Freudhold Riesenharf
Heine hardcore I - Die späten Jahre
Welche sterben, wenn sie lieben
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Inhaltsverzeichnis
Titel Freudhold Riesenharf Heine hardcore I - Die späten Jahre Welche sterben, wenn sie lieben Dieses ebook wurde erstellt bei
1: Frisette
2: Coucou
3: Cleopatra
4: Ophelia
5: Horatio
6: Jessica
7: Jeanette
8: Ninon
9: Irene
10: Eugénie
11: Ottilie
12: Arnold
13: Jenny
14: Elisabeth
15: Lola
16: Der Asra
17: Agathina
18: Mariette
19: Elise
20: Mouche
21: Hippolyte
22: Delphine
23: Camille
24: Margaretha
Impressum neobooks
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Und der Sklave sprach: „Ich heiße
Mohamet, ich bin aus Jemen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben.“
Der Asra
Es ist das Jahr 1837, und der Dichter Heinrich Heine, der in seinem freiwilligen Pariser Exil seit drei Jahren unter einem Dach zusammen mit Crescence Mirat – genannt Mathilde – lebt, geht auf die vierzig zu.
Da passiert ihm das Ungeheuerlichste und Schlimmste, was einem – und sei's bloß in wilder Ehe – verheirateten Mann überhaupt passieren kann: Er verliebt sich in eine andere Frau.
„Was die Eifersucht betrifft“, berichtet Henri Julia, „war Frau Heine nicht gerade bequem. Heine erzählte mir, dass er einmal von seiner Frau in traulichem Zusammensein mit Frisette überrascht worden sei. Nun wird man fragen: ,Aber wer war denn Frisette?'“
Es ist der 15. März, Mathildens zweiundzwanzigster Geburtstag, und sie haben ihn beim bal mabille im Quartier Latin gefeiert. Er kann sich einen Geburtstag nicht ohne den Cancan in seinem Lieblingslokal vorstellen. Es ist seine Schwäche für die Lendenpoesie : Tänzerinnen, die mit ihrer Lendenpoesie Effekt machen. Nachts neben ihr im Bett lässt er den Abend noch einmal Revue passieren.
Er erinnert sich an zwei dicke Damen in der großen Oper von Manchester, die diesen Versammlungsort der vornehmen Welt zum ersten Mal in ihrem Leben besuchten – und den Abscheu ihres Herzens nicht stark genug kundgeben konnten, als beim Ballett die hochgeschürzten schönen Tänzerinnen ihre üppig-graziösen Bewegungen zeigten, ihre lieben, langen, lasterhaften Beine ausstreckten und plötzlich bacchantisch den entgegenhüpfenden Tänzern in die Arme stürzten. Die warme Musik, die Urkleider von fleischfarbigem Trikot, die Naturalsprünge, alles vereinigte sich, den armen Damen Angstschweiß auszupressen, ihre Busen erröteten vor Unwillen, „shocking! for shame, for shame!“ ächzten sie beständig und waren so sehr von Schrecken gelähmt, dass sie nicht einmal das Perspektiv vom Auge nehmen konnten und bis zum letzten Augenblick, bis der Vorhang fiel, in dieser Situation sitzen blieben .
Jetzt wollte er einmal testen, ob es Mathilden gefällt. Der Cancan ist ein provokativer, sexuell anregender Tanz, der zuerst in den Pariser Ballsälen um 1830 herum auftaucht. Der Tanzstil erregt Skandal wegen dem hohen Werfen der Beine und anderen Bewegungen von Armen und Beinen. In Deutschland wäre das unvorstellbar. Man ist tugendhaft in Deutschland, weil man es so lange war und jetzt es nicht der Mühe wert hält, lasterhaft zu werden, ungefähr wie Damen, die bis zum vierzigsten Jahr tugendhaft waren – daher große Toleranz, laxe Prinzipien, bei strengen Sitten.
Die Cancan- und Chahut-Tänze sind zur Zeit eine Sensation. Der Cancan gilt als wild, anstößig und obszön. Henri erlebt nicht mehr, wie später in den 1880er Jahren La Goulue und Grille d'Egout ihre Karriere im Élysée-Montmartre auf dem Boulevard Rochechouart beginnen und zusammen mit dem Kapellmeister Louis Dufour dem Cancan einen neuen Aufschwung geben. Die Goulue begeistert die Zuschauer mit ihren besonderen Tanzeinfällen. Sie nimmt in ihren schwarzen Seidenstrümpfen ihren schwarzen Atlasfuß in die Hand und lässt die sechzig Meter Spitzen ihrer Jupons hin- und herkreisen; sie zeigt ihr Höschen, dem drollig ein Herz aufgestickt ist, das sich kurios über ihr kleines Hinterteil spannt, wenn sie ihre unehrerbietigen Reverenzen macht; rosa schimmert die Rosette des Strumpfbandes, und bis auf die feinen Knöchel sinkt ein köstlicher Spitzenschaum und lässt ihre herrlichen gelenkigen, geistvollen und aufreizenden Beine erscheinen und verschwinden. Mit einem Schwung des Fußes nimmt die Tänzerin ihrem Kavalier den Hut ab und setzt sich in die Grätsche, mit starraufrechtem Oberkörper, die schmale Taille in himmelblauer Seidenbluse.
Das Wesen des französischen Balletts – erklärt er – ist keusch, aber die Augen der Tänzerinnen machen zu den sittsamsten Pas einen sehr lasterhaften Kommentar, und ihr liederliches Lächeln ist in beständigem Widerspruch mit ihren Füßen. Hier höre ich die Frage: was ist der Cancan? Heiliger Himmel, ich soll für die Allgemeine Zeitung eine Definition des Cancan geben! Wohlan: der Cancan ist ein Tanz, der nie in ordentlicher Gesellschaft getanzt wird, sondern nur auf gemeinen Tanzböden, wo derjenige, der ihn tanzt, oder diejenige, die ihn tanzt, unverzüglich von einem Polizeiagenten ergriffen und zur Tür hinausgeschleppt wird. Ich weiß nicht, ob diese Definition hinlänglich belehrsam, aber es ist auch gar nicht nötig, dass man in Deutschland ganz genau erfahre, was der französische Cancan ist. Soviel wird schon aus jener Definition zu merken sein, dass die vom seligen Vestris angepriesene Tugend hier kein notwendiges Requisit ist, und dass das französische Volk sogar beim Tanzen von der Polizei inkommodiert wird.
Ja, dieses Letztere ist ein sehr sonderbarer Übelstand, und jeder denkende Fremde muss sich darüber wundern, dass in den öffentlichen Tanzsälen bei jeder Quadrille mehrere Polizeiagenten oder Kommunalgardisten stehen, die mit finster katonischer Miene die tanzende Moralität bewachen. Es ist kaum begreiflich, wie das Volk unter solch schmählicher Kontrolle seine lachende Heiterkeit und Tanzlust behält. Dieser gallische Leichtsinn aber macht eben seine vergnügtesten Sprünge, wenn er in der Zwangsjacke steckt, und obgleich das strenge Polizeiauge es verhütet, dass der Cancan in seiner zynischen Bestimmtheit getanzt wird, so wissen doch die Tänzer durch allerlei ironische Entrechats und übertreibende Anstandsgesten ihre verpönten Gedanken zu offenbaren, und die Verschleierung erscheint alsdann noch unzüchtiger als die Nacktheit selbst. Meiner Ansicht nach ist es für die Sittlichkeit von keinem großen Nutzen, dass die Regierung mit so vielem Waffengepränge bei dem Tanze des Volks interveniert; das Verbotene reizt eben am süßesten, und die raffinierte, nicht selten geistreiche Umgehung der Zensur wirkt hier noch verderblicher als erlaubte Brutalität. Diese Bewachung der Volkslust charakterisiert übrigens den hiesigen Zustand der Dinge und zeigt, wie weit es die Franzosen in der Freiheit gebracht haben.
Er wollte wie gesagt einmal testen, ob es Mathilden gefällt. Ihr Tisch war, was bei seiner Bekanntheit kein Problem ist, direkt neben der Bühne reserviert. Die Besetzung war wie gewohnt, doch fiel ihm eine Neue auf. Die junge Tänzerin kann, der Form ihrer schlanken Schenkel und Brüste nach, nicht älter als 18 sein, und wann immer sie ihre lieben, langen, lasterhaften Beine hochwarf und er ihren Schritt mit dem roten Höschen sah, spürte er, wie es ihm unwillkürlich im Blut kribbelte. Offenbar hatte der Besitzer sie von der Gegenwart der illustren Gäste in der ersten Reihe informiert, denn einmal in der Pause kam sie an ihren Tisch und stellte sich als Newcomerin vor. Erst jetzt erkennt er sie wieder – die bereits bekannte Frisette, mit der er von Mathilde schon einmal erwischt worden ist. Sie tut aber so, als wäre gar nichts gewesen, und Henri geht mit harmloser Miene darauf ein. Ihre Pirouetten, bemerkt er, um ein Kompliment nicht verlegen, würden sie bald zu einer Berühmtheit in der Tanzkunst werden und an Ruf mit Céleste Mogador und der Königin Pomare wetteifern lassen. Er übersieht nicht, wie sie seiner Schmeichelei wegen wieder bis in den Brustansatz hinein errötet.
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