mich beehrt. Ich werde mich bestreben, dieses Vorwurfs
in vollem Maß würdig zu werden. Hat mein Buch einigen
Wert, so bestimmt gewiß eben diese möglichste
Vollständigkeit einen großen Teil desselben, und
jedermann wird zum Wohltäter an mir werden, der mir
jetzt anzeigt, über welche Verhältnisse und Lagen im
menschlichen Leben ich noch Bemerkungen und
Vorschriften zu liefern versäumt habe.
Man hat gegen den Titel dieses Werks die Erinnerung
gemacht: daß er nur Regeln des Umgangs ankündigte, da
hingegen das Buch selbst fast über alle Teile der
Sittenlehre sich ausdehnte. Billige Richter haben indessen
eingesehen, wie schwer dies zu vermeiden war. Wenn die
Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer
konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen
Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den
Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von
Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen
fordern können. – Das heißt: ein System, dessen
Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muß dabei
zum Grunde liegen. Sollte man an meinem Buche das
tadeln dürfen, daß es mehr leistet, als der Titel verspricht,
so könnte man dem Übel auf einmal abhelfen, wenn man
diesem Werke etwa die Überschrift gäbe: »Vorschriften,
wie der Mensch sich zu verhalten hat, um in dieser Welt
und in Gesellschaft mit andern Menschen glücklich und
vergnügt zu leben und seine Nebenmenschen glücklich
und froh zu machen.« Allein dieser Titel kommt mir
ebenso geschwätzig als prahlerisch vor. Man verzeihe
mir's also, daß ich es damit beim alten gelassen habe!
Andre haben hier Vorschriften für junge Leute
vermißt, die als Studenten, Offiziere usf. in die Welt
treten. – Vorschriften, wie diese sich gegen andre junge
Leute gleichen Standes zu betragen hätten. Der Herr
Rezensent in den Würzburger gelehrten Anzeigen hat
dagegen sehr vernünftig angemerkt, daß, wenn ich so
hätte in das Detail gehn wollen, ich vielleicht in zehn
Bänden meinen Gegenstand nicht würde erschöpft
haben, und daß ich mich sehr vielfach hätte wiederholen
müssen. Ich füge noch hinzu, daß unter jungen Leuten,
die noch keinen festen Charakter haben, die
Mannigfaltigkeit der Sonderbarkeiten, welche sie in ihrer
Art sich zu betragen zeigen, zwar unendlich groß, aber
auch zugleich so unwichtig scheint, daß ein Jüngling, dem
es ernst ist, sich für die Welt zu bilden, auf diese weiter
keine Rücksicht zu nehmen braucht, wenn er sich, im
Umgange mit Menschen von gleichem Alter, so
vorsichtig, ordentlich und redlich beträgt, als die
Vorschriften dazu in diesem Buche, sowohl im
allgemeinen, als nach den verschiedenen Stimmungen
und Verhältnissen unter allen Gattungen von Menschen,
angegeben werden.
Hannover, im Januar 1790.
Vorrede zu den ersten beiden Auflagen
Der Gegenstand dieses Buchs kommt mir groß und
wichtig vor, und irre ich nicht, so ist der Gedanke, in
einem eignen Werke Vorschriften für den Umgang mit
allen Klassen von Menschen zu geben, noch neu. Eben
dieser Umstand aber und daß mir in Deutschland, soviel
ich weiß, niemand vorgearbeitet hat, muß einen Teil der
Unvollkommenheiten meiner Arbeit entschuldigen. Es ist
ein weites Feld vollständig und gründlich zu bearbeiten,
vielleicht für einen Menschen und gewiß für meine
Kräfte zu groß. Kann aber das in magnis voluisse aliquid
Verdienst geben, so darf ich einigen Anspruch auf den
Dank des Publikums machen, um so mehr, wenn etwa
meine Arbeit bei einem größern Menschenkenner und
feinern Philosophen einst die Lust erwecken sollte, etwas
Vollkommneres hierüber zu liefern.
Vielleicht wird man mir Weitschweifigkeit vorwerfen
und mich beschuldigen, ich hätte Räsonements
eingemischt, die nicht eigentlich zu den Regeln über den
Umgang mit Menschen gehören; allein es ist hier schwer,
die wahre Grenzlinie zu finden. Wenn ich zum Beispiel
lehren will, wie vertraute Freunde im Umgange
miteinander sich betragen sollen, so scheint es mir sehr
passend, erst etwas über die Wahl eines Freundes und
über die Grenzen freundschaftlicher Vertraulichkeit zu
sagen, und wenn ich über das Betragen im geselligen
Leben in manchen Klassen von Menschen rede und
zeige, wie man ihrer Schwächen schonen soll, so stehen
philosophische Bemerkungen über diese Schwächen
selbst und über deren Quellen nicht am unrechten Ort.
Übrigens habe ich dies Buch nicht flüchtig
hingeschrieben, wie wohl andre meiner Schriften,
sondern lange an den Materialien dazu gesammelt. – Es
enthält Resultate aus meinem ziemlich unruhigen Leben
unter Menschen mancher Art. Bei dem veränderlichen
und leichtfertigen Geschmacke des deutschen Publikums
und der übertriebenen Nachsicht, mit welcher dasselbe
unbedeutende Romane, leere Journale, platte Schauspiele
und nichtswürdige Anekdotensammlungen aufnimmt,
möchte es zwar kaum einer Entschuldigung bedürfen,
wenn man diesen größern Teil des Publikums nicht so
sehr respektierte, daß man streng gewissenhaft in Wahl
und Ausfeilung der Produkte wäre, welche man in die
gelehrte Welt schickt. Schriftstellerei ist in jetzigen Zeiten
nicht viel mehr als Gespräch mit der Lesewelt; in
freundschaftlichen Unterredungen wiegt man aber nicht
jedes Wort ab. Der müßige Haufen will ohne Unterlaß
etwas Neues hören; ernsthafte, wichtige Werke werden
von den Buchhändlern nicht halb so gern in Verlag
genommen und vom Publikum nicht halb so eifrig
gelesen als jene Modeware; wenn man sich nun herabläßt,
die Wahrheiten, die man zu sagen hat, wenigstens in ein
solches Gewand zu hüllen, wie es der große Haufen gern
sieht, so läuft wohl freilich je zuweilen ein unnützes Wort
mit unter, und das ist vielleicht auch mein Fall gewesen.
Doch will ich offenherzig genug sein, noch etwas zur
Entschuldigung meiner bisherigen Vielschreiberei
anzuführen.
Niemand kann lebhafter als ich selbst fühlen, welcher
Ausfeilung meine zuerst herausgegebenen Schriften noch
bedurft hätten, um irgendeinen Grad von
Vollkommenheit zu erreichen. Indessen wurden sie und
werden noch immer häufiger gelesen und öfter aufgelegt,
als sie es verdienen. Der Verleger bat um mehr Ware von
der Art, machte mir vorteilhafte Bedingungen, und ich
wies den Erwerb nicht von mir. Ich schäme mich dieses
Geständnisses nicht: Wer nur irgend weiß, auf welche
Weise mein Vermögen eine lange Reihe von Jahren
hindurch, sehr ohne meine Schuld, ist verwaltet worden,
der wird mir das gern verzeihn, und wer mit meiner
häuslichen Lebensart bekannt ist, muß mir das Zeugnis
geben, daß ich das Gewonnene auf keine unedle Art
verwendet habe.
Nicht immer habe ich mich vor meinen Schriften
genannt; zuweilen hat man mich als Verfasser von
Büchern angegeben, die ich nicht einmal gelesen hatte.
Das hat mich bis jetzt wenig bekümmert; anders aber
handelt der Mann, der in fremden Provinzen lebt, ohne
an den Staat geknüpft zu sein, dem es desfalls weniger
ängstlich um seinen bürgerlichen und gelehrten Ruf zu
tun ist, und anders der, welcher in seinem Vaterlande
wohnt, und dem die Achtung, auch des Geringsten unter
seinen Mitbürgern, nicht gleichgültig sein darf. Nach
achtzehnjähriger Abwesenheit befinde ich mich nun
wieder in dem letztern Falle. Ich würde fürchten, man
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