1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 geglaubt hat, daß es möglich wäre, deutsche Männer
könnten sich damit beschäftigen. Seine Verlegenheit,
seine Ungeduld steigt mit jedem Augenblicke, bis er
endlich das verwünschte Schloß weit hinter sich sieht.
Und nun, den Fall umgekehrt, lasse man einen sonst
edlen Hofmann einmal hinaus auf das Land in die
Gesellschaft biedrer Beamter und Provinzial-Edelleute
geraten! Hier herrschen ungezwungene Fröhlichkeit,
Offenherzigkeit, Freiheit; man redet von dem, was am
nächsten den Landmann interessiert; man wiegt die
Worte nicht ab; der Scherz ist naiv, gewürzt, aber nicht
zugespitzt, nicht gekünstelt. Unser Hofmann versucht es,
sich in diese Manier hineinzuarbeiten; er mischt sich in
die Gespräche; aber der Ausdruck der Offenheit und
Treuherzigkeit fehlt; was bei jenen naiv war, wird bei ihm
beleidigend. Er fühlt dies und will die Leute in seinen
Ton stimmen; in der Stadt gilt er für einen angenehmen
Gesellschafter; er spannt alle Segel auf, um auch hier zu
glänzen; allein die kleinen Anekdoten, die feinen Züge,
worauf er anspielt, sind hier gänzlich unbekannt, gehen
verloren. Man findet ihn medisant, empfindet ihn als
Lästerer, Verleumder, da in der Stadt niemand ihn einer
Verleumdung beschuldigt; seine Komplimente, die er
wahrlich gut meint, hält man für Falschheit; die
Süßigkeiten, die er den Frauenzimmern sagt und die nur
höflich und verbindlich sein sollen, betrachtet man als
Spott. – So groß ist die Verschiedenheit des Tons unter
zweierlei Klassen von Menschen! –
Ein Professor, der in der literarischen Welt eine nicht
gemeine Rolle spielt, meint in seiner gelehrten Einfalt, die
Universität, auf welcher er lebt, sei der Mittelpunkt aller
Wichtigkeit, und das Fach, in welchem er sich Kenntnisse
erworben, die einzige dem Menschen nützliche, wahrer
Anstrengung allein werte Wissenschaft. Er nennt jeden,
der sich darauf nicht gelegt hat, verächtlicherweise einen
Belletristen; einer Dame, die bei ihrer Durchreise den
berühmten Mann kennenzulernen wünscht und ihn
desfalls besucht, schenkt er seine neue, in lateinischer
Sprache geschriebene Dissertation, wovon sie nicht ein
Wort versteht; er unterhält die Gesellschaft, welche sich
darauf gefreut hatte, ihn recht zu genießen, bei der
Abendtafel mit Zergliederung des neuen akademischen
Kreditedikts, oder, wenn der Wein dem guten Manne
jovialische Laune gibt, mit Erzählung lustiger Schwänke
aus seinen Studentenjahren.
Einst speisete ich mit dem Benediktiner-Prälaten aus
I*** bei Hofe in H***; man hatte dem dicken
hochwürdigen Herrn den Ehrenplatz neben Ihrer Hoheit
der Fürstin gegeben; vor ihm lag ein großer Ragoutlöffel
zum Vorlegen; er glaubte aber, dieser größere Löffel sei,
ihm zur besondern Ehre, zu seinem Gebrauche
dahingelegt, und um zu zeigen, daß er wohl wisse, was
die Höflichkeit erfordert, bat er die Prinzessin ehrerbietig,
sie möchte doch statt seiner sich des Löffels bedienen,
der freilich viel zu groß war, um in ihr kleines Mäulchen
zu passen.
In welcher Verlegenheit ist zuweilen ein Mann, der
nicht viel Journale und neurere Modeschriften liest, wenn
er in eine Gesellschaft von schöngeisterischen Herrn und
Damen gerät!
Gleichsam wie verraten und verkauft scheint ein
sogenannter Profaner, wenn er sich unter einem Haufen
Mitglieder einer geheimen Verbindung befindet.
Freilich kann nichts ungesitteter, den wahren
Begriffen einer feinen Lebensart mehr entgegen sein, als
wenn eine Anzahl Menschen, die sich auf diese Art
untereinander verstehen, einem Fremden, der gutmütig
unter sie tritt, um an den Freuden der Geselligkeit
teilzunehmen, durch ununterbrochene Lenkung des
Gesprächs auf Gegenstände, wovon dieser gar nichts
versteht, jeden Genuß der Unterredung rauben. Auf diese
Art habe ich zuweilen in meiner ersten Jugend in
Familienzirkeln, wo die Unterhaltung beständig mit
Anspielungen auf mir gänzlich unbekannte Anekdoten
durchflochten und durch gewisse mir fremde
Redensarten und Bonmots, womit ich gar keinen Begriff
verbinden konnte, gewürzt war, tötende Langeweile
gehabt. Man sollte wohl mehr Rücksicht nehmen; allein
selten sind ganze Gesellschaften so billig, sich nach
einzelnen zu richten; auch läßt sich das nicht immer mit
Recht fordern; folglich ist es wichtig für jeden, der in der
Welt mit Menschen leben will, die Kunst zu studieren,
sich nach Sitten, Ton und Stimmung andrer zu fügen.
3.
Über diese Kunst will ich etwas sagen. – Aber habe ich
denn auch wohl Beruf, ein Buch über den esprit de
conduite zu schreiben, ich, der ich in meinem Leben
vielleicht sehr wenig von diesem Geiste gezeigt habe?
Ziemt es mir, Menschenkenntnis auszukramen, da ich so
oft ein Opfer der unvorsichtigsten, einem Neulinge kaum
zu verzeihenden Hingebung gewesen hin? Wird man die
Kunst des Umgangs von einem Manne lernen wollen, der
beinahe von allem menschlichen Umgange abgesondert
lebt? – Lasset doch sehn, meine Freunde! was sich darauf
antworten läßt!
Habe ich widrige Erfahrungen gemacht, die mich von
meiner eigenen Ungeschicklichkeit überzeugt haben –
desto besser! Wer kann so gut vor der Gefahr warnen, als
der, welcher darin gesteckt hat? Haben Temperament
und Weichlichkeit (oder darf ich es nicht Fühlbarkeit
eines so gern sich anschließenden Herzens nennen?),
haben Sehnsucht nach Liebe und Freundschaft, nach
Gelegenheit, andern zu dienen und sympathische
Empfindungen zu erregen, mich oft unvorsichtig handeln
gemacht, oft die kalkulierende Vernunft weit
zurückgelassen; so war es wahrlich nicht Blödsinnigkeit,
Kurzsichtigkeit, Unbekanntschaft mit Menschen, was
mich irreleitete, sondern Bedürfnis, zu lieben und geliebt
zu werden, Verlangen, tätig zu sein, zum Guten zu
wirken. Übrigens werden vielleicht wenig Menschen in
einem so kurzen Zeitraume in so manche sonderbare
Verhältnisse und Verbindungen mit andern Menschen
aller Art geraten, als ich seit ungefähr zwanzig Jahren;
und da hat man denn schon Gelegenheit, wenn man
nicht ganz von der Natur und Erziehung verwahrlost ist,
Bemerkungen zu machen, und vor Gefahren zu warnen,
die man selbst nicht hat vermeiden können. Daß ich aber
jetzt einsam und abgezogen lebe, geschieht weder aus
Menschenhaß noch Blödigkeit; ich habe sehr wichtige
Gründe dazu; allein diese hier weitläufig zu entwickeln,
das hieße zu viel von mir selbst reden, da ich ohnehin
noch, zum Schlusse dieser Einleitung, etwas über meine
eigenen Erfahrungen werde sagen müssen, bevor ich zum
Zwecke komme. – Also nur noch dieses:
4.
Ich trat als ein sehr junger Mensch, beinahe noch als ein
Kind, schon in die große Welt und auf den Schauplatz
des Hofes. Mein Temperament war lebhaft, unruhig,
bewegsam, mein Blut warm; die Keime zu mancher
heftigen Leidenschaft lagen in mir verborgen; ich war in
der ersten Erziehung ein wenig verzärtelt und durch
große Aufmerksamkeit, deren man meine kleine Person
früh gewürdigt hatte, gewöhnt worden, sehr viel
Rücksichten von andern Leuten zu fordern. In einem
freien Vaterlande auf gewachsen, wo Schmeichelei,
Verstellung und ein gewisses kriechendes Wesen nicht
sehr zu Hause sind, hatte man mich freilich auch nicht zu
jener Geschmeidigkeit vorbereitet, deren ich bedurfte,
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