Katrin musterte den Kommissar, er war ziemlich groß, selbst im Sitzen. Aber nicht zu muskulös. Sein Gesicht eher grob geschnitzt, mit einer sich nach links neigenden Nase und einem Mund, der sich schief stellte, wenn er sprach. Dazu volles schwarzes Haar, das an den Schläfen grau wurde und bis in den Nacken reichte. Seine Augen von großer Intensität. Irgendetwas irritierte Katrin an ihm, es war eine Ähnlichkeit, auf die sie partout nicht kam. Zumal sie ständig James Gesicht vor sich sah. Sie hatte James abgewiesen, knapp eine Woche war es her, doch dies würde sie für sich behalten. Der Gedanke, nun mit einem Toten ein Geheimnis zu teilen, ließ Katrin erschauern.
Edgar ließ ihre Musterung schweigend über sich ergehen. Er wollte der Frau Zeit geben, um sich zu konzentrieren. Ihr Blick verweilte bei seiner linken Hand, dessen kleiner Finger extrem abstand. Eine Anomalie, auf die er längst nicht mehr achtete.
Als Katrin aufschaute, lächelte sie vorsichtig. Es war, als ginge ihr ein Licht auf. „Ich glaube, Yvonne hat von Ihnen erzählt. Sie haben sie verhört, ist das richtig? Ja, sie fand Sie überhaupt nicht nett. Ist wiederum keine Kunst bei Yvonne, sie nörgelt an jedem Mann rum.“
„Weswegen nörgelte Yvonne Richter an Herrn Somura herum?“
„Sie können ruhig James sagen, machen alle. Tja, ich vermute, es war hauptsächlich die Tatsache, dass er ein Mann war.“
Die Frau hat vielleicht ein Glas zu viel getrunken, um vernünftige Aussagen zu machen, dachte Edgar, trotzdem fragte er weiter. „Yvonne Richter kann also prinzipiell Männer nicht ab? Sie war doch zweimal verheiratet.“
Katrin nickte. „Schwierig zu erklären. Manchmal denke ich, ich bin so nah dran, es zu verstehen…“, sie zeigte Edgar mit zwei Fingern einen kleinen Abstand, „aber dann ist alles weg. Ich mochte James.“
„Woher kennen Sie ihn?“
„Woher ich ihn kenne? Er hat hier gewohnt, im Haus, ganz unten neben dem Rotkohl. James und Yvonne waren verheiratet. Als sie sich trennten, zog zuerst Yvonne mit Sina aus und wenig später James. Er wollte eine billigere Wohnung.“
„Wie war Ihr Kontakt zu Herrn Somura seit seinem Auszug?“
„Ging gegen Null.“
„Er wohnte auf der anderen Seite vom Arkonaplatz, nicht weit weg. Und sie beide sahen sich nie?“
„Na ja, vielleicht schon mal. Auf ein paar Worte so auf dem Weg, verstehen Sie? Aber wir haben uns nicht getroffen oder verabredet oder so.“
„Was für eine Art Mensch war Herr Somura?“
Sie zögerte mit ihrer Antwort und trank ihr Glas aus. Dann hob sie die Flasche vom Boden auf, sie war leer. „James war hilfsbereit und freundlich. Ich würde sagen, er war ein guter Mensch, auch wenn es kitschig klingt.“ Katrin strich sich über die Augen.
Sie hat die Nacht wachgelegen und an James gedacht, vermutete Edgar. „Wo waren Sie am 15. September, zwischen 22. 00 und 23. 00 Uhr?“
„Ich muss ein Alibi haben?“
„Besser wär’s.“
„Bestimmt war ich daheim, ja. Um halb elf gehe ich gewöhnlich ins Bett. Ich war allein, falls das interessiert.“
„Wann haben Sie James das letzte Mal gesehen?“, fragte Edgar.
„Sie sind wirklich sehr genau. Yvonne hat Recht, Sie sind hartnäckig. James war am Samstag bei mir…und Yvonne“, an dieser Stelle sah Katrin zu den Blumensträußen, „und all die anderen. Wir haben ein bisschen gefeiert.“
Edgar hatte ihren Blick bemerkt. „Die Blumen haben Sie am Samstag erhalten? Eine Geburtstagsfeier?“
Sie lächelte. „Der eigentliche Geburtstag ist eine Weile her. Ich wollte ihn ignorieren. Aber Heiner, ein Freund aus dem Haus, der hat mich zur Feier überredet. Für ihn war es ein Grund, seine Tussis...“, sie unterbrach sich, „James ist einfach so aufgetaucht.“
Eine Feier mit James am Samstag, die von Yvonne Richter bei ihrer Vernehmung unterschlagen worden war. Weil auf der Feier irgendetwas zwischen ihr und dem Somura passiert war, was sie verdächtig machen würde? Edgar wollte von Katrin wissen, wer auf der Feier war und wie sie ablief. Sie beantwortete seine Fragen zunehmend widerwillig und genervt. Mehrmals behauptete sie, sich nicht erinnern zu können, und erst, als der Kommissar erklärte, sie würden im Rahmen ihrer Ermittlungen mit allen Teilnehmern ihrer verspäteten Geburtstagsfeier sprechen, erteilte sie ausführlichere Auskunft.
Edgar hatte schließlich eine Namensliste und eine grobe Vorstellung von der Party. Es waren junge Leute in Katrins Alter gewesen, bis auf eine ältere Nachbarin, Regine Herzig, die über Katrin wohnte, und mit ihr befreundet war. Frau Herzig hatte die Party als erste wieder verlassen, weil ihre Tochter Jessica zu den Gästen gehörte. „Jessi war die Anwesenheit ihrer Mutter peinlich“, sagte Katrin. James hätte seine Gitarre mitgebracht. „Er spielte sehr schön traurig.“
James und Yvonne wären sich auf der Feier aus dem Weg gegangen. Einmal hätte Yvonne in der Küche geweint, und sie, Katrin, fände für diesen Gefühlsausbruch auch im Nachhinein keine Erklärung. Es hätte keinen Streit gegeben, weder zwischen James und Yvonne noch zwischen den anderen. Sie hätten getrunken, Musik gehört, getanzt und gequatscht. „Alles völlig harmlos, Herr Kommissar“, meinte sie.
Edgar hielt Katrins Schilderung ihrer Feier in einigen Punkten für unglaubwürdig, vor allem was ihre Rolle betraf. Sie war das Geburtstagskind und die Gastgeberin gewesen, sicher hatte sie geflirtet, und James oder jemand von den anderen Kerlen würde versucht haben, in ihr Bett zu kommen.
„Haben Sie den James vielleicht doch zu Ihrer Feier eingeladen?“
„Wie? Nein. Ich habe ihn nicht eingeladen, wie ich sagte, er tauchte einfach so auf.“
„Und blieb bis zum Schluss?“
„Im Prinzip schon. Er und zwei, drei Freunde haben hier übernachtet.“
„Yvonne Richter auch?“
„Nein, Yvonne ist irgendwann früher gegangen. Die anderen schliefen im Zimmer auf dem Fußboden, James auch. Ich habe für solche Fälle eine zusätzliche Matratze und so. Man kann es für ein paar Stunden aushalten.“
„James war also über Nacht bei Ihnen, obwohl er es ja zu sich nicht weit hatte…“
„Ja, wo Sie es sagen.“ Sie lächelte Edgar an.
„Und Sie? Wo schliefen Sie?“, fragte er.
„Nebenan, in meinem Bett natürlich.“
„Allein?“
„Muss ich das beantworten? Das ist privat, finde ich.“
„Jetzt reden Sie schon! Ich habe nicht ewig Zeit!“
„Ja, allein.“
„Sie lassen die Leute, Ihre Freunde, auf dem harten Fußboden liegen, und machen es sich selbst in einem superbreiten Bett gemütlich?“
Sie staunte. „Woher wissen Sie, wie breit mein Bett ist?“
Edgar grinste. Er ließ die Frau nicht aus den Augen und verunsicherte sie damit. Prompt lenkte sie ein. „Okay, mein Bett ist groß genug für vier Leute. Trotzdem habe ich allein geschlafen.“
„Und Ihre Freundin Yvonne, wo schlief die?“
„Hören Sie doch zu! Yvonne ist nicht meine Freundin. Und zu dem Zeitpunkt war sie längst abgehauen. Außerdem schlafe ich nie mit Frauen in einem Bett.“
Das hörte sich sympathisch an, fand Edgar. Und sie hatte abgestritten, mit Yvonne befreundet zu sein. Ein Mädchen wie Katrin hatte sicherlich ansehnlichere Freundinnen als Yvonne es war. Wie sollte er sich die Beziehung der beiden Frauen vorstellen? Hielt Katrin Kontakt mit Yvonne, weil es deren Mutter so wollte? Frau Richter hatte dann wohl eine andere Vorstellung von dieser Freundschaft, sie war immerhin nach ihrer Arbeit spät abends extra zu Katrin gegangen, um sie über James Tod zu informieren. „Aber ein Strauß Blumen von denen da, die sind von Yvonne Richter“, vermutete er.
Katrin seufzte.
„Die Rosen?“, fragte er.
Katrin war die Sache sichtlich peinlich, und sie redete schnell drauflos. „Okay. Yvonne ist auf eine Art hartnäckig, sie klebt an mir. Nun wohne ich dummerweise so in ihrer Nähe. Ständig belagert sie mich. Ich glaube, sie hat keine weiteren Freunde.“
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