Was hindert uns eigentlich daran, den Buddhismus und Islam, das Christen- und Judentum sowie die Vielzahl kleinerer religiöser Gemeinschaften mit all ihren Nuancen und Facetten als weitgehend ebenbürtig zu sehen und entsprechend zu achten, solange sie sich im sozialen Gefüge nicht als inhuman entpuppen? Wo bleibt die hierfür nötige Toleranz auf weltanschaulicher Ebene? Sind wir immer noch willfährige Opfer unserer notorisch konservativen Auffassung vom Vorrang abendländischer Zivilisation oder neuerdings womöglich des bornierten Eurozentrismus? Hat uns nicht schon Gotthold Ephraim Lessing (1729 bis 1781) durch seine berühmte Ringparabel im dramatischen Gedicht „Nathan der Weise“ aufklärend und nachhaltig auf mehr Ergebung verwiesen?
Was soll man dazu sagen oder schreiben, wenn dementgegen kennzeichnend das vorletzte Oberhaupt der katholischen Kirche vor nicht allzu langer Zeit abermals mit Vokabeln tiefster Überzeugung inbrünstig verkündete, dass seine Glaubenslehre auch künftig die weltweit am meisten Seelenheil erweckende bleiben wird? Ergo: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker!“ Sonach handelt ihr ganz im Auftrage Jesu (Matthäusevangelium, Kapitel 28).
Noch viel abträglicher wirkte indessen die Entscheidung jenes Heiligen Vaters am 21. Januar 2009, mittels einer sicherlich wohlmeinenden Order die ketzerische Piusbruderschaft wieder in den Schoß der römisch-katholischen Kirche zurückzuholen. Sie wurde 1988 durch seinen Vorgänger, Johannes Paul II., infolge treulosen Verhaltens, der strikten Weigerung, sich dem Papst respektive dem Zweiten Vatikanischen Konzil unterzuordnen, exkommuniziert (was aber nicht deren Kirchenausschluss bedeutete).
Unter den Begnadigten befand sich neben drei anderen Bischöfen auch der englische Mitraträger Richard Williamson, ein notorisch skrupelloser Holocaustleugner. Wie sich bereits kurz danach zeigte, hatte Benedikt XVI. denkbar schlechte Berater hinsichtlich seiner Auswahl der zur Rehabilitation vorgesehenen „Sündenbrüder“, denn es folgten postwendend scharfe Missfallensbekundungen von globaler Reichweite.
Die überaus heftigen Proteste lösten damals eine der schwersten Krisen während der Amtszeit des deutschen Würdenträgers aus. Vereinzelt wurde sogar sein Pontifikat (Amtsdauer und Würde) infrage gestellt.
Nun darf man den sicherlich zu Recht Gescholtenen nicht etwa des Antisemitismus bezichtigen, hat er doch unter anderem durch seinen Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz nachhaltig demonstriert, wie er zu diesem beispiellos düsteren Kapitel unserer Geschichte steht. Aber eine äußerst unglückliche Fügung war jener Vorfall durchaus. Immerhin leugnete der genannte Brite schon vorher den millionenfachen Mord an Juden unter der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Das ist schlichtweg niederträchtig und böse, ergo unter keinen Umständen zu tolerieren. Der Mann hat offenbar in seinem Oberstübchen noch keine Ordnung geschaffen, steht anscheinend mit der Wahrheit auf Kriegsfuß. So etwas kann ja mal vorkommen. Das Problematische daran ist jedoch, dass ihn nicht wenige Leute trotzdem ernst nehmen, seinen teuflischen Aussagen widerspruchslos Glauben schenken.
Andererseits kennen wir die Kaderschmiede derart ultrakonservativer und ebenso reaktionärer Häupter. Das Stammhaus von insgesamt sechs Seminaren der rebellischen Priesterbruderschaft St. Pius X. befindet sich in der stillen Schweizer Gemeinde Econe, gegründet vom französischen Erzbischof Marcel Lefebvre (1905 bis 1991). Dieser sympathisierte mit seinem rechtsradikalen Landsmann Jean-Marie Le Pen, für den wiederum die Gaskammern der Nazis nur „ein Detail in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges“ waren.
Sonach dürften wir kaum noch darüber erstaunt sein, welcher Geist dort herrscht. In Econe erfuhr nämlich auch Williamson seine fünfjährige Ausbildung als Traditionalist der Christenlehre und am 30. Juni 1988 gegen den Willen des Heiligen Stuhls die Weihe durch den Initiator der sektiererischen Bruderschaft, was bereits einen Tag darauf die erwähnte Exkommunikation auslöste.
Noch heute gelten Lefebvres Credo für den Erhalt der „Alten Messe“ in lateinischer Sprache und sein Aufruf zum Kreuzzug gegen Veränderungen innerhalb der tradierten Konfession. So schrieb Franz Schmidberger, Distriktoberer der Piusbrüder für Deutschland, über die „Juden unserer Tage“, sie wären des Gottesmordes mitschuldig, solange sie sich nicht durch die Taufe von der Schuld ihrer Vorväter distanzierten.
Ach je, du wundersame Welt! Der hat vielleicht Sorgen! Unsereiner kann darob nur verwundert den Kopf schütteln. Desto bemerkenswerter ist der Tatbestand, dass den in mancher Hinsicht recht dubiosen Ansichten und Praktiken der Priesterbruderschaft St. Pius X. mittlerweile auf internationalem Terrain schon rund eine halbe Million Getreue folgen, von deren finanziellen Zuwendungen sich die überwiegend freiwillige Vereinigung der größtenteils stockkonservativen katholischen Geistlichen auch nährt.
Ergänzung: Am neunten Februar 2009 kam die Nachricht, dass sich die Piusbruderschaft von den antisemitischen Äußerungen ihres unbelehrbaren Monsignore Williamson distanziert. Sie entzog ihm die Leitung eines Priesterseminars im argentinischen La Reja bei Buenos Aires. Wahrlich eine längst überfällige Maßnahme! Merkwürdig wäre indessen, wenn das auch dem renommierten Professor für Dogmatik in seiner überaus verantwortungsvollen Funktion als einstiger Pontifex auf dem Thron Petri gereicht hätte (Näheres weiß man nicht).
Die Argentinier haben den störrischen Williamsen des Landes verwiesen. Endlich wurde er im Oktober 2012 auch aus der erwähnten Bruderschaft ausgeschlossen. Zudem erhielt der unbelehrbare Volksverhetzer am 16. Januar 2013 vom Amtsgericht Regensburg eine Geldstrafe von 1.800 Euro verhängt. Aber was ist das schon gegen die Leugnung der Existenz von Gaskammern und die Ermordung von sechs Millionen Juden während der Naziherrschaft?
Gewiss, sämtliche Religionen laben sich seit jeher am vermutlich unversiegbaren Nektar ihrer Gläubigen. Und es wird auch fortwährend einiges dafür getan, dass es tunlichst immer so bleibt, damit sich der breiten Masse wirkliche soziale Zusammenhänge gar nicht erst tiefgründig erschließen.
Demgegenüber haben namentlich Hardliner unter den Kommunisten während ihrer Herrschaft die enorme Faszination spiritueller Bräuche nicht gebührend berücksichtigt oder sträflich heruntergespielt und teilweise sogar bekämpft. Auch das war eine Ursache ihres historischen Scheiterns, denn steinalte, über viele Generationen hinweg florierende Gepflogenheiten lassen sich nicht innerhalb weniger Jahrzehnte beheben, am wenigsten durch blindwütige Aktionen. Es war sowieso ein verhängnisvoller Ansatz, den Menschen die ureigene Entscheidungskraft hinsichtlich ihrer Frömmigkeit abzusprechen, mithin eine direkte Verletzung ihrer Grundrechte. Doch Fanatiker jedweder Richtung waren, sind und bleiben allenthalben halsstarrig, also gefährlich, weil unberechenbar.
Dessen ungeachtet bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass speziell die Ausbeutersysteme (und das kapitalistische ist in dieser Hinsicht fraglos die raffinierteste von allen bisherigen gesellschaftlichen Formationen!) auf derlei Gehilfen nicht verzichten können und auch gar nicht wollen. Der Sozialdemokrat August Bebel (1840 bis 1913) hat das besonders drastisch bekundet, indem er meinte, dass Staat und Kirche sich „brüderlich unterstützen, wenn es das Volk zu knechten, zu verdummen und auszubeuten gilt“.
Ergo: Mann von der Straße, arbeite und bete! Ansonsten ist dein himmlisches Paradies gefährdet! Wir Oberen kümmern uns um die Geschicke der Nation und natürlich auch um dein persönliches Wohlergehen auf Erden. „Sorge dich nicht - lebe!“, könnte auch hier das richtungweisende Motto der Machthaber gegenüber dem miesepetrigen Untertan heißen, obgleich sich der Bestseller von Dale Carnegie kaum ernsthaft solcherart Fragestellungen widmet.
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