zuversichtliche, nicht so im Gedränge von Fremden,
noch auf Reisen an Leib und Seele abgeschliffene,
geglättete, sondern ernsthaftere Niedersachse, der bei der
ersten Bekanntschaft nicht sehr zuvorkommend, sondern
wohl gar ein wenig verlegen ist, an einem Hofe im Reiche
vielleicht für einen schüchternen Menschen ohne
Lebensart, ohne Welt angesehn werden.
Sich nun also nach Ort, Zeit und Umständen
umzuformen und von verjährten Gewohnheiten sich
loszumachen, das erfordert Studium und Kunst.
In Gegenden, aus welchen weder Unzufriedenheit mit
dem Vaterlande, noch Müßiggang, noch Verderbnis der
Sitten, noch unbestimmte, rastlose Tätigkeit, noch
Anekdotenjagd, noch vorwitzige Neugier die Menschen
scharenweise emigrieren macht und jeden Pinsel zum
Reisen und Wandern treibt, sind die Einwohner mit dem,
was es daheim gibt, so herzlich wohl zufrieden, daß sie
nichts Größeres kennen, nichts Größeres kennen mögen,
als was sie in ihrem Vaterlande von Jugend auf
betrachtet, schon als Knaben bewundert oder von ihren
Verwandten und Freunden haben stiften, bauen, anlegen
gesehn. Ihnen sind die kleinen jährlichen oder andern
Feste immer neu, immer gleich glänzend und
merkwürdig. – Glückliche Unwissenheit! nicht zu
vertauschen mit dem Ekel, welcher den Mann anwandelt,
der in seinem Leben so gar viel allerorten erlebt, erfahren,
gesehn, bauen und zerstören gesehn hat und zuletzt an
nichts mehr Freude finden, nichts mehr bewundern kann,
alles mit Tadel und Langerweile anblickt! Ich reiste vor
einigen Jahren im rauhesten Wetter in notwendigen
Geschäften vierzig Meilen weit von *** nach ***. Es
fügte sich, daß in letztrer Stadt am Tage meiner Ankunft
ein General mit den dabei allerorten mehr oder weniger
üblichen Feierlichkeiten sollte begraben werden. Die
ganze Stadt, die dergleichen selten gesehn, war vom
frühen Morgen an in Bewegung; alles sprach von dem
Begräbnisse des Generals. Ein Offizier von meiner alten
Bekanntschaft begegnete mir im Gasthofe: »Ei! wo
kommen Sie her?« rief er; ich sagte es ihm. Der gute
Mann vergaß in dem Augenblicke, daß *** vierzig Meilen
weit läge und daß eine solche Feierlichkeit mir wohl
schwerlich in so schlechtem Wetter eine so weite Reise
wert sein könnte: »Oh!« sagte er, »Sie kommen gewiß, um
unsern General begraben zu sehn; ja! es wird sich schön
ausnehmen.« – Nun! zu so etwas kann ich kaum lächeln;
möchten alle Menschen das am schönsten finden, was sie
haben! Doch gestehe ich auch, daß dies oft zu Intoleranz
führt; daß die Anhänglichkeit an einheimische Sitten
zuweilen ungerecht, ungeschliffen gegen Menschen
macht, die sich durch kleine Verschiedenheiten, wäre es
auch nur in Anstand, Kleidung, Ton, Mundart oder
Gebärden, unschuldigerweise auszeichnen.
In Reichsstädten ist diese Anhänglichkeit an väterliche
Sitten, Kleidertrachten u. dgl. sehr auffallend und hat
nicht selten Einfluß auf Regierungsverfassung,
Religionsverträglichkeit und andre wichtige Dinge. So
legen z.B. alle calvinistischen Kaufleute in *** ihre
Gärten nach holländischem Geschmacke an; nun hörte
ich einstens einen solchen von einem andern Negotianten
dieses Bekenntnisses, der aber in seinem Garten einige
der reformierten Gemeinde auffallende Veränderungen
vorgenommen hatte, sagen: Der Mann habe in seinem
Garten allerlei lutherische Streiche gemacht. – Daß ich
mich nicht von meinem Zwecke entferne! Ich meine, die
Verschiedenheit der Sitten und der Stimmung in den
deutschen Staaten macht es sehr schwer, außer seiner
vaterländischen Gegend, in fremden Provinzen, in
Gesellschaften zu gefallen, Freundschaften zu stiften,
Geschmack am Umgang zu finden, andre für sich
einzunehmen und auf andre zu wirken.
Aber diese Schwierigkeiten werden in Deutschland
noch größer unter Personen von verschiedenen Ständen
und Erziehungen. Wer wird nicht schon mehrmals in
seinem Leben die Erfahrung gemacht haben, in welche
Verlegenheit man kommen kann, und wie groß die
Langeweile ist, die uns befallt oder die wir andern
verursachen, wenn wir in eine Gesellschaft geraten, deren
Ton uns gänzlich fremd ist, wo alle auch noch so warmen
Gespräche an unserm Herzen vorbeigleiten, wo die Form
der ganzen Unterhaltung, alle Gebräuche und äußern
Manieren der Anwesenden weit außer unserm Systeme
liegen, nicht zu unsern Gewohnheiten passen, wo die
Minuten uns Tage scheinen, wo Zwang und
Verwünschung unsrer peinlichen Lage auf unsrer Stirne
gemalt stehen.
Man sehe nur einen ehrlichen Landedelmann aus
treuer Lehnspflicht einmal nach langen Jahren wieder an
dem Hofe seines Landesherrn erscheinen! Er hat sich
schon frühmorgens aufs beste ausgeschmückt und sich
die sonst gewöhnte liebe Pfeife Tabak versagt, um nicht
nach Rauch zu riechen. Auf den Gassen der Stadt war es
noch öde und still, als er schon in seinem Wirtshause
umherwandelte und alles in Bewegung setzte, um ihm
beizustehn bei dem beschwerlichen Geschäfte, sich
hofmäßig auszuschmücken. Jetzt ist er endlich fertig; sein
gekräuseltes und gepudertes Haar, das außerdem selten
ohne Nachtmütze auftritt, hat er der freien Luft
preisgegeben, und leidet er nun höllische
Kopfschmerzen; die seidenen Strümpfe ersetzen bei
weitem nicht, was die heute zurückgelegten Stiefel ihm
sonst gewähren; ihn friert gewaltig an den ihm nackend
scheinenden Beinen. Der besetzte Rock ist in den
Schultern nicht so bequem als sein treuer, alter, warmer
Überrock; der Degen gerät jeden Augenblick zwischen
die Beine; er weiß nicht, was er mit dem kleinen Hütchen
in der Hand anfangen soll; das Stehn wird ihm
unerträglich sauer. – In dieser grausamen Verfassung
erscheint er im Vorzimmer. Um ihn her wimmelt ein
Haufen Hofschranzen herum, die, obgleich sie wahrlich
sämtlich vielleicht nicht so viel wert als dieser ehrliche,
nützliche Mann und im Grunde ihrer Herzen nicht
weniger als er von Langerweile geplagt sind, dennoch mit
Naserümpfen und Verachtung hier, wo sie in ihrem
Elemente zu sein scheinen, ihn ansehen. Er fühlt jeden
Spott, übersieht sie und muß sich dennoch von ihnen
demütigen lassen. Sie nähern sich ihm, tun mit
zerstreuter, wichtiger Miene einige Fragen an ihn, Fragen,
an denen das Herz keinen Anteil nimmt und worauf sie
auch die Antworten nicht abwarten. Er glaubt einen
unter ihnen zu entdecken, der ihm teilnehmender scheint
als die übrigen; mit diesem fängt er ein Gespräch von
Dingen an, die ihm, vielleicht auch dem Vaterlande,
wichtig sind: von seiner häuslichen Lage, von dem
Wohlstande der Provinz, in welcher er lebt; er redet mit
Wärme; Redlichkeit atmet alles, was er sagt – aber bald
sieht er, wie sehr er sich in seiner Hoffnung getäuscht
hat; das Männchen hört ihm mit halbem Ohre zu,
erwidert irgendein paar unbedeutende Silben zur Antwort
und läßt dann den braven Hausvater da stehn. Nun
nähert er sich einem Zirkel von Leuten, die mit Interesse
und Lebhaftigkeit zu reden scheinen; an diesem
Gespräche wünscht er teilzunehmen; aber alles, was er
hört, Gegenstand, Sprache, Ausdruck, Wendung, alles ist
ihm fremd. In halb deutschen, halb französischen
Worten wird hier eine Sache abgehandelt, auf welche er
nie seine Aufmerksamkeit geschärft, von welcher er nie
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