Nervös wippte Luisa auf dem Bahnsteig von ihren Zehen auf die Fersen und wieder zurück. Die Bahnhofsuhr zeigte bereits 17.45 Uhr, die Stimme des Bahnhofssprechers hatte eben Beas Zug mit einer Verspätung durch den Lautsprecher angekündigt. Luisas Eltern blinzelten sich verstohlen zu, natürlich war auch ihnen die Aufregung ihrer Tochter wegen der Ankunft der Freundin nicht verborgen geblieben. Da, endlich, in der Ferne konnte man den einfahrenden Zug bereits sehen. Beas Mutter hatte diese bis nach Nürnberg begleitet, die letzte Strecke mit dem Nahverkehrszug legte Bea nun alleine, das heißt in der Obhut des Zugbegleiters zurück. So konnte ihre Mutter bequem noch am selben Tag wieder nach Leipzig zurückkehren. Die Stimmung auf Bahnhöfen ist ja generell aufregend und schickt zumindest die Gedanken mit den an- und abfahrenden Zügen auf die Reise. Aber jetzt, wo die Bremsen des haltenden Zuges quietschten und nach dem Öffnen der Türen jeden Moment irgendwo Bea erscheinen musste, glaubte Luisa fast zu platzen vor Nervosität. „Da ist sie!“, rief sie plötzlich, während sie mit dem Arm den Bahnsteig entlang zeigte und augenblicklich in einem Affentempo in dieselbe Richtung davonbrauste. Ihre Eltern versuchten in gemäßigterem Tempo ihr zu folgen. Doch trotz aller Bemühungen waren sie immer noch gut zwanzig Meter entfernt, als die beiden Mädchen sich bereits zur Begrüßung in den Armen lagen. „Sag mal, was genau plant ihr wegen dieses Fohlens? E-Mails sind einfach immer zu kurz für befriedigende Informationen, du musst mir unbedingt sofort berichten..., oh, da sind ja deine Eltern, guten Tag Herr und Frau Brauner, ich freue mich so sehr, dass ich kommen durfte!“, plapperte Bea ohne Atem zu holen drauf los. Das war so ihre Art! Bea redete gern und viel, wollte man etwas erwidern, musste man schon einen sehr günstigen Moment erwischen, nämlich den, wenn auch Bea einmal Luft holen musste. Nach der offiziellen Begrüßung machten die Vier sich auf den Weg zum Parkplatz und als Luisa und Bea auf dem Rücksitz Platz genommen hatten, war Bea bereits über alle Einzelheiten im Bilde. Nebenbei auch Luisas Eltern, die bisher noch weniger über die „Rettungsaktion Ankas Fohlen“ gewusst hatten, als Bea aus Leipzig. „Da habt ihr euch aber ganz schön was vorgenommen!“, kommentierte Luisas Vater die Erzählinhalte seiner Tochter. „Selbstverständlich werde auch ich einen Kuchen für euer Büffet am Flohmarkt beisteuern!“, versprach anschließend seine Frau. „Habt ihr euch denn schon um die Handzettel gekümmert, die in der Umgebung verteilt werden sollen?“, fragte Bea die Freundin. Luisa schüttelte den Kopf und erklärte, dass zwar der Textentwurf bereits fertig sei, zu mehr aber noch keine Zeit gewesen war. „Ach, Herr Brauner, sicher haben sie in ihrem Büro einen ordentlichen Drucker zur Verfügung. Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir den für die Herstellung der Zettel benutzen, oder? Mit den üblichen Haushaltsdruckern verhungern wir ja bei der Masse, die nötig sein wird. Oh, wo ist denn mein Handy, ich sollte doch gleich meiner Mutter Bescheid sagen, wenn ich angekommen bin...!“, Beas Wortschwall erheiterte die Brauners ungemein. Nur Luisas Vater war außerdem etwas beunruhigt bei dem Gedanken, dass die komplette Kuhstallbande ergänzt durch ein Energiebündel aus Leipzig in sein Architekturbüro einfallen würde, um Handzettel zu erstellen. Ach ja, das hatten wir noch gar nicht erwähnt! Direkt neben dem Kuhstall, angebaut, lag der ehemalige Schweinestall des Braunerhofes. Dieser hieß nun aber nicht mehr Schweinestall, so wie der Kuhstall noch immer Kuhstall hieß, sondern an der modernen Eingangstüre hieß ein einladendes Firmenschild mit der Aufschrift ARCHITEKTURBÜRO BRAUNER SPEZIALISIERUNG AUF HÄUSER IM LANDHAUSSTIL angehende Bauherren willkommen. Nach Beendigung seines Studiums hatte Luisas Vater den Schweinestall als erstes Objekt neu geplant und durch Umbau in sein heutiges Büro verwandelt. Seine Eltern gaben damals die Landwirtschaft auf, da er so gar nichts mit einem Dasein als Bauer anfangen hatte können und fürs Leben gern Häuser entwerfen wollte. Schon erreichte die Reisegesellschaft Niederbach und Bea hielt tatsächlich einmal den Mund, während sie interessiert aus dem Fenster schaute und auf Luisas Ortsbeschreibung hörte: „Das ist die Schule, die Kirche, der Bäcker, der Tante Anna Laden, jawohl so was gibt es noch und der heißt so, weil die Inhaberin Anna und nicht Emma heißt, der Bach, da drüben wohnt Sissi und hier sind wir schon!“, endete sie, als der Wagen in die Hofeinfahrt des Braunerhofes bog. „Papa“, entschied Luisa kurzentschlossen, „du bringst doch sicher gerne Beas Gepäck in unser Zimmer, oder? Wir müssen dringend noch auf einen Sprung zu Wolle, hab ich versprochen, sonst wird es zu spät.“ Hurtig nahm sie ihre Freundin bei der Hand und verschwand mit ihr in der Hecke, worauf sie Sekunden später in der Scheune des Müllerhofes auftauchten. Wolle sah sie erst nicht kommen und hörte sie auch nicht, da er wie wild mit einem Hammer Nägel in Flohmarkttische klopfte. In einer winzigen Pause ließ Bea ein fröhliches „Hallo“ ertönen, weshalb Wolle vor Schreck der Hammer aus der Hand und auf seinen bloßen Zeh in den Sandalen fiel. „Verdammt!“, war alles, was er in dem Moment zu Stande brachte und Bea meinte: „Das ist ja eine schöne Begrüßung!“ Wolle hielt sich den Zeh und brummte: „Das finde ich ehrlich gesagt auch.“ Bea lächelte trotzdem und hielt ihm die Hand entgegen, „dann kann es ja nur besser werden!“, meinte sie. Wolle musste dann doch lachen über Beas direkte Art, ließ den Zeh los und ergriff ihre Rechte.
Was eigentlich kann Bea gut?
Es war ziemlich kühl am ersten Samstagvormittag in den Ferien, am Himmel sah es nach Regen aus. Sissi saß schon seit einer Stunde auf dem Begrenzungszaun der Koppel, fror und beobachtete jeden Schritt von Ankas Fohlen. Das Bein war bandagiert, trotzdem humpelte das Fohlen fast ausschließlich auf drei Beinen seiner Mutter hinterher. „Na, hast du Rosi schon versorgt?“, Herr Dachsberger war von hinten an den Zaun getreten und blieb neben Sissi stehen, wobei er ebenfalls sofort anfing, die Bewegungen des Fohlens zu verfolgen. „Ja“, sagte Sissi, „wir waren auch schon eine Stunde unterwegs. Für den Nachmittag haben sie ja Regen angesagt, da wollte ich lieber gleich in aller Frühe los!“ Herr Dachsberger nickte. „Wann wird denn nun über die Operation entschieden?“, wollte Sissi wissen. Dachsberger zuckte mit den Schultern. „ Für kommenden Montag in einer Woche hat Goldbach hier mit dem Tierarzt einen Termin vereinbart. Wahrscheinlich wird das der Stichtag werden.“ Sissi war zum Heulen. Um sich abzulenken, berichtete sie Dachsberger von ihrer Aktion für das Fohlen. Als er hörte, was die Kinder alles auf die Beine stellen wollten, war er sehr beeindruckt. „Seid aber nicht allzu optimistisch, zweitausend Euro sind eine Menge Geld. Das muss erst mal zusammen kommen. Und dann bleibt es ja immer noch Goldbachs Entscheidung, ob er der Operation zustimmen wird, “ mit einem Seufzen wandte er sich zum Gehen. „Bis dann Sissi, hab noch viel zu tun! Viel Glück bei eurer Arbeit!“ Er verschwand in einem der Ställe. Sissi rutschte von ihrer Stange und machte sich auf den Heimweg. Gleich nach dem Mittagessen war eine Sitzung im Kuhstall angesetzt. Punkt 1 der Tagesordnung würde wohl die offizielle Vorstellung von Luisas Freundin aus Leipzig sein. Punkt 2 die weitere Organisation und Arbeitsaufteilung der Vorbereitungen für den Flohmarkt am nächsten Samstag. Vorher wollte Sissi noch bei einigen Müttern von Freundinnen und bei anderen bekannten Kuchenbäckerinnen in Niederbach anrufen und um einen Kuchen fürs Büffet betteln. Sie konnte schließlich nicht mehr als drei an der Zahl selbst backen, das würde sich nicht reichen. Die Aussicht auf die bevorstehende Arbeit ließ ihre Stimmung allmählich wieder ansteigen.
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