3. Tag - gefahrene Strecke: 52,92
Zubiri - Pamplona – Astrain - Puente la Reina
Das Aufstehen heute Morgen fiel mir nach dem vielen Rotwein doch recht schwer… Nun, da war ich ja selber schuld, aber der schöne Abend war es trotzdem wert!
Nach einem recht bescheidenen Frühstück, was auch irgendwie nicht so richtig schmecken wollte, startete ich gegen 7:30 Uhr Richtung Pamplona. Zwar ist Pamplona in erster Linie aufgrund des Stiertreibens anlässlich des Festes zu Ehren San Fermìns, dem Patron dieser Region, ein Begriff, jedoch hat die Stadt noch einiges mehr zu bieten! Neben der kleinen atmosphärischen Altstadt sollen besonders die Kathedrale und das Diözesanmuseum sehr beeindruckend sein.
Ich erreichte Pamplona zwar recht schnell, doch leider fehlten mir die Zeit und die innere Ruhe diese Sehenswürdigkeiten zu bestaunen, weil ich wusste, dass mein Weg heute noch lang sein würde...
Mittags um 12 Uhr war ich in dem Örtchen Astrain und hatte schon erstaunliche 37 km geschafft. Für meine Verhältnisse war das der blanke Wahnsinn! Nach dem unvermeidlichen Café con Leche und nachdem ich meine Wasserflasche wieder aufgefüllt hatte, ging es wieder in die Berge. Hurra! Man beachte die Ironie…
Der Ausblick auf die umliegenden Landschaften war traumhaft und entschädigte mich dann redlich für die Strapazen des Weges. Dieser führte über den Bergzug bei Alto del Pardón, wo auch die oft fotografierte Skulptur eines Pilgerzuges steht. Letztlich war der Pass aber gar nicht so schlimm wie ich befürchtet hatte. Nur die Abfahrt über 10 km mit bis zu 8% Gefälle hatte es in sich und forderte meine ganze Konzentration.
Meine Endstation am heutigen Tag war das mittelalterliche Städtchen Puente la Reina, welches bekannt ist für seine Brücke. Diese wurde im 11. Jahrhundert gebaut und sorgte dafür, dass Puente la Reina ein wichtiger Ort für die Pilger wurde, die hier nun bequem den Rio Arga überqueren konnten.
Beim Bummeln durch den Ort traf ich ein deutsches Rentnerpärchen, welches seit vierzig Jahren zusammen ist und sich unverkennbar liebt wie am ersten Tag. Sie waren drei Wochen zuvor von St. Jean-Pierre-de-Port gestartet und wollten einfach irgendwann in Santiago ankommen. Ihre Kinder hatten ihnen aufgetragen sich Zeit zu lassen. Selbst wenn es Weihnachten werden würde bis sie ihr Ziel erreichten…
Irgendwie beneide ich die beiden dafür, dass es ihnen vergönnt ist sich diesen gemeinsamen Traum zu erfüllen. Welche gemeinsamen Träume haben Christiane und ich eigentlich? Ehrlichgesagt weiß ich es nicht!
Ja, welche gemeinsamen Träume hatten sie eigentlich gehabt? Leo träumte immer davon seinen Lebensabend auf den Kanaren zu verbringen, während das für Christiane keine Option war. Alleine die Vorstellung irgendwo ohne sinnvolle Beschäftigung am Pool zu sitzen und sich tagein und tagaus die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen, die Zeitung zu lesen und dabei einen Cocktail zu schlürfen, war ihr ein Graus, wohingegen es für Leo schlichtweg das Paradies gewesen war.
Ansonsten hatten Leo und sie nie ernsthaft gemeinsam darüber geredet, was sie zusammen erreichen wollten. Klar, die Kinder groß ziehen und zusammen alt werden. Aber wie das konkret aussehen sollte, dazu hatte es keine gemeinsamen Überlegungen gegeben. Jeder hatte vor sich hin gelebt mit seinen eigenen Träumen vor Augen…
4. Tag - gefahrene Strecke: 48,75 Kilometer
Puente la Reina – Estella - Los Arcos - Torres del Ri
Da mir das Zechgelage vom Vortag noch in den Knochen steckte, bin ich gestern Abend früh ins Bett gegangen und habe mich so richtig ausgeschlafen. Deshalb war ich heute auch erst gegen 8 Uhr wieder auf dem Camino.
Gegen 11 Uhr kam ich kurz hinter Estella beim Kloster Santa Maria del Real de Irache vorbei und sinnierte vor mich hin, dass meine Frau besser nicht auf den Camino gehen sollte, denn vermutlich wäre für sie die Pilgerreise hier zu Ende! Es gab hier nämlich einen Brunnen, aus dem Rotwein fließt und an dem man sich kostenlos, wenn auch in Maßen, bedienen durfte. Und ich weiß doch wie gerne meine Frau Rotwein trinkt…
Christiane schnaubte leise und rollte mit den Augen. Mit solchen flapsig-dummen Äußerungen hatte Leo sie oft zur Weißglut gebracht! Und selbst jetzt gingen sie ihr noch tierisch auf die Nerven!
Mit Verweis auf die Tradition benediktinischer Gastfreundschaft hat das ehemalige Klosterweingut den „Fuente del Vino“ hier installiert.
Am Weinbrunnen traf ich auf eine vierköpfige Radpilgergruppe aus Brasilien, die von Saint-Jean-Pied-de-Port über Santiago nach Portugal fahren will. 1000 km in 10 Tagen! Dieses Ziel stand sogar auf ihren T-Shirts aufgedruckt. Ich kann über sowas nur den Kopf schütteln. Der sportliche Ehrgeiz mancher Leute ist wirklich verrückt!
Kurz hinter Los Arcos ging es über 8 km nur noch bergauf und bergab und immer geradeaus. Und so fuhr auch ich immer bergauf und bergab und am Ende der Straße hielt ich an und schaute zurück.
Aus einem unerfindlichen Grund fing ich plötzlich hemmungslos an zu lachen. Warum weiß ich bis jetzt nicht! Vielleicht lag es daran, dass ich solche Strecken ansonsten höchstens bequem mit dem LKW gefahren wäre und so eine Plackerei mit Sicherheit niemals freiwillig auf mich genommen hätte!
Meine Unterkunft für den heutigen Tag in Torres del Rio ist im Übrigen ein wahres Luxushotel mit Himmelbett und einer Dusche mit Massagefunktion.
Ich genoss gerade diesen Luxus, als Christiane mich anrief, um mir mitzuteilen, dass ihre Oma gestorben sei.
Da war er wieder, der Tod! Dabei hatte ich an diesem Tag die Gedanken an ihn erfolgreich verdrängt. Aber nun schlich er sich durch die Hintertür wieder herein.
Dabei war der Tod für die 90jährige, schwer demente Frau sicherlich eine Erlösung! Es war eine Gnade, dass sie gehen durfte! Aber dennoch…
Christiane zeigt an dieser Stelle mal wieder ganz deutlich, dass sie trotz des anfänglichen Widerstandes meinen Wunsch den Weg zu gehen respektierte und dass sie – wie erwartet - auch alleine zuhause klarkam. Ich solle auf jeden Fall weiter meinen Weg fahren.
An diesem Abend waren meine Gedanken dann aber doch eher zuhause, als auf dem Weg und deshalb zündete ich in einer Kirche eine Kerze für Christianes Oma an. Später habe ich alleine in der Herberge gegessen und nun gehe ich zu Bett.
Hätte sie Leo etwa zurückbeordern sollen? Wem hätte das etwas gebracht? Wie Leo bereits geschrieben hatte, war der Tod für Christianes Oma eine Erlösung und die Familie war zwar traurig, aber auch irgendwie erleichtert.
Der alten Frau, die nur noch teilnahmslos im Bett lag, war der Tod willkommen.
Natürlich wäre es für Christiane schöner gewesen bei der Beerdigung ihren Mann neben sich zu wissen, aber hätte sie Leo gesagt, dass er unbedingt nach Hause kommen müsse, hätte das letztlich zwei Konsequenzen gehabt: Für Leo wäre der Abbruch des gerade begonnenen Weges eine bittere Enttäuschung gewesen und für Christiane und die Kinder hätte das bedeutet, dass Leo sich zweifellos noch ein zusätzliches Mal auf den Weg machen würde, um sein Ziel zu erreichen… Dessen war sich Christiane absolut sicher!
Zwar hatte Christiane in Leos Pläne eingewilligt und sich mit dem Gedanken arrangiert, dass der nächste Familienurlaub wohl erst wieder nach der Beendigung des Jakobsweges im nächsten Jahr möglich sei, aber noch ein zusätzliches Jahr wollte sie weder sich noch den Kindern zumuten!
Finanziell wäre ein gemeinsamer Urlaub zwar durchaus möglich gewesen, aber da Leos Urlaubstage begrenzt waren und er fest davon überzeugt war der in der Firma unabkömmlich zu sein, hatte man beschlossen, dass Christiane alleine mit den Kindern im Sommer ein paar Tage wegfahren würde.
5. Tag - gefahrene Strecke 48,94 Kilometer
Torres del Rio - Logroño - Nájera
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