte in sich hinein und genoss wie immer seine unaufdringliche Präsenz.
Scheinbar war ihr Lächeln auch für ihn erkennbar gewesen, denn er ritt neben sie, ergriff ihre Hand und drückte sie vorsichtig.
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