1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 „Wolfgang!“
Im Laufe der Jahre hatte ich etliche Sportübertragungen im Fernsehen verfolgt und mich an der Geschmeidigkeit der Hochspringer erfreut, wie sie sich über die Latte schlängelten! Den Schwung dazu holten sie sich durch einen entsprechenden Anlauf!
Über diesen Anlauf verfügte Wolfgang in diesem Augenblick zwar nicht, aber ich glaube, wenn es einen Weltrekord für Springen aus dem Stand gegeben hätte, er wäre in diesen Sekunden ausgelöscht worden.
Mir blieb es bis heute ein Rätsel, wie er diese ungeheuren Körpermassen mit einem Ruck zur Hochstrecke brachte! Herr Hermes konnte gerade noch seinen Kopf in Sicherheit bringen, als Wolfgang auch schon wieder mit einer Punktlandung auf seinem Stuhl landete. Diese Landung führte allerdings zum endgültigen Bruch seines ohnehin schon leicht beschädigten Stuhles. Ziemlich dumm blickte er nun vom Fußboden Herrn Hermes in die Augen!
„Na wie hieß er nun unser Bote“, beharrte der kleinlich auf seine Frage?
„Postbote“, kam die prompte Antwort, die uns zu Beifallskundgebungen hinriß!
Herr Hermes blieb ganz ruhig, während sich Wolfgang hilfesuchend, mit weit ausgefahrenen Segelohren bemühte, die richtige Antwort aufzuschnappen! Dabei gelang es ihm fast den Kopf so weit nach hinten zu drehen, daß ich erschrocken auf seine Fußspitzen guckte, um mich zu vergewissern, wo vorne bei ihm war!
„Sieh mich an Wolfgang“, sprach Herr Hermes!
„Ich warte noch immer auf eine richtige Antwort!“
Seine Stimme erhielt einen leicht bedrohlichen Unterton.
Wolfgang aber blieb stumm, womit mal wieder bewiesen war, dass auch große Ohren nicht mehr hörten als kleine!
Von allen Seiten versuchte man ihm zu helfen, aber entweder er wollte nicht oder er schlief noch halb.
„Wie heiße ich“, fragte unser Geschichtslehrer als Gütevorschlag!
„Herr Hermes“, antwortete Wolfgang strahlend, auch einmal etwas wissend!
„Großartig mein Junge, und was habe ich mit dem Götterboten gemeinsam?“
Diese Frage fand auch ich viel zu schwer für Wolfgang, wie man seinem schlagartig veränderten Gesichtsauszug entnehmen konnte.
Man hörte bis in die erste Reihe die flüsternde Stimme seines Nachbarn aber der arme Wolfgang musste in der Tat mal wieder versäumt haben seine Handteller großen Ohren zu waschen. Ich konnte es ihm nachfühlen, nahm dieses Unterfangen doch sicherlich jeden Morgen einige zusätzlich Minuten in Anspruch, ganz abgesehen von dem immensen Wasserverbrauch!
Jetzt schien er einen Brocken aufgeschnappt zu haben, denn urplötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck wieder zum Positiven
„Kermit“, kam als Resultat seiner etwas behinderten Ohren!
Für Augenblicke herrschte lähmendes Schweigen, bevor es, wie auf Handzeichen, aus uns herausbrach!
Wir klopften uns gegenseitig vor Lachen auf die Oberschenkel, verbogen uns zu artistischen Glanzleistungen bis weit nach hinten, um im nächsten Augenblick, ruckartig, alles wieder nach vorne zu bringen.
Mir liefen die Tränen über die Wangen und ich bekam kaum Luft. Der gesamte Körper wurde von Lachkrämpfen geschüttelt.
Die Stimme von Herrn Hermes beendete diese Spektakel.
„Ruhe!“
Nach und nach verstummte das Gelächter, flackerte aber immer wieder auf, wenn irgendwo ein Glucksen oder Räuspern zu vernehmen war. Schließlich wurde es aber still!
Herr Hermes stand nun vor dem inzwischen wieder aufgestandenen Wolfgang:
„Dass du dumm bist kann ich dir verzeihen. Dass du im Unterricht schläfst, spricht nicht für deinen Lehrer! Dass du deine Ohren nicht wäscht spricht nicht für deine Eltern, aber dass du griechische Götter mit der Muppetshow verwechselst und einen Frosch für Hermes den Götterboten hältst, ist für mich der Gipfelpunkt der Frechheit und bringt dir eine glatte runde Sechs in Geschichte ein“, und nach einer kurzen Pause zum Überlegen fügte er hinzu:
„Setzen!“
Das war allerdings unüberlegt von Herrn Hermes, den bei diesem IQU unseres Wolfgangs musste er wissen, das der tat wie ihm geheißen!
Plumps saß er wieder auf dem Boden.
Das nun folgende Gelächter übertraf das vorangegangene noch um ein Vielfaches!
Außerdem eine denkwürdige Minute, denn es wurde ein neuer Spitzname für Wolfgang gefunden!
„Kermit!“
Zugegeben sein Äußeres entsprach eher dem eines Elefanten als dem eines Frosches, aber schließlich musste eine so dämliche Antwort in irgendeiner Weise erhalten bleiben!
Der Spitzname fand schließlich auch bei Wolfgang die entsprechende Zustimmung, die so weit führte, dass er auf den Namen Kermit reagierte!
Den Rest der angefangenen Geschichtsstunde wurde schließlich der Klassenfahrt geopfert, was zu einer augenblicklichen Zunahme des Interesses und zu allen Einstellungen von Nebenbeschäftigungen führte!
Alles deutete darauf hin, dass uns Petrus, zum Beginn unserer Klassenfahrt, einen Traumtag schenken wollte! Keine einzige Wolke am Himmel, blau so weit man sehen konnte. Die Luft mild und nahezu windstill. Die Vögel zwitscherten um die Wette. Die Grillen zirpten ihr Lied, als ginge es darum, den Gesang der Vögel zu übertönen.
Unsere Kleinstadt befand sich noch im Morgenschlaf.
Irgendwo in der Ferne krähte ein Hahn. Zunächst leise und zurückhaltend und dann immer lauter, schriller und fordernder. Es klang so als verspürten seine Hennen noch keine Lust zum Aufstehen und zum Eierlegen!
Ein kleiner brauner Hund, mit ungepflegtem Fell, Marke Promenadenmischung, jagte an mir vorbei. Ich sah ihm hinterher und bemerkte, dass er ein kleines Kätzchen verfolgte. Der Abstand verringerte sich zusehends!
Ich bückte mich nach einem Stein, als das schlaue flinke Kätzchen urplötzlich und unvermutet mit einem kaum für möglich gehaltenem Seitstep, die Richtung änderte und elegant über einen Zaun sprang!
Der kleine, etwas verwahrloste Hund, offensichtlich als Katzenjäger noch lernfähig, versuchte auf die gleiche Art und Weise über den Zaun hinwegzusetzen! Dabei verschätzte er sich in der Höhe des Zaunes und überschätzte sein geringeres Sprungvermögen erheblich!
Aus der vollen Geschwindigkeit heraus sprang er mit „Schmackes“ in den Zaun hinein, was dazu führte, daß er sich mit einem Salto rückwärts, in einfacher Ausführung, überschlug und statt jenseits des Zaunes, wieder auf der Straße, vor dem Zaun landete!
Wer jetzt aber dachte, das sei es gewesen, der kennt sich wohl mit Hunden genauso wenig aus wie ich!
Der kleine Köter, sofort wieder auf den Beinen, raste, offensichtlich frisch aufgetankt, aus dem Stand, in die entgegengesetzte Richtung, drehte nach fünfzig Metern bei und walzte mit Urgewalt auf den Zaun zu! Diesmal wußte er ja genau wo es lang ging und an welcher Stelle er abspringen mußte!
Elegant hob er ab, segelte in Richtung Zaun, wesentlich höher als zuvor, und, Pech für den Kleinen! Die Höhe stimmte erneut nicht! So endete auch dieser Versuch im, statt über dem Zaun! Da er bei diesem Flug aber deutlich eine höhere Geschwindigkeit erreicht hatte, endete er diesmal zu meinem Erstaunen mit einem doppelten Salto rückwärts und anschließender halber Schraube! Allerdings erneut Pech beim Abschluß! Durch den ungeheuren Schwierigkeitsgrad konnte er den Sprung nicht bis zum Ende bringen und landete äußerst unsanft auf dem Rücken, mit den kurzen Dackelbeinen nach oben!
Ihn schien diese Bruchlandung aber nicht weiter zu belasten, denn in „Null Komma Nichts“, stand er wieder auf den Pfoten, schüttelte sich kurz, lief zwei Schritte auf den Zaun zu, ich erwartete schon den dritten Versuch, verharrte kurz und machte seinen Unmut schließlich mit lautem Gekläffe Luft!
Dann trottete er geschlagen davon, überlegte noch einmal kurz, kehrte langsam und gelassen zum Tatort zurück, bellte ein letztes Mal kurz militärisch auf, was so viel heißen sollte wie, komm du noch mal in mein Jagdrevier, und verschwand dann schließlich wütend, mit zwischen den Hinterpfoten eingezogenem Schwanz.
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