1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Männern, welche nicht einmal von seiner Existenz
wissen, in einem Tone zu reden, der ihm, wo nichts
mehr, doch wenigstens manche freie Mahlzeit und den
Zutritt in den ersten Häusern erwirbt. Ich habe einen
Menschen gekannt, der auf diese Art von seiner
Vertraulichkeit mit dem Kaiser Joseph und dem Fürsten
Kaunitz redete, obgleich ich ganz gewiß wußte, daß diese
ihn kaum dem Namen nach, und zwar als einen
unruhigen Kopf und Pasquillanten kannten. Indessen
hatte er hierdurch, da niemand genauer nachfragte, sich
auf eine kurze Zeit in ein solches Ansehn gesetzt, daß
Leute, die bei des Kaisers Majestät etwas zu suchen
hatten, sich an ihn wendeten. Dann schrieb er auf so
unverschämte Art an irgendeinen Großen in Wien und
sprach in diesem Briefe von seinen übrigen vornehmen
Freunden daselbst, daß er zwar nicht Erlangung seines
Zwecks, aber doch manche höfliche Antwort erschlich,
mit welcher er dann weiter wucherte.
Diese Erfahrung macht den frechen Halbgelehrten so
dreist, über Dinge zu entscheiden, wovon er nicht früher
als eine Stunde vorher das erste Wort gelesen oder gehört
hat, aber so zu entscheiden, daß selbst der anwesende
bescheidene Literator es nicht wagt, zu widersprechen,
noch Fragen zu tun, die des Schwätzers Fahrzeug aufs
Trockene werfen könnten.
Diese Erfahrung ist es, durch welche der
empordringende Dummkopf sich zu den ersten Stellen
im Staat hinaufarbeitet, die verdienstvollsten Männer zu
Boden tritt und niemand findet, der ihn in seine
Schranken zurückwiese.
Sie ist es, durch welche sich die unbrauchbarsten,
schiefsten Genies, Menschen ohne Talent und
Kenntnisse, Plusmacher und Windbeutel bei den Großen
der Erde unentbehrlich zu machen verstehen.
Sie ist es, die größtenteils den Ruf von Gelehrten,
Musikern und Malern bestimmt.
Auf diese Erfahrung gestützt, fordert der fremde
Künstler für ein Stück hundert Louisdor, das der
einheimische, zehnfach besser gearbeitet, um fünfzig
Taler verkaufen würde; allein man reißt sich um des
Ausländers Werke; er kann nicht so viel fertig machen,
als von ihm gefordert wird, und am Ende läßt er bei dem
Einheimischen arbeiten und verkauft das für
ultramontanische Ware.
Auf diese Erfahrung gestützt, erschleicht sich der
Schriftsteller eine vorteilhafte Rezension, wenn er in der
Vorrede zu dem zweiten Teile seines langweiligen Buchs
mit der schamlosesten Frechheit von dem Beifalle redet,
womit Kenner und Gelehrte, deren Freundschaft er sich
rühmt, den ersten Teil beehrt haben.
Diese Erfahrung gibt dem vornehmen Bankerottierer,
der Geld borgen will und nie wieder bezahlen kann, den
Mut, das Anlehn in solchen Ausdrücken zu fordern, daß
der reiche Wucherer es für Ehre hält, sich von ihm
betrügen zu lassen.
Fast alle Arten von Bitten um Schutz und
Beförderung, die in diesem Tone vorgetragen werden,
finden Eingang und werden nicht abgeschlagen,
dahingegen Verachtung, Zurücksetzung und nicht erfüllte
billige Wünsche fast immer der Preis des bescheidenen,
furchtsamen Klienten sind.
Diese Erfahrung lehrt den Diener, sich bei seinem
Herrn, und den, welcher Wohltaten empfangen, sich bei
dem Wohltäter so wichtig zu machen, daß der, so die
Verbindlichkeit auflegt, es für ein großes Glück rechnet,
einem solchen Manne anzugehören. – Kurz! der Satz: daß
jedermann nicht mehr und nicht weniger gelte, als wozu er sich
selbst macht, ist die große Panacee für Aventuriers, Prahler,
Windbeutel und seichte Köpfe, um fortzukommen auf
diesem Erdballe – ich gebe also keinen Kirschkern für
dieses Universalmittel. – Doch still! sollte denn jener Satz
uns gar nichts wert sein? Ja, meine Freunde! Er kann uns
lehren, nie ohne Not und Beruf unsre ökonomischen,
physikalischen, moralischen und intellektuellen
Schwächen aufzudecken. Ohne also sich zur Prahlerei
und zu niederträchtigen Lügen herabzulassen, soll man
doch nicht die Gelegenheit verabsäumen, sich von seinen
vorteilhaften Seiten zu zeigen.
Dies muß aber nicht auf eine grobe, gar zu merkliche,
eitle und auffallende Weise geschehn, denn sonst
verlieren wir viel mehr dadurch; sondern man muß die
Menschen nur mutmaßen, sie von selbst darauf kommen
lassen, daß doch wohl etwas mehr hinter uns stecke, als
bei dem ersten Anblicke hervorschimmert. Hängt man
ein gar zu glänzendes Schild aus, so erweckt man dadurch
die genauere Aufmerksamkeit; andre spüren den kleinen
Fehlern nach, von denen kein Erdensohn frei ist, und so
ist es auf einmal um unsern Glanz geschehn. Zeige Dich
also mit einem gewissen bescheidenen Bewußtsein
innerer Würde, und vor allen Dingen mit dem auf Deiner
Stirne strahlenden Bewußtsein der Wahrheit und
Redlichkeit! Zeige Vernunft und Kenntnisse, wo Du
Veranlassung dazu hast! Nicht so viel, um Neid zu
erregen und Forderungen anzukündigen, nicht so wenig,
um übersehn und überschrien zu werden! Mache Dich
rar, ohne daß man Dich weder für einen Sonderling,
noch für scheu, noch für hochmütig halte!
2.
Strebe nach Vollkommenheit, aber nicht nach dem
Scheine der Vollkommenheit und Unfehlbarkeit! Die
Menschen beurteilen und richten Dich nach dem
Maßstabe Deiner Prätensionen, und sie sind noch billig,
wenn sie nur das tun, wenn sie Dir nicht Prätensionen
aufbürden. Dann heißt es, wenn Du auch nur des
kleinsten Fehlers Dich schuldig machst: »Einem solchen
Manne ist das gar nicht zu verzeihn«; und da die
Schwachen sich ohnehin ein Fest daraus machen, an
einem Menschen, der sich verdunkelt, Mängel zu
entdecken, so wird Dir ein einziger Fehltritt höher
angerechnet als andern ein ganzes Register von Bosheiten
und Pinseleien.
3.
Sei aber nicht gar zu sehr ein Sklave der Meinungen andrer
von Dir! Sei selbständig! Was kümmert Dich am Ende
das Urteil der ganzen Welt, wenn Du tust, was Du sollst?
Und was ist Deine ganze Garderobe von äußern
Tugenden wert, wenn Du diesen Flitterputz nur über ein
schwaches, niedriges Herz hängst, um in Gesellschaften
Staat damit zu machen?
4.
Enthülle nie auf unedle Art die Schwächen Deiner
Nebenmenschen, um Dich zu erheben! Ziehe nicht ihre
Fehler und Verirrungen an das Tageslicht, um auf ihre
Unkosten zu schimmern!
5.
Schreibe nicht auf Deine Rechnung das, wovon andern
das Verdienst gebührt! Wenn man Dir, aus Achtung
gegen einen edlen Mann, dem Du angehörst, Vorzug
oder Höflichkeit beweist, so brüste Dich damit nicht,
sondern sei bescheiden genug zu fühlen, daß dies alles
vielleicht wegfallen würde, wenn Du einzeln aufträtest!
Suche aber selbst zu verdienen, daß man Dich um
Deinetwillen ehre! Sei lieber das kleinste Lämpchen, das
einen dunklen Winkel mit eigenem Lichte erleuchtet als
ein großer Mond einer fremden Sonne oder gar Trabant
eines Planeten!
6.
Fehlt Dir etwas, hast Du Kummer, Unglück, leidest Du
Mangel, reichen Vernunft, Grundsätze und guter Wille
nicht zu, so klage Dein Leid, Deine Schwäche niemand
als dem, der helfen kann, selbst Deinem treuen Weibe
nicht! Wenige helfen tragen; fast alle erschweren die
Bürde; ja! sehr viele treten einen Schritt zurück, sobald sie
sehen, daß Dich das Glück nicht anlächelt. Sobald sie
aber gar wahrnehmen, daß Du ganz ohne Hilfsquellen
bist, daß Du keinen geheimen Schutz hast, niemand, der
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