Bis auf Luisa und Bea waren bereits alle im Clubraum versammelt. Sissi hatte zur allgemeinen Begeisterung noch schnell ein neues Kuchenrezept ausprobiert und das Ergebnis zum Testen mitgebracht. Wie in den meisten Fällen war das Backwerk mehr als geglückt! Juli griff bereits nach dem zweiten Stück, obwohl das Erste sich zum Großteil noch in seinen Backentaschen befand. Da hörten sie endlich Luisas Stimme, wie sie scheinbar ihrer Freundin Ratschläge für den Aufstieg zum Clubraum gab: „Du musst über die Leiter hier rauf. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Da kann dir nichts passieren, komm schon!“ Bea murmelte mit dünner Stimme: „Ich war noch nie auf einer Leiter! Halt bloß das obere Ende gut fest, nicht dass dieses Teil noch umkippt!“ Den Geräuschen nach zu urteilen, hatte sie nun aber doch mit dem Aufstieg begonnen. Im Clubraum wechselte man derweilen vielsagende Blicke. Als Luisa und Bea schließlich in der Tür erschienen, hatte Juli endlich das erste Stück Kuchen runter geschluckt und somit den Mund wieder frei. „Wo kommst du denn bloß her, wenn es da keine Leitern gibt? Klettert ihr vielleicht an Seilen?“, fragte er verwundert das Mädchen, das wohl Bea sein musste. Bea antwortete etwas säuerlich: „Aus Leipzig, und da gibt es eben nur Treppen und Fahrstühle. Bisher ist mir weder eine Leiter noch ein Seil zum Klettern begegnet. Nebenbei bemerkt bist du ganz schön frech, mein Lieber. Würde man dir gar nicht zutrauen, wo du eigentlich so süß aussiehst.“ Das war die Retourkutsche, Juli sagte nichts mehr, war beleidigt, denn das Letzte was er sein wollte, war süß! Na das fängt ja gut an, dachte Luisa, setzte aber trotzdem ein strahlendes Lächeln auf und sagte zu den Versammelten: „Darf ich euch meine Freundin Bea vorstellen? Wo sie herkommt wissen ja nun alle, sie ist gerade 11 geworden und kommt nach den Ferien in die sechste Klasse. Und jetzt der Reihe nach, Wolle kennst du ja schon, Juli hast du gerade kennengelernt und das sind dann noch Berti und Sissi!“ Auch Bea lächelte wieder und gab allen der Reihe nach die Hand. Juli klopfte sie eine Spur zu fest auf die Schulter und erklärte: „War wirklich nur ein Spaß, Juli! Du bist nicht süß, du siehst eher wie ein kräftiger Vorschüler aus. Bist du erst fünf oder schon sechs?“ Juli wuchs bestimmt um zehn Zentimeter und ergriff Beas Hand, wobei er richtig stellte, dass er erst vier sei, aber erwachsener wirke! Sissi unterbrach die Begrüßungszeremonie, indem sie auch den beiden Mädchen ein Stück Kuchen anbot und anschließend darauf drängte, mit der Arbeit zu beginnen. Juli krähte wichtig dazwischen: „Dafür müssen wir aber erst wissen, was Bea gut kann! Du willst uns doch helfen, oder? Ich war schon zweimal mit Grummel im Dorf unterwegs und habe gesammelt. Wie viel Euros habe ich dabei bekommen Berti? Sag schon!“ Berti antwortete bestimmt zum zehnten Mal an diesem Tag: „Genau 15 Euro und 75 Cent!“ „Toll, was?“, wollte Juli wissen. Bea nickte und Berti bohrte weiter: „Juli hat Recht, was kann eigentlich Bea gut?“ Erwartungsvoll blickten alle auf das Mädchen. Bea kratzte sich am Kopf und sagte schließlich: „Rechnen!“ Stille rings um her. „Ja, ich kann sehr gut rechnen und bin zu Hause, bei meinen Freunden immer für die Organisation zuständig. Ausflüge, Partys, auch eine Spendenaktion für eine Familie, die durch einen Brand alles verloren hatte, habe ich schon organisiert.“ „Also, dann schieß mal los! Sicher hat Luisa dir bereits erzählt, was alles ansteht und was bereits gemacht worden ist, hast du weitere Vorschläge?“, forderte Berti sie auf. Das war nun Beas Startschuss, sie zum Sprechen auffordern, konnte sehr gefährlich werden, was Berti noch lernen musste: „Ich habe mir schon was überlegt. Also es gibt doch einen Kutschwagen für Leopold, mit dem könnte Berti am Flohmarkttag Rundfahrten veranstalten. Dafür brauchen wir aber noch ein Kassenhäuschen mit einem Schild auf dem die Kutschfahrt und der Preis angezeigt werden. Wolle übernimmst du das, ja? Am Montag dachte ich, sollten wir Mädchen uns im Büro von Luisas Vater um die Herstellung der Handzettel kümmern, so tausend Stück werden wir schon brauchen. Gleichzeitig können Wolle und Juli mit dem Handwagen die Häuser im näheren Bereich um den Braunerhof nach Flohmarktware abfahren, vielleicht kann man ja Isidor vor den Handwagen spannen, dann müsst ihr nicht so schwer ziehen. Berti, du kannst mit dem Kutschwagen und Leopold die Gebiete übernehmen, die etwas weiter weg liegen. Die Sachen müssten vorbereitet sein, da Luisa ja bereits bei den meisten Leuten vorgesprochen hat. Am Dienstag verteilen wir die Handzettel in den Nachbardörfern und am Mittwoch fahren wir mit dem Bus in die Stadt und machen da weiter. Donnerstag und Freitag bleiben dann für den Aufbau und die Lagerung der Ware, die Leitung dafür sollte wohl bei Berti liegen, der hat am meisten Kraft. Außerdem werden wir uns um das Backen, das Abholen der Kuchenspenden und um deren Lagerung kümmern müssen!“ Erst sagte keiner was, dann blies Berti durch die Zähne, wie es seine Art war, Wolle rieb sich das Kinn, wie immer wenn er nachdachte und Juli sagte: „Aha!“ Sissi sah Luisa an, dann sahen beide Bea an und schließlich fragte Luisa: „Wer ist dafür?“ Einstimmig wurde der Vorschlag angenommen und Sissi fügte noch hinzu: „Ach Bea, und natürlich bist du Kassenwart, da muss man schließlich rechnen können!“ Plötzlich fiel Juli etwas ein: „Heute ist doch der erste Samstag in den Ferien, oder?“ Die anderen nickten. „Na, habt ihr es denn vergessen? Am ersten Samstag in den Ferien schlafen wir immer im Heu!“ Natürlich, beinahe hätten tatsächlich alle die alte Tradition vergessen gehabt. Nun machten sie sich aber schleunigst auf den Heimweg, um jeder seine sieben Sachen für die bevorstehende Übernachtung im Kuhstall zu packen. Man brauchte: Schlafsack, Decken, Kissen, Taschenlampe, Bücher mit Gruselgeschichten, Verpflegung wie Schokolade, Kartoffelchips und Getränke. Eventuell noch Lesestoff für den Fall, dass alle einschlafen konnten, nur man selbst nicht, und Juli natürlich sein Kuscheltier, ohne das konnte er überhaupt nicht schlafen, auch wenn er Gefahr lief, wieder als Baby bezeichnet zu werden.
Luisas Mutter wollte zum Abendessen noch schnell Pfannkuchen machen, darum bat sie die Mädchen, frische Eier aus dem Hühnerhaus zu holen: „Heute Nachmittag habe ich die Letzten für einen Probekuchen verwendet. Das Rezept habe ich für euer Kuchenbüffet ausprobiert, also seid so nett und seht, ob die Hühner noch welche gelegt haben, ja?“ Bea und Luisa eilten hinüber zum Kuhstall. Die Vorbereitungen für das Nachtlager hatten sie bereits getroffen und jetzt freuten sie sich auf leckere Pfannkuchen und eine der tollsten Nächte im Jahr. „Nur Weihnachten ist besser, wenn überhaupt! Vielleicht wenn Geburtstag und Weihnachten auf einen Tag fallen würden, dann könnte man das mit Sicherheit sagen, aber so? Kuhstallübernachtung ist einfach schwer zu übertreffen!“, schwärmte Luisa von dem bevorstehenden Ereignis, während sie erst einmal bei Leopolds Box haltmachten. Aus einer Kiste holte sie drei Karotten und drückte sie Bea in die Hand. „Wenn sie Karotten von dir bekommen, ist das schon die halbe Miete! Morgen musst du sie alle mal aus der Nähe betrachten und Freundschaft schließen. Zurzeit haben wir aber auch wirklich viel zu tun.“, stellte Luisa fest, während sie ihre Freundin mit einem Kopfnicken ermunterte, die erste Karotte in Richtung Leopold zu halten. Der beäugte erst seine Besitzerin und entschied dann, dass das fremde Mädchen wohl keine Gefahr bedeuten würde. Vorsichtig holte er sich das Gemüse und zermalmte es genüsslich zwischen den Zähnen. Bea streichelte dabei auf Geheiß von Luisa die Stelle am Kopf zwischen seinen Ohren. Es schien ihm zu gefallen. Die nächste Karotte bekam Isidor. Der schnappte sich den Leckerbissen sofort, trat dann aber gleich den Rückzug an. Bea lachte. „Bei ihm wird es wohl etwas länger dauern, bis er entschieden hat, ob ich ihm sympathisch bin“, vermutete sie. Nun war Grummel an der Reihe. Der stand bereits mit den Vorderbeinen in seinem Futtertrog, so war er größer und konnte über den Rand der Boxentür schauen. Dass Karotten unterwegs waren, hatte er längst gerochen. Mit einem zufriedenen Meckern nahm er auch anstandslos seine von Bea in Empfang. Die wollte ihn auch noch unterm Bart kraulen, weil er das doch so liebte. Doch Luisa drängte sie zur Eile: „Mama wartet auf die Eier! Außerdem sollten wir die Ersten auf dem Heuboden sein. Wer zuerst kommt, kriegt den besten Platz!“ So betraten sie durch eine Brettertür das Hühnerhaus. Pick saß bereits halb schlafend auf einer Stange in etwa zwei Metern Höhe und blickte vorwurfsvoll auf die Eindringlinge herunter. Pack war in eine Ecke am Boden geflüchtet und Peck erhob sich eben von einem Legenest aus Heu. Drei Eier befanden sich darin. Überwältigt vom ersten Hühnerei, das vor ihren Augen gelegt worden war, eilte Bea ans Nest und bückte sich, um die Eier aufzuheben. Genau in diesem Moment näherte sich von hinten Pack, sie war neugierig geworden und pickte zur Begrüßung an Beas Ferse. Die Folge dieser Hühnerzärtlichkeit war ein lauter Schreckensschrei, den Bea ausstieß, weil sie einfach nicht damit gerechnet hatte, von einem der Hühner berührt zu werden. Der Schrei hatte wiederum zur Folge, dass Pick aus dem Halbschlaf gerissen wurde, hoch flatterte und panisch vor Schreck währenddessen ein Ei legte. Direkt in die Luft! Leider hatte Bea exakt unter Pick gestanden und das Ei landete auf deren Kopf. Luisa krümmte sich vor Lachen, es war alles so schnell gegangen. Nun hatte sie es mit drei total konfusen Hühnern und einer Großstädterin mit Eigelb im Haar zu tun. Rasch zog sie Bea aus dem Hühnerhaus, damit wenigstens die Hühner wieder ihre Ruhe hatten. Endlich hatte Bea sich wieder gefasst und als sie zurück zum Haus gingen, lachten sie schon um die Wette.
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