sich Deiner annimmt- o! so rechne auf keinen mehr! Wer
hat den Mut, einzig und fest als die Stütze des von aller
Welt Verlassenen öffentlich aufzutreten? Wer hat den
Mut, zu sagen: »Ich kenne den Mann; er ist mein Freund;
er ist mehr wert als ihr alle, die ihr ihn schmähet«? Und
fändest Du ja einen solchen, so würde es doch nur etwa
ein andrer armer Teufel sein, der selbst in elenden
Umständen, aus Verzweiflung sein Schicksal an das
Deinige knüpfen wollte, dessen Schutz Dir mehr
schädlich als nützlich wäre.
7.
Rühme aber auch nicht zu laut Deine glückliche Lage!
Krame nicht zu glänzend Deine Pracht, Deinen
Reichtum, Deine Talente aus! Die Menschen vertragen
selten ein solches Übergewicht ohne Murren und Neid.
Lege daher auch andern keine zu große Verbindlichkeit
auf! Tue nicht zu viel für Deine Mitmenschen! Sie fliehen
den überschwenglichen Wohltäter, wie man einen
Gläubiger flieht, den man nie bezahlen kann. Also hüte
Dich, zu groß zu werden in Deiner Brüder Augen, auch
fordert jeder zu viel von Dir, und eine einzige
abgeschlagene Wohltat macht tausend wirklich erzeigte in
einem Augenblick vergessen.
8.
Vor allen Dingen wache über Dich, daß Du nie die
innere Zuversicht zu Dir selber, das Vertrauen auf Gott,
auf gute Menschen und auf das Schicksal verlierst! Sobald
Dein Nebenmann auf Deiner Stirne Mißmut und
Verzweiflung liest – so ist alles aus. Sehr oh aber ist man
im Unglücke ungerecht gegen die Menschen. Jede kleine
böse Laune, jede kleine Miene von Kälte deutet man auf
sich; man meint, jeder sehe es uns an, daß wir leiden, und
weiche vor der Bitte zurück, die wir ihm tun könnten.
9.
Gegenwart des Geistes ist ein seltenes Geschenk des
Himmels und macht, daß wir im Umgange in sehr
vorteilhaftem Lichte erscheinen. Dieser Vorzug nun läßt
sich freilich nicht durch Kunst erlangen; allein man kann
an sich arbeiten, daß, wenn er uns fehlt, wir wenigstens
nicht durch Übereilung uns und andre in Verlegenheit
setzen. Sehr lebhafte Temperamente haben hierauf
vorzüglich zu achten. Ich rate daher, wenn eine
unerwartete Frage, ein ungewöhnlicher Gegenstand oder
irgend etwas anders uns überrascht, nur eine Minute still
zu schweigen und der Überlegung Zeit zu lassen, uns zu
der Partei vorzubereiten, die wir nehmen sollen. So wie
ein einziges rasches, unvorsichtiges Wort oder ein in der
Verwirrung unternommener Schritt zu späte Reue und
unglückliche Folgen wirken können, so kann ein schnell
auf der Stelle gefaßter und ausgeführter rascher
Entschluß in entscheidenden Augenblicken, in welchen
man so leicht den Kopf verliert, Glück, Rettung, Frost
bringen.
10.
So wenig als möglich lasset uns von andern Wohltaten
fordern und annehmen! Man trifft gar selten Leute an,
die nicht früh oder spät für kleine Dienste große
Rücksichten forderten, und das hebt dann das
Gleichgewicht im Umgange auf, raubt Freiheit, hindert
uneingeschränkte Wahl, und wenn auch unter zehnmal
nicht einmal der Fall einträte, daß dies uns in
Verlegenheit setzte oder Verdruß zuzöge, so ist es doch
weislich gehandelt, dies mögliche Einmal zu vermeiden
und lieber immer zu geben, jedem zu dienen als von
andern Dienste oder sonst etwas anzunehmen. Auch gibt
es wenig Menschen, die mit guter Art Wohltaten
erzeigen.
Versuchet es, meine Freunde! wie viele unter Euren
Bekannten nicht auf einmal, mitten in der fröhlichsten,
höflichsten Gemütsstimmung, ihr Gesicht in feierliche
Falten ziehen, wenn Ihr Eure Anrede mit den Worten
anhebet: »Ich muß eine große Bitte an Sie wagen; ich bin
in einer erschrecklichen Verlegenheit.«
Um nun fremden Beistandes entbehren zu können,
dazu ist das beste Mittel, wenig Bedürfnisse zu haben,
mäßig zu sein und bescheidene Wünsche zu nähren; wer
aber von unzähligen Leidenschaften in rastlosem Taumel
umhergetrieben wird, bald Ehrenstellen, bald Wucher,
bald Erwerb, bald wollüstigen Genuß verlangt; wer von
dem Luxus des Zeitalters angesteckt, alles begehrt, was
seine Augen sehen, wen vorwitzige Neugier und ein
unruhiger Geist treiben, sich in jeden unnützen Handel
zu mischen, der wird freilich nie der Hilfe und
Unterstützung fremder Leute zur Befriedigung seiner
zahllosen Wünsche sich entäußern können.
11.
Keine Regel ist so allgemein, keine so heilig zu halten,
keine führt so sicher dahin, uns dauerhafte Achtung und
Freundschaft zu erwerben, als die: unverbrüchlich, auch
in den geringsten Kleinigkeiten, Wort zu halten, seiner
Zusage treu, und stets wahrhaftig zu sein in seinen
Reden. Nie kann man Recht und erlaubte Ursache haben,
das Gegenteil von dem zu sagen, was man denkt,
wenngleich man Befugnis und Gründe haben kann, nicht
alles zu offenbaren, was in uns vorgeht. Es gibt keine
Notlügen; noch nie ist eine Unwahrheit gesprochen
worden, die nicht früh oder spät nachteilige Folgen für
jedermann gehabt hätte; der Mann aber, der dafür
bekannt ist, streng Wort zu halten und sich keine
Unwahrheit zu gestatten, gewinnt gewiß Zutrauen, guten
Ruf und Hochachtung.
12.
Sei streng, pünktlich, ordentlich, arbeitsam, fleißig in
Deinem Berufe! Bewahre Deine Papiere, Deine Schlüssel
und alles so, daß Du jedes einzelne Stück auch im
Dunkeln finden könntest! Verfahre noch ordentlicher mit
fremden Sachen! Verleihe nie Bücher oder andre Dinge,
die Dir geliehen worden; hast Du von andern dergleichen
geliehn, so bringe oder schicke sie zu gehöriger Zeit
wieder und erwarte nicht, daß sie oder ihre Domestiken
noch Wege darum tun, um diese Dinge abzuholen! –
Jedermann geht gern mit einem Menschen um und treibt
Geschäfte mit ihm, wenn man sich auf seine
Pünktlichkeit in Wort und Tat verlassen kann.
13.
Interessiere Dich für andre, wenn Du willst, daß andre
sich für Dich interessieren sollen! Wer unteilnehmend,
ohne Sinn für Freundschaft, Wohlwollen und Liebe, nur
sich selber lebt, der bleibt verlassen, wenn er sich nach
fremdem Beistande sehnt.
14.
Zwei Gründe hauptsächlich müssen uns bewegen, nicht
gar zu offenherzig gegen die Menschen zu sein: zuerst die
Furcht, unsre Schwäche dadurch aufzudecken und
mißbraucht zu werden, und dann die Überlegung, daß,
wenn man die Leute einmal daran gewöhnt hat, ihnen
nichts zu verschweigen, sie zuletzt von jedem unsrer
kleinsten Schritte Rechenschaft verlangen, alles wissen,
um alles zu Rate gezogen werden wollen. Allein
ebensowenig soll man übertrieben verschlossen sein,
sonst glauben sie, es stecke hinter allem, was wir tun,
etwas Bedeutendes oder gar Gefährliches, und das kann
uns in unangenehme Verlegenheit verwickeln und
veranlassen, daß wir verkannt werden, unter anderm in
fremden Ländern, auf Reisen, bei manchen andern
Gelegenheiten, und kann uns überhaupt auch im
gemeinen Leben, selbst im Umgange mit edeln Freunden
schaden.
15.
Vor allen Dingen vergesse man nie, daß die Leute
unterhalten, amüsiert sein wollen; daß selbst der
unterrichtendste Umgang ihnen in der Länge ermüdend
vorkommt, wenn er nicht zuweilen durch Witz und gute
Laune gewürzt wird; daß ferner nichts in der Welt ihnen
so witzreich, so weise und so ergötzend scheint, als wenn
man sie lobt, ihnen etwas Schmeichelhaftes sagt; daß es
Читать дальше