möchte das Unkraut, das ich hergäbe, dem
vaterländischen Boden zur Last legen, auf welchem es
gewachsen wäre, wenn ich fortführe, so schnell zu
arbeiten; ich würde fürchten, mein liebes Vaterland zu
beschimpfen, in welchem gottlob der Haufen elender
Scribler noch nicht so groß ist als in den mehrsten andern
Provinzen Deutschlands. Was ich also hier liefre und
etwa ferner liefern werde (wenn ich je noch außer diesem
Werke etwas schreiben sollte), muß wenigstens keine lose
Ware sein, und nicht leicht werde ich wieder etwas
drucken lassen, ohne meinen Namen davorzusetzen.
Es hat nicht Unzufriedenheit mit meinem Herrn
Verleger in Frankfurt am Main, sondern andre
Rücksichten haben mich bewogen, dies Buch einer
hiesigen Buchhandlung in Verlag zu geben; vielmehr muß
ich dem Herrn Andreä das Zeugnis geben, daß er sich
jederzeit sehr billig, redlich und freundschaftlich gegen
mich betragen hat.
Einige meiner Schriften sind in Wien und Leipzig
nachgedruckt worden; sollte einer von der berüchtigten
Zunft etwa auch auf dies Büchelchen eine korsarische
Unternehmung von der Art wagen wollen, so dient
demselben zur Nachricht, daß alle Vorkehrungen
getroffen sind, den Schaden eines solchen Diebstahls auf
den Räuber selbst fallen zu machen.
Hannover im Jänner 1788.
Einleitung
1.
Wir sehen die klügsten, verständigsten Menschen im
gemeinen Leben Schritte tun, wozu wir den Kopf
schütteln müssen.
Wir sehen die feinsten theoretischen Menschenkenner
das Opfer des gröbsten Betrugs werden.
Wir sehen die erfahrensten, geschicktesten Männer bei
alltäglichen Vorfällen unzweckmäßige Mittel wählen,
sehen, daß es ihnen mißlingt, auf andre zu wirken, daß
sie, mit allem Übergewichte der Vernunft, dennoch oft
von fremden Torheiten, Grillen und von dem Eigensinne
der Schwächeren abhängen, daß sie von schiefen Köpfen,
die nicht wert sind, ihre Schuhriemen aufzulösen, sich
müssen regieren und mißhandeln lassen, daß hingegen
Schwächlinge und Unmündige an Geist Dinge
durchsetzen, die der Weise kaum zu wünschen wagen
darf.
Wir sehen manchen Redlichen fast allgemein
verkannt.
Wir sehen die witzigsten, hellsten Köpfe in
Gesellschaften, wo aller Augen auf sie gerichtet waren
und jedermann begierig auf jedes Wort lauerte, das aus
ihrem Munde kommen würde, eine nicht vorteilhafte
Rolle spielen, sehen, wie sie verstummen oder lauter
gemeine Dinge sagen, indes ein andrer äußerst leerer
Mensch seine dreiundzwanzig Begriffe, die er hie und da
aufgeschnappt hat, so durcheinander zu werfen und
aufzustutzen versteht, daß er Aufmerksamkeit erregt und
selbst bei Männern von Kenntnissen für etwas gilt.
Wir sehen, daß die glänzendsten Schönheiten nicht
allenthalben gefallen, indes Personen, mit weniger äußern
Annehmlichkeiten ausgerüstet, allgemein interessieren. –
Alle diese Bemerkungen scheinen uns zu sagen, daß
die gelehrtesten Männer, wenn nicht zuweilen die
untüchtigsten zu allen Weltgeschäften, doch wenigstens
unglücklich genug sind, durch den Mangel einer gewissen
Gewandtheit zurückgesetzt zu bleiben, und daß die
Geistreichsten, von der Natur mit allen innern und
äußern Vorzügen beschenkt, oft am wenigsten zu
gefallen, zu glänzen verstehen.
Ich rede aber hier nicht von der freiwilligen
Verzichtleistung des Weisen auf die Bewunderung des
vornehmen und geringen Pöbels. Daß der Mann von
bessrer Art da in sich selbst verschlossen schweigt, wo er
nicht verstanden wird; daß der Witzige, Geistvolle in
einem Zirkel schaler Kopfe sich nicht so weit herabläßt,
den Spaßmacher zu spielen; daß der Mann von einer
gewissen Würde im Charakter zu viel Stolz hat, sein
ganzes Wesen nach jeder ihm unbedeutenden
Gesellschaft umzuformen, die Stimmung anzunehmen,
wozu die jungen Laffen seiner Vaterstadt den Ton mit
von Reisen gebracht haben, oder den grade die Laune
einer herrschenden Kokette zum Konversations-,
Kammer- und Chorton erhebt; daß es den Jüngling
besser kleidet, bescheiden, schüchtern und still, als, nach
Art der mehrsten unsrer heutigen jungen Leute, vorlaut,
selbstgenügsam und plauderhaft zu sein; daß der edle
Mann, je klüger er ist, um desto bescheidener, um desto
mißtrauischer gegen seine eigenen Kenntnisse, um desto
weniger zudringlich sein wird; oder daß, je mehr innerer,
wahrer Verdienste sich jemand bewußt ist, er um desto
weniger Kunst anwenden wird, seine vorteilhaften Seiten
hervorzukehren, so wie die wahrhafte Schönheit alle
kleinen anlockenden, unwürdigen Buhlkünste, wodurch
man sich bemerkbar zu machen sucht, verachtet, – das
alles ist wohl sehr natürlich! – Davon rede ich also nicht.
Auch nicht von der beleidigten Eitelkeit eines Mannes
voll Forderungen, der unaufhörlich eingeräuchert,
geschmeichelt und vorgezogen zu werden verlangt und,
wo das nicht geschieht, eine traurige Figur macht; nicht
von dem gekränkten Hochmute eines abgeschmackten
Pedanten, der das Maul hängen läßt, wenn er das
Unglück hat, nicht aller Orten für ein großes Licht der
Erden bekannt und als ein solches behandelt zu sein,
wenn nicht jeder mit seinem Lämpchen herzuläuft, um es
an diesem großen Lichte der Aufklärung anzuzünden.
Wenn ein steifer Professor, der gewöhnt ist, von seinem
bestaubten Dreifuße herunter, sein Kompendium in der
Hand, einem Haufen gaffender, unbärtiger Musensöhne
stundenlang hohe Weisheit vorzupredigen und dann zu
sehn, wie sogar seine platten, in jedem halben Jahre
wiederholten Späße sorgfältig nachgeschrieben werden;
wie jeder Student so ehrerbietig den Hut vor ihm abzieht,
und mancher, der nachher seinem Vaterlande Gesetze
gibt, ihm des Sonntags im Staatskleide die Aufwartung
macht; wenn ein solcher einmal die Residenz oder
irgendeine andre Stadt besucht, und das Unglück nun
will, daß man ihn dort kaum dem Namen nach kennt,
daß er in einer feinen Gesellschaft von zwanzig Personen
gänzlich übersehn oder von irgendeinem Fremden für
den Kammerdiener im Hause gehalten und Er genannt
wird, er dann ergrimmt und ein verdrossenes Gesicht
zeigt; oder wenn ein Stubengelehrter, der ganz fremd in
der Welt, ohne Erziehung und ohne Menschenkenntnis
ist, sich einmal aus dem Haufen seiner Bücher
hervorarbeitet, und er dann äußerst verlegen mit seiner
Figur, buntscheckig und altväterisch gekleidet, in seinem
vor dreißig Jahren nach der neuesten Mode verfertigten
Bräutigamsrocke dasitzt und an nichts von allem, was
gesprochen wird, Anteil nehmen, keinen Faden finden
kann, um mit anzuknüpfen, so gehört das alles nicht
hierher.
Ebensowenig rede ich von dem groben Zyniker, der
nach seinem Hottentottensysteme alle Regeln verachtet,
welche Konvenienz und gegenseitige Gefälligkeit den
Menschen im bürgerlichen Leben vorgeschrieben haben,
noch von dem Kraftgenie, das sich über Sitte, Anstand
und Vernunft hinauszusetzen einen besondern Freibrief
zu haben glaubt.
Und wenn ich sage, daß oft auch die weisesten und
klügsten Menschen in aller Welt, im Umgange und in
Erlangung äußerer Achtung, bürgerlicher und andrer
Vorteile ihres Zwecks verfehlen, ihr Glück nicht machen,
so bringe ich hier weder in Anschlag, daß ein widriges
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