„Gut, ich schwöre es“, antwortete ich sichtlich unbehaglich.
Wie im Kino trat sie mit tränengefüllten Augen einen Schritt näher, zog meinen Kopf zu sich herab und küßte mich einmal mehr heiß und innig.
Ich stand vor ihr als wenn ich in die Hose geschissen hatte!
Eine so schöne, beneidenswerte Freundin zu haben fand ich cool, aber einen Schwur abzulegen, über dessen Tragweite ich erst viel später erfahren sollte, ging mir gehörig gegen den Strich.
Aber was tut man nicht alles, um den anderen nicht zu verlieren, besonders bei diesem Exemplar, das da vor mir stand und mich noch immer küßte!
Es sollte in meinem Leben auch nicht die einzige Konzession einem Mädchen oder einer Frau gegenüber bleiben.
Nachdem die Dunkelheit die Dämmerung eingeholt hatte und unser amouröses Abenteuer langsam zu Ende ging und die fordernden kirschenroten Lippen dieses wunderschönen Mädchens die meinen freigab, fiel mein Blick auf die Uhr:
„Ich glaube wir sollten uns langsam in Richtung Heimat begeben. Meine Alten sind stocksauer wenn ich zu spät zum Abendessen erscheine!“
„Meine auch“, seufzte sie und fügte hinterlistig hinzu, „verschiebe wir den Hosentest auf einen anderen Tag!“
Mich an der Hand ergreifend, rannte sie los.
Jetzt erkannte ich wieder das hübsche, begehrenswerte, lustige Mädchen, in das ich mich heute endgültig furchtbar verliebt hatte!
Ich ließ mich gerne von ihr führen und wir erreichten unser zu Hause zum ersten Mal Hand in Hand!
Die nächsten Tage verliefen wie im Flug.
In der Schule kehrte nach unserer Attacke gegen Ede Paul wieder der Alltag ein. Er ging gar nicht mehr darauf ein und tat rein äußerlich so, als wäre nichts geschehen, Seine Gewohnheiten ließen allerdings andere Rückschlüsse zu!
Seine Tasche flog nicht mehr im hohen Bogen auf das Lehrerpult. Die Brotdose ließ sich überhaupt nicht mehr blicken und somit entfiel auch sein genüßlicher Verzehr von der einen oder anderen Scheibe Brot während der ersten Stunden.
Mit anderen Worten, unsere Streiche hatten Wirkungen hinterlassen.
Unser Fräulein Doktor betrachtete die Angelegenheit offensichtlich auch als erledigt, was uns mit Genugtuung erfüllte!
Damit herrschte, zumindestens oberflächlich betrachtet eitel Sonnenschein.
Wolfgang erreichte den Unterricht wie eh und je zu spät.
Babsis Grippe kapitulierte in Anbetracht eines riesigen Medikamenten Angebotes und sie erfreute sich wieder allerbester Gesundheit, sehr zur Freude aller Jungen in unserer Klasse!
Martin mußte, wie mir schien, etwas an Gewicht zugelegt haben.
Uli blieb so klein wie zuvor, vielleicht mit etwas mehr Bauchumfang.
Rüdiger sah mit einem blaugrün geschwollenen Auge und einer stattlichen Beule auf der Stirn etwas verletzt aus.
Bei Hartmut seinem Kommentar hörte sich das wie folgt an:
„Ein tragischer Zusammenstoß mit einem Schmetterling!“
Ich ergänzte die Verwundung auf meine Art:
„Der Spargel ist reif!“
Im Laufe der Woche fiel dann auch die endgültige Entscheidung, wer uns neben Fräulein Lerche auf der Klassenfahrt begleiten durfte.
Die Entscheidung fiel zu unser aller Zufriedenheit auf unseren Geschichts- und Physiklehrer Herrn Hermes.
Bis zum Schluß stand die Befürchtung, daß die Wahl auf Ede Paul fallen konnte, aber davon hatten wir uns durch unsere Streiche selber befreit!
So liefen dann alle Reisevorbereitungen nach Plan und auf Hochtouren. Unser Stammquartier sollte in Detmold liegen, von wo aus wir alle Wanderungen und Fahrten starten wollten.
Wir beabsichtigten einen Besuch im Teutoburger Wald, einen Abstecher zu den Externsteinen und zum Hermannsdenkmal und eine Tagesfahrt nach Kassel auf das Schloß Wilhelmshöhe.
Das sensationelle an dieser Fahrt war die Tatsache, daß wir erstmalig eine ganze Woche fahren würden!
Eine Woche ohne Hausarbeit und Schulstress, aber auch eine Woche ohne Ute!
Überhaupt Ute. Nach unserem romantischen Spaziergang bestand ein völlig neues Verhältnis! Wenn wir uns trafen begrüßten wir uns mit einem Kuß. Wenn wir den gemeinsamen Schulweg begingen, hielten wir uns an den Händchen und wenn wir spazieren gingen hakten wir uns ein wie ein verliebtes Pärchen, was wir ja auch darstellten! Es folgten sehr schöne Tage, auch ohne Hosentest, wie sie immer spitzbübisch lästerte! Es schien tatsächlich aus einer langjährigen Schulfreundschaft so etwas wie Liebe zu werden. Ich genoß diese Zeit sehr intensiv, handelte es sich doch um meine erste große Liebe!
Umso trauriger wurde mir um das Herz wenn ich nur daran dachte, sie eine Woche nicht sehen zu können. Ich wußte ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht was während der Klassenfahrt so alles auf mich zukommen sollte!
Vorbereitung zur Klassenfahrt
Unsere Klassenfahrt stand nun unmittelbar bevor. Eine der letzten Unterrichtsstunden hielt Herr Hermes, der Co- Pilot unserer Fahrt, wie wir ihn ab jetzt nannten!
Geschichte stand auf dem Programm und zu allem Überfluß auch noch die griechischen Götter! Ich muß wohl nicht erwähnen, daß viele von uns dieses Thema für völlig überflüssig hielten und sich entsprechend aufführten.
Babsi las einen schonungslosen Liebesroman, von dem sie uns in den Pausen immer mit geröteten Wangen erzählte.
Rüdiger informierte sich in mehr oder weniger einschlägig bekannten Massenblättern, immer peinlich genau darauf achtend, die Zeitung gerade zu halten, damit kein Blut herausfließen konnte,
Alexandra versuchte sich in der hohen Kunst des Strickens! Sie schwor Stein und Eisen einen Pullover herzustellen! Den Abmessungen zu Folge tippten wir aber eher auf einen Wintermantel.
Martin gab sich mit Inbrunst seiner Lieblingsbeschäftigung hin, dem Vernichten von Eßbarem! Was er so im Verlauf nur einer Schulstunde in sich hineinstopfte, schien eher angetan, ein Schwein zu mästen, als einen heranwachsenden Jüngling zu sättigen. Seine Mutter, die ihm die Brote zu Hause vorbereitete, mußte sicherlich jeden Tag eine Stunde früher aufstehen, um das gewaltige Pensum zu schaffen!
Uwe fertigte in beispiellosem Einsatz seine vergessene Hausarbeit in Mathe an, das in der letzten Stunde auf dem Programm stand. Von Zeit zu Zeit sah er dann aufmerksam und interessiert zu Herrn Hermes empor, der ihm auffällig oft aufmunternd zunickte! Er nahm wohl an, Uwe schrieb alles mit, was er erzählte! Zum Glück ahnte Herr Hermes aber nichts von Uwes tatsächlichem Tun!
Hartmut und ich spielten Schiffe versenken. Das Match stand noch remis.
Der Gipfelpunkt aber war mal wieder Wolfgang, unser notorischer Zuspätkommer, der es fertigbrachte, in der zweiten Reihe tief und fest zu schlafen! Von Zeit zu Zeit erhielt er einen leichten Knuff von seinem Nachbarn Klaus, den das laute Schnarchen manchmal schon etwas störte. Der Baum, den Wolfgang im Traum zersägen wollte, mußte schon mehr als einen Meter im Durchmesser dick sein!
Herr Hermes, bis dahin nichts merkend von alledem, erzählte gerade von seinem Namensvetter, Hermes, dem Götterboten, als er das schlafende Wunder bemerkte!
„Wie hieß doch unser griechischer Götterbote, Wolfgang?“
Der so angesprochene regte sich nicht im Geringsten!
„Wolfgang“, donnerte es vom Lehrertisch!
Aber selbst diese in höchster Tonlage vorgetragene Aufforderung, riß ihn nicht aus den Schlaf! Lediglich ein leichtes Lächeln umspielte seine schlafenden Lippen! Ansonsten waren keinerlei Anzeichen zu erkennen, daß er sich innerhalb kürzester Zeit wieder unter die Lebenden einreihen würde!
Das war nun auch Herrn Hermes etwas zu viel, seinen fesselnden Geschichtsunterricht zu verschlafen.
Langsam näherte er sich dem Schlafenden, baute sich breitbeinig mit seiner gesamten Körperfülle, die aus einigen überflüssigen Pfunden bestand, vor dem Schlafenden auf und brüllte aus Leibeskräften:
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