Lady Anna werde durch all dies gleichzeitig bezwungen. Wie Honigseim gleiten die Schmeichelworte von den furchtbaren Lippen … Richard schmeichelt ihr, derselbe Richard, welcher ihr alle Schrecken der Hölle einflößt, welcher ihren geliebten Gemahl und den väterlichen Freund getötet, den sie eben zu Grabe bestattet … Er befiehlt den Leichenträgern mit herrischer Stimme, den Sarg niederzusetzen, und in diesem Moment richtet er seine Liebeswerbung an die schöne Leidtragende … Das Lamm sieht schon mit Entsetzen das Zähnefletschen des Wolfs, aber dieser spitzt plötzlich die Schnauze zu den süßesten Schmeicheltönen … Die Schmeichelei des Wolfs wirkt so erschütternd, so berauschend auf das arme Lammgemüt, dass alle Gefühle darin eine plötzliche Umwandlung erleiden … Und König Richard spricht von seinem Kummer, von seinem Gram, so dass Anna ihm ihr Mitleid nicht versagen kann, um so mehr, da dieser wilde Mensch nicht sehr klagesüchtig von Natur ist … Und dieser unglückliche Mörder hat Gewissensbisse, spricht von Reue, und eine gute Frau könnte ihm vielleicht auf den besseren Weg leiten, wenn sie sich für ihn aufopfern wollte … Und Anna entschließt sich, Königin von England zu werden.
Diese Bemerkung, dass Anna sich entschließt, Königin von England zu werden , ist eine maliziöse Ironie Henris, – legt sie doch unterderhand nahe, dass eine Frau sogar dem Mörder ihres Gatten verzeiht, wenn sie dafür Königin werden darf! –
Ein unüberwindliches Vorurteil habe Verfasser gegen Königin Katharina aus Heinrich VIII ., welcher er dennoch die höchsten Tugenden zugestehen müsse. Als Ehefrau war sie ein Muster häuslicher Treue. Als Königin betrug sie sich mit höchster Würde und Majestät. Als Christin war sie die Frömmigkeit selbst. Aber den Doktor Johnson habe sie zum überschwänglichsten Lobe begeistert, sie ist unter allen Shakespeareschen Frauen sein auserlesener Liebling, er spricht von ihr mit Zärtlichkeit und Rührung … Das sei nicht zu ertragen. Shakespeare habe alle Macht seines Genius aufgeboten, die gute Frau zu verherrlichen, doch diese Bemühung werde vereitelt, wenn man sieht, dass Dr. Johnson, der große Porterkrug, bei ihrem Anblick in süßes Entzücken gerät und von Lobeserhebungen überschäumt. Wäre sie seine Frau – so Henri –, er könnte sich von ihr scheiden lassen ob solcher Lobeserhebungen.
Vielleicht war es nicht der Liebreiz von Anne Boleyn, was den armen König Heinrich von ihr losriss, sondern der Enthusiasmus, womit sich irgendein damaliger Dr. Johnson über die treue, würdevolle und fromme Katharina aussprach. Hat vielleicht Thomas Morus, der bei all seiner Vortrefflichkeit etwas pedantisch und ledern und unverdaulich wie Dr. Johnson war, zu sehr die Königin in den Himmel erhoben? Dem wackern Kanzler freilich sei sein Enthusiasmus etwas teuer zu stehen gekommen; der König erhob ihn deshalb selbst in den Himmel. Er – der Kommentator – wisse nicht, was er am meisten bewundern solle: dass Katharina ihren Gemahl ganze fünfzehn Jahre lang ertrug, oder dass Heinrich seine Gattin während so langer Zeit ertragen habe? Der König war nicht bloß sehr launenhaft, jähzornig und in beständigem Widerspruch mit allen Neigungen seiner Frau – das finde sich in vielen Ehen, die sich trotzdem, bis der Tod allem Zank ein Ende macht, aufs beste erhalten –, aber der König war auch Musiker und Theolog, und beides in vollendeter Miserabilität.
Die gewöhnliche Meinung gehe dahin, König Heinrichs Gewissensbisse ob seiner Ehe mit Katharinen seien durch die Reize der schönen Anne Boleyn entstanden. Sogar Shakespeare verrate diese Meinung, und wenn in dem Krönungszug die neue Königin auftritt, legt er einem jungen Edelmann die folgenden Worte in den Mund:
… Gott sei mit dir!
Solch süß Gesicht als deins erblickt ich nie!
Bei meinem Leben, Herr, sie ist ein Engel,
Der König hält ganz Indien in den Armen,
Und viel, viel mehr, wenn er dies Weib umfängt:
Ich tadle sein Gewissen nicht.
Von der Schönheit Anne Boleyns gebe uns der Dichter auch in der folgenden Szene einen Begriff, wo er den Enthusiasmus schildert, den ihr Anblick bei der Krönung hervorruft. Wie sehr Shakespeare seine Gebieterin, die hohe Elisabeth, liebte, zeige sich am schönsten vielleicht in der Umständlichkeit, womit er die Krönungsfeier ihrer Mutter darstellt. Alle diese Details sanktionieren das Thronrecht der Tochter, und der Dichter wusste die bestrittene Legitimität seiner Königin dem ganzen Publikum zu veranschaulichen. Aber diese Königin verdiente solchen Liebeseifer! Sie glaubte ihrer Königswürde nichts zu vergeben, wenn sie dem Dichter gestattete, alle ihre Vorfahren, und sogar ihren eigenen Vater, mit entsetzlicher Unparteilichkeit auf der Bühne darzustellen!
Und nicht bloß als Königin, sondern auch als Weib habe sie nie die Rechte der Poesie beeinträchtigen wollen; wie sie unserem Dichter in politischer Hinsicht die höchste Redefreiheit gewährte, so erlaubte sie ihm auch die kecksten Worte in geschlechtlicher Beziehung, sie nahm keinen Anstoß an den ausgelassensten Witzen einer gesunden Sinnlichkeit, und sie, the maiden queen , die königliche Jungfrau, verlangte sogar, dass Sir John Falstaff sich einmal als Liebhaber zeige. Ihrem lächelnden Wink verdanken wir Die lustigen Weiber von Windsor. Shakespeare konnte seine englischen Geschichtsdramen nicht besser schließen, als indem er am Ende von Heinrich VIII . die neugeborene Elisabeth, gleichsam die bessere Zukunft in Windeln, über die Bühne tragen lässt. –
Das Renommee der Lady Macbeth, die man während zweier Jahrhunderte für eine sehr böse Person hielt, habe sich vor etwa zwölf Jahren in Deutschland sehr zu ihrem Vorteil verbessert. Der fromme Franz Horn habe nämlich im Brockhausischen Konversationsblatt die Bemerkung gemacht, dass die arme Lady bisher ganz verkannt worden, dass sie ihren Mann sehr liebte und überhaupt ein liebevolles Gemüt besäße. Diese Meinung suchte bald darauf Herr Ludwig Tieck mit all seiner Wissenschaft, Gelahrtheit und philosophischen Tiefe zu unterstützen, und es dauerte nicht lange, so sahen wir Madame Stich auf der königlichen Hofbühne in der Rolle der Lady Macbeth so gefühlvoll girren und turteltäubeln, dass kein Herz in Berlin vor solchen Zärtlichkeitstönen ungerührt blieb und manches schöne Auge von Tränen überfloss beim Anblick der juten Macbeth. – Das geschah, wie gesagt, vor etwa zwölf Jahren, in jener sanften Restaurationszeit, wo sie alle so viel Liebe im Leib gehabt hätten. Seitdem sei ein großer Bankrott ausgebrochen, und wenn sie jetzt mancher gekrönten Person nicht die überschwängliche Liebe widmeten, die sie verdient, so seien Leute daran schuld, die, wie die Königin von Schottland, während der Restaurationsperiode ihre Herzen ganz ausgebeutelt hätten. Ob man in Deutschland die Liebenswürdigkeit der besagten Lady noch immer verfechte, wisse er nicht. Seit der Juliusrevolution haben sich jedoch die Ansichten in vielen Dingen geändert, und man hat vielleicht sogar in Berlin einsehen lernen, dass die jute Macbeth eine sehr bese Bestie sint .
Persönlich fühlt er sich von einer anderen Figur wahlverwandtschaftlich berührt. Einmal nämlich appelliert der Feldherr Macduff an den legitimen schottischen Prinzen Malcolm, die Nachfolge des ermordeten Königs Duncan zu übernehmen. Überraschender Weise erklärt Malcolm sich außerstande, das würdige Amt anzutreten. Er sei dafür völlig ungeeignet. In Abgründe blicken lässt der Grund, den er auf Macduffs Nachfrage dafür anführt: die erotische Unmäßigkeit seiner Natur. Im Original:
I grant him bloody,
Luxurious, avaricious, false, deceitful,
Sudden, malicious, smacking if every sin
That has a name. But there's no bottom, none,
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