„Das verstehe ich gut, ich habe im ersten Augenblick auch einen regelrechten Schock gehabt, als du es gesagt hast. Ich weiß ja, du bist jetzt trocken, aber all die Jahre …“
„Ja, ich weiß. Das alles habe ich auch gesagt, aber er hat mich beruhigt und gemeint, wir würden ganz sicher ein gesundes, hübsches Kind bekommen. Ich werde natürlich gleich morgen zu Andreas gehen, danach brav zu allen Vorsorgeuntersuchungen, zur Schwangerschaftsgymnastik, mich gesund ernähren, viel ruhen und alles tun, damit es unserem Kleinen bei mir gefällt.“
„Unserem Kleinen? Und wenn es ein Mädchen wird?“
„Nein, wird es nicht. Ich bin ganz sicher, es wird ein Junge. Andreas hat auch gesagt, Frauen haben ein Gespür dafür.“
„Na gut, ich würde mich auch über ein Mädchen freuen, solange es gesund ist, aber Papa wäre natürlich nur mit einem Jungen zufrieden, du weißt ja wie er ist.“
Roger Kreutzer lachte etwas gezwungen, als er daran dachte, wie sein Vater auf Melanies öffentliche Ankündigung reagiert hatte. Kaum vom Podest gestiegen, hatte er ihn am Arm ins Haus gezogen, ohne einen Blick an Melanie zu verschwenden, ohne ihr zu gratulieren.
„Hat deine Frau ihren Verstand jetzt endgültig versoffen? So etwas posaunt man doch nicht in aller Öffentlichkeit heraus. Na egal, ich hätte wirklich nicht gedacht, dass die noch mal schwanger wird. Ich hatte die Hoffnung längst aufgegeben, dass wir noch einen Erben für die Kanzlei bekommen, aber, lieber spät als nie. Hoffen wir, dass ihre Sauferei in den letzten Jahren nicht dazu führt, dass sie das Kind verliert oder noch schlimmer, am Ende ein behindertes zur Welt bringt. Sie ist ja obendrein nicht mehr die Jüngste. Deine Mutter war gerade einundzwanzig, als du geboren wurdest, also fast zwanzig Jahre jünger. Na, wir können nur abwarten und das Beste hoffen. Pass bloß auf sie auf, dass sie nicht wieder mit der Sauferei anfängt, aber wir trinken jetzt einen Cognac auf meinen zukünftigen Enkel.“
***
„Es wird ein Junge, versprochen“, lachte Melanie und lehnte sich an ihren Mann. „Eines musst du mir aber versprechen, wenn das Kind auf der Welt ist, bauen wir uns ein eigenes Haus. Ich will dann nicht länger mit deiner Mutter unter einem Dach leben. Sie würde sich in alles einmischen und am Ende so tun, als wäre es ihr Kind und nicht meins. Bitte, versprich mir das.“
„Ja, natürlich, das machen wir, versprochen.“
Roger Kreutzer hatte mit Überzeugung gesprochen, aber er wusste, dass es sehr schwierig werden würde, sein Versprechen zu halten. Seine Eltern würden alles daran setzen, dieses Vorhaben zu verhindern.
Er straffte die Schultern, lächelte seine Frau an und zog dann sein Smartphone aus der Tasche.
„Ich versuche mal, ob ich Andreas erreiche und frage, wo er bleibt. Ich würde mich gern mit ihm unterhalten, damit ich beruhigter bin. Geh du bitte zurück zu unseren Gästen und lass dich feiern. Die werden sich ohnehin schon fragen, wo wir geblieben sind.“
Melanie nickte, blieb aber bewegungslos stehen und sah ihrem Mann nach, der mit dem Telefon am Ohr den Raum verließ. Nach ihrem Besuch bei Julia war die alte Wut auf ihn erneut aufgeflammt. Er hatte also die Nase voll von ihr, wollte sie lieber heute als morgen verlassen.
„Nein, mein Lieber, du verlässt mich nicht“, flüsterte sie, „ich bekomme den Kreutzererben. Mein Trojanisches Pferd wird dich an mich binden, so lange ich das für richtig halte.“
***
„Sag mal, hat das Busenwunder, das immer wieder so auffällig unauffällig zu dir rüber guckt, eigentlich keinen Mann? Sieht jedenfalls so aus, als sei es ganz allein zur Party gekommen.“
„Keine Ahnung, ich kenne die Dame nicht näher. Komm, hör auf zu lästern und lass uns etwas zu essen holen, bevor alles weg ist.“
Die Befürchtung hatte ich nicht wirklich, denn die Kreutzers hatten auffahren lassen, als gelte es, einer Hungersnot die Stirn zu bieten. Tabea kaute auf ihrer Unterlippe; ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie ein Veto einlegen wollte. Ich kam ihr zuvor, packte ihren Arm und zog sie in die von mir angestrebte Richtung. Das Glück war nicht auf meiner Seite, denn Walter tauchte auf, meine Mutter im Schlepptau.
„Ach, Frau Oberkommissarin, darf ich Sie schnell mal etwas fragen?“, blökte er, und ohne auf eine Antwort zu warten, packte er schon wieder ihren Arm und zog sie mit sich fort.
Ich durchbohrte seinen Rücken mit Blicken, die allesamt an ihm abprallten, gab meiner Mutter verzweifelte Zeichen, ihn aufzuhalten, aber die lächelte ihm nur verklärt nach. Jetzt reichte es mir. Erst schleppte man mich auf eine Party, auf die ich nicht wollte, konfrontierte mich mit allem möglichen, was ich auch nicht wollte und jetzt sollte ich auch noch verhungern. Schluss mit lustig, so ging es nicht weiter.
„Tschüss, sagte ich laut, „man sieht sich ja sicher mal wieder“, drehte mich um und ging zielstrebig auf das Buffet zu. Alli folgte mir ungewohnt begeistert. Niemand hielt mich auf, niemand folgte mir. In meinem Rücken hörte ich allerdings die Stimme meiner Mutter sagen: „Aber Junge, was hast du denn schon wieder?“
„Hunger“, dachte ich und ging wortlos weiter. Mit gut gefülltem Teller suchte ich mir ein freies Plätzchen, organisierte mir noch ein Bier und versuchte vergeblich, mich sauwohl zu fühlen. Ich hasste es, Beef mit Tabea zu haben, war aber auch nicht begeistert, für einen Typen über 70 einfach stehengelassen zu werden. Zum Trotz verfütterte ich gleich zwei Scheiben Saumagen an meinen angeblich zu dicken Hund. Zehn Minuten später kam Tabea, zusammen mit meiner Mutter und Walter.
„Junge, zieh die Stirn nicht so kraus, davon kriegst du Falten.“
Meine Mutter war in ihrem Element und fuhr missbilligend fort: „Das hat er als Kind schon immer gemacht, wenn er mit etwas nicht einverstanden war. Er brauchte gar nichts zu sagen, man sah es ihm schon von weitem an.“
Tabea lächelte still vor sich hin, nicht bereit, mich vor dieser Peinlichkeit zu bewahren, aber es kam noch dicker.
„Junger Mann“, begann nämlich der Weißkopfadler, „Sie haben wirklich eine sehr kluge Freundin, es ist eine Freude, sich mit ihr zu unterhalten. Ich meine, Sie sind doch Detektiv, also können Sie bestimmt eine Menge von ihr lernen. Sie müssen ihr einfach mehr zuhören. Sie erzählt so ungeheuer spannende Geschichten und Sie essen in aller Seelenruhe …“
„Mit der Seelenruhe scheint es ja jetzt vorbei zu sein“, maulte ich und wandte mich an Tabea.
„Hast du auch noch etwas an mir auszusetzen? Dann spuck´s nur aus! Aber bitte beeil dich, ich würde dann nämlich gern von hier verschwinden.“
Ich wusste genau, dass ich übertrieb, aber ich konnte nicht aufhören. Ich war angepisst und das sollte sie ruhig wissen.
„Wenn ich es mir genau überlege, im Augenblick sogar eine ganze Menge, aber ich habe keine Lust auf eine Auseinandersetzung.“
War das zu fassen? Meine Freundin dachte gar nicht daran, zu mir zu halten, die stellte sich auf die Seite von diesem alten Besserwisser und ließ mich wie den letzten Trottel auflaufen. Bevor ich mich weiter zum Affen machen konnte, kreuzte mein Blick den von Julia Brandt, die mit unserem Gastgeber an einem der hohen Tische stand.
„Gut, dann werde ich euch mal von meiner Anwesenheit befreien, damit ihr ungestört eure interessanten Gespräche fortsetzen könnt“, sagte ich, drehte mich um, zog den widerstrebenden Dackel hinter mir her, verließ die Runde und steuerte auf Julia zu. Hätte ich das nur gelassen, mir wäre viel Ärger erspart geblieben.
***
Die Diskussion mit seinem Vater war harmlos gewesen, gegen das, was seine Mutter vorbrachte. Natürlich war es Carolin Kreutzer gelungen, ihren Sohn zur Rede zu stellen. Der hielt den Kopf gesenkt, weil er wusste, dass es völlig sinnlos war, ihr zu widersprechen. Sie würde erst aufhören, wenn sie alles gesagt hatte, was sie an Einwänden vorbringen konnte.
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