„Und James?“, fragte er, „wo schlief er am Samstag? In Ihrem Bett?“
„Sie fragen alles doppelt, Herr Kommissar. James war nicht in meinem Bett. Mit ihm hätte ich niemals geschlafen.“
„Weil er schwarz war?“
„Blödsinn! Nein, ich würde unter keinen Umständen was mit jemandem anfangen, der mit Yvonne verheiratet war. Das ist der Punkt. Und wenn er der einzige Mann auf der Welt gewesen wäre, ob weiß oder schwarz oder grün. Und überhaupt, James verhielt sich in diesen Dingen wie eine naive Frau, wenn Sie verstehen. Er dachte, wenn man mit ihm schläft, liebt man ihn auch. Aus diesem Grund allein hätte ich niemals...Sie verstehen?“ Edgar verkniff sich ein zustimmendes Nicken.
„Sie hatten Angst, James würde sich in Sie verlieben? Gab es dafür Anzeichen?“
„Was weiß ich“, antwortete Katrin unwillig. Sie zog den Reißverschluss ihres Kapuzenshirts hoch und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
Fragestunde beendet, dachte Edgar. Es machte wahrscheinlich wenig Sinn, weiter in sie zu dringen. „Ich brauche Ihre Fingerabdrücke zum Vergleich. Seien Sie morgen um acht im Präsidium. Und nüchtern, bitte.“ Er legte seine Karte auf den Couchtisch und stand auf. Katrin stand ebenfalls auf. „Ich darf nicht mal frühstücken?“
„Aber natürlich, Sie haben mich falsch verstanden. Ich meinte, ohne zuvor ein Bier zu trinken. Sie sollten eine Freundin anrufen, die sich um sie kümmert, oder sich schlafen legen. Ist besser, als Trost im Alkohol zu suchen.“
Der Elektroofen rechts neben der Couch erregte seine Aufmerksamkeit. „Womit heizen Sie eigentlich? Mit diesem Gerät dort?“
Katrins Miene hellte sich auf. „Ja, wir leben hier halt in der Steinzeit.“
„Wie bitte?“
„Nebenan steht ein Kachelofen. Die Wessis kriegen sich gar nicht mehr ein, wenn sie ihn sehen. Ist wie mit der Toilettenspülung. Aber nun wird ja bald saniert und alles fein gemacht. Ich ziehe sowieso weg.“ Sie ging an ihm vorüber zur Wohnungstür, um sie für ihn zu öffnen.
„Wohin wollen Sie?“
Katrin missverstand den Kommissar zum zweiten Mal. „In den Westteil, ich rücke denen mal auf die Pelle. Ist ja sonst immer umgekehrt.“ Sie schaute zu ihm auf.
Edgar musste einem Verdacht nachgehen. „Kann ich den Ofen sehen?“
„Sind Sie ein Wessi? Darf man das Polizisten fragen?“
„Nein, das ist verboten“, sagte er lächelnd. Bevor er das Schlafzimmer betrat, warf Edgar einen Blick in die Küche. Sie war modern eingerichtet und wirkte recht unbenutzt. Vor dem Fenster hing ein einsamer Ballettschuh herunter; diesen Schuh hatte er gestern Abend bemerkt. Edgar sah Katrins amüsiertes Gesicht. „Ja, ja, ich bin es, eine Ex-Ballettratte. Leider zu groß gewachsen und nur mäßig talentiert“, bekannte sie.
„Immerhin“, sagte er und ging rüber ins Schlafzimmer. Dort stand ein mannshoher Ofen aus dunkelgrünen Kacheln. Am anderen Ende des Zimmers, unter dem Fenster sah Edgar ihr Bett. Zwei Kopfkissen und zwei Decken, notierte er nebenbei in Gedanken, während er den Ofen begutachtete.
Katrin lehnte sich lässig an die Tür. „Morgen ist übrigens Samstag“, bemerkte sie.
„Ich weiß. Hat Frau Richter einen Schlüssel zu Ihrer Wohnung?“
„Das fehlte mir noch. Was suchen Sie?“
„Sie haben bestimmt einen Schürhaken, wo ist er?“
„Hinter dem Ofen, glaube ich.“
Der Haken war verdreckt und staubig. Blutspuren waren beim ersten Augenschein nicht sichtbar. Edgar fasste ihn vorsichtig an einem Ende an und erklärte der überraschten Frau, dass der Schürhaken beschlagnahmt sei.
Edgar überlegte, ob er Yvonne Richter sofort mit ihrer Falschaussage konfrontieren sollte, sie hätte James seit mehr als zwei Wochen nicht gesehen. Er könnte von Katrin Sommerfels‘ Wohnung am Arkonaplatz direkt zum Supermarkt hinübergehen. Wenn er sich richtig erinnerte, müsste Frau Richter um diese Zeit am Freitagvormittag an ihrer Kasse sitzen. Doch zuerst informierte er Friedrich telefonisch über sein Gespräch mit Frau Sommerfels und was es Neues ergeben hatte. Er erwähnte auch die frei gewordenen Wohnungen in der Nummer 49, die nach Aussage der Sommerfels ebenfalls mit Kachelöfen ausgestattet waren. Dort wären eventuell weitere Schürhaken zu finden.
„Edgar, ich vermute, du denkst dabei an die Richter? Weil sie früher im selben Haus wohnte und sich so ein Ding aus einer leer stehenden Wohnung besorgt haben könnte? Möglich ist alles. Ich habe gerade mit der Mutter gesprochen. Frau Zimmermann gibt ihrer Tochter ein Alibi.“
Sie habe in der Nacht, in der ihr Ex-Schwiegersohn getötet wurde, ihre Enkelin Sina zu Yvonne geschafft. Die Kleine hätte ununterbrochen geweint und nach der Mama geschrien. Deshalb hätte sie das Kind genommen, jawohl auch mitten in der Nacht, und wäre zu Yvonne gegangen. Ihre Tochter wohne glücklicherweise fast um die Ecke. Yvonne habe bereits geschlafen, dies sei gegen halb elf Uhr gewesen. Nach einer halben Stunde wäre Frau Zimmermann in ihre eigene Wohnung zurück. Ihre Tochter hätte wohl in der ganzen Aufregung vergessen, dies zu erwähnen.
Beide Ermittler waren der Meinung, dass die Sache ziemlich konstruiert klänge. Auch deshalb wollten sie die Schürhaken überprüfen, die in der Nummer 49 zu finden seien, um keine Spur zu vernachlässigen. Edgar solle auf Schlesinger warten, der ihm auch bei der anschließenden Befragung der Gäste von der Sommerfels-Party helfen würde.
„Um in die betreffenden Wohnungen zu kommen, brauchen wir den Hauseigentümer oder den Verwalter. Schlesinger sollte ihn herbitten“, schlug Edgar vor. Sein Chef war einverstanden. Edgar solle vor Ort auf den Kollegen warten, und Frau Richter würden sie zu einem späteren Zeitpunkt erneut befragen. Keinesfalls solle Edgar dies sogleich und allein tun. Da kam wieder der Zögerer in Friedrich durch, dachte Edgar bei sich.
Während des Gesprächs war er über den Arkonaplatz geschlendert, als wisse er nicht, wohin er wolle. Nach einigen Minuten stand er wie zufällig vor dem Supermarkt, in dem Yvonne Richter arbeitete. Alibi hin oder her, dies war eindeutig eine günstige Gelegenheit, der Dame zwei wichtige Fragen zu stellen. Und nebenbei ein paar Dinge einzukaufen. Friedrich würde das sicher verstehen.
Edgar erblickte Yvonne sogleich an einer der Kassen. Sie wirkte entspannt und war freundlich im Umgang mit den Kunden. Sah so jemand aus, der einen Schicksalsschlag erlitten hatte? Edgar grüßte zu ihr hinüber. Sie sollte ihn wahrnehmen, damit ihr klar wurde, dass er ihr auf den Fersen blieb. Das Alibi der Mutter könnte falsch sein; welche Mutter würde nicht lügen, um die Tochter zu schützen? Außerdem blieb die Tatsache, dass Yvonne gegenüber den Ermittlern die Geburtstagsfeier bei Frau Sommerfels verschwiegen hatte. Dafür musste es einen Grund geben.
Edgar nahm einen Einkaufskorb. Er könnte tatsächlich für ein Abendessen mit seiner Frau Renate einkaufen. Es wurde Zeit, dass sie beide wieder einmal richtig miteinander redeten. Bei einem gemeinsamen Essen fiel das leichter.
Renate hatte sich verändert, neuerdings hatte sie Stimmungen. Mal war sie depressiv und einsilbig, mal überdreht und überheblich. Von ihren angeblichen Treffen mit der Freundin Ines kehrte sie fast immer gut gelaunt, und vor allem später als üblich zurück. Die nervige Plaudertasche Ines war zur verständnisvollen Vertrauten geworden. Sehr unglaubwürdig, fand Edgar. Es musste etwas anderes hinter Renates merkwürdigem Verhalten stecken. Oder war es neuerdings ihre Art, Eifersucht zu zeigen? Sein Verhältnis mit Corinna war nicht seine erste außereheliche Affäre. Renate wusste von seinem Fremdgehen, sie hatten oft deswegen gestritten, genauso oft deswegen miteinander geschwiegen, und schließlich hatte Edgar sich eingebildet, Renate würde seine Affären großzügig tolerieren. Sie waren nie ernst gewesen, nur eine kleine Flucht aus dem Alltag.
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