christliche Bedeutung unterzulegen. Man findet denn
auch, wie schon bei den Zwölften und anderen Gebräuchen
bemerkt wurde, daß der ursprüngliche Sinn
noch bestehender Volkssitten durchgängig nicht mehr
verstanden wird. In vielen Fällen wird auch kaum
noch von einer wirklich abergläubischen Absicht bei
derartigen Erscheinungen des Volkslebens die Rede
sein können. Man sehe das bezüglich der Zwölften
und Neujahrsfeier in Langförden Gesagte.
Vorliegendes Buch führt die Überschrift »Aberglaube
und Sagen.« S a g e n haben mancherlei Be-
ziehungen zum Aberglauben. Der Aberglaube stellt
feste Sätze oder Behauptungen auf, und die Sage berichtet
von Begebenheiten, in welchen diese Sätze
ihre Erfüllung gefunden haben, in die Wirklichkeit
übertragen sind. Der Aberglaube läßt z.B. einen wichtigen
Bau nur gelingen, wenn ein Mensch in das Fundament
gemauert ist, und die Sage verkündet, diese
oder jene Kirche, dieses oder jenes Schloß, dieser
Deich habe nicht eher stehen oder halten wollen, bis
ein unschuldiges Kind mit eingemauert und im Deich
sei vergraben worden. Der Aberglaube hält daran fest,
daß böse Menschen nach ihrem Tode wiedergehen
müssen, und die Sage weiß zu erzählen, wie in Feld
und Wald, auf Straßen oder in Häusern ein Mörder
Meineidiger, Geizhalz, Wucherer als Spuk die Gegend
unsicher macht. Der Aderglaube will, daß über
Glocken, die nicht geweiht oder getauft sind, der Teufel
die Herrschaft habe, die Sage bezeichnet die Stellen
(Tümpel, Sümpfe), in welchen der Teufel Glokken,
die er aus den Türmen gerissen, versenkt hat.
Anderseits gibt es Sagen, die eine Beziehung zum
Aberglauben vermissen lassen, aber uns fast wie
Aberglaube anmuten. Bleiben wir bei den Glocken
stehen, so herrschte früher der Glaube, der Klang
einer Glocke sei um so reiner oder heller oder schöner,
je mehr Gold und Silber der Glockenspeise beigemischt
werde. Daraus entwickelte sich an Orten, die
über ein gutes Geläute verfügten, die Sage, beim
Gusse desselben wären vornehme Fräulein vom nahen
Schlosse gekommen und hätten ihr sämtliches Geschmeide
in die flüssige Glut geworfen. Der Historiker
lauscht gern den Sagen, die im Volke gehen;
ihnen liegt oft ein wahrer Kern zugrunde, und so dienen
sie dazu, den Forscher auf die richtige Fährte zu
bringen.
Den Schluß des Buches bilden M ä r c h e n u n d
S c h w ä n k e . Die Märchen stehen nicht auf dem
Boden der Wirklichkeit, machen auf Glauben keinen
Anspruch, sind Phantasiegebilde wie der Aberglaube,
bilden somit einen passenden Anhang an diesen.
Schwänke sind teils Phantasiegebilde, teils dem wirklichen
Leben entnommen, im letzteren Falle hat aber
die Dichtung sie mit soviel Beiwerk versehen, daß
man nicht mehr weiß, wo die Wahrheit anfängt und
wo sie aufhört.
Fußnoten
1 In der Marsch wird der Unfug, der anderswo zu
Neujahr besteht, auch in der Pfingstnacht geübt, dürfte
aber eine Ausnahme bilden und erst später aufgekommen
sein.
Einteilung.
Wir haben es im Folgenden mit dem Aberglauben im
c h r i s t l i c h e n Volke zu tun. Nach Lehre des
Christentums ist der Endzweck der Erschaffung der
Welt die Offenbarung der Vollkommenheiten Gottes.
Die leblosen und lebenden unvernünftigen Geschöpfe
sollen diese Vollkommenheiten unbewußt verkünden,
der vernünftige Mensch bewußt und frei. Zu dem
Ende lenkt und ordnet der Schöpfer alles so, daß dieser
Zweck erreicht wird. Deshalb heißt es in einem
bekannten Liede:
Nichts geschieht von ungefähr,
Alles kommt von oben her.
Das ist die V o r s e h u n g . Der Aberglaube stellt
nun neben diese Vorsehung eine zweite, ihm genügt
die erste nicht. Er will sich damit nicht in einen Gegensatz
zu dieser stellen, er will sie vielmehr ausbauen,
ergänzen. Einmal läßt er Gesetze und Kräfte walten,
die das Christentum nicht kennt und Vernunft
und Erfahrung verwerfen (Vorbedeutung, Zauberei,
Vor-, Nachspuk), er gaukelt uns Feinde vor, die vernünftiger
Weise nicht existieren können (karrikierte
Teufel und dessen Verbündete: Hexen, Walridersken,
Wehrwölfe usw.). Ein andermal heftet er sich an die
Wirklichkeit, an Zahlen und Zeiten, an die Gestirne
des Himmels, an Feuer und Licht, an Pflanzen und
Tiere, er stellt sich ein bei den Festen des Jahres, bei
den wichtigsten Vorfällen im Leben des Menschen, er
beeinflußt die Sagen, die Volkslieder und Spiele, die
Märchen und Schwänke, welche im Volke gehen.
Daraus ergibt sich die Einteilung:
I. Die eingebildete Welt des Aberglaubens.
1. Vorbedeutungen. – 2. Zauberei. – 3. Vorspuk. –
4. Nachspuk. – 5. Teufel. – 6. Teufelsverbündete. –
7. Geister oder Wesen außer dem Teufel.
II. Die wirkliche Welt und der Aberglaube.
III. Ortssagen.
IV. Märchen und Schwänke.
Erstes Buch.
Die eingebildete, erträumte Welt des
Aberglaubens.
Erster Abschnitt. Vorbedeutungen.
(Folgen nicht abwendbar.)
1.
Der Aberglaube schließt aus bestimmten Zeichen oder
Erscheinungen oder Handlungen auf bestimmte Wirkungen
oder Folgen. Diese Wirkungen kann der
Mensch einmal verhindern oder abwenden, ein ander
Mal nicht. Hier haben wir die V o r b e d e u t u n g .
2.
Die Dinge und Vorgänge, in welchen eine Vorbedeutung
liegt, sind so mannigfaltiger Art, daß sich dafür
feste Gesetze oder Regeln nicht aufstellen lassen. Im
allgemeinen kann man sagen:
a) ungewöhnliche seltene Erscheinungen (Komet und
dgl.), ungewöhnliche Vorkommnisse bei festlichen
Gelegenheiten, als Hochzeiten, Begräbnissen, oder
auch ungewöhnliches Handeln eines Menschen
usw.;
b) auffällige, nicht ungewöhnliche Erscheinungen
(Krähen einer Henne, Heulen des Hundes);
c) alles Neue als Unterbrechung des Alltäglichen
(Hausbau, Ausbleiben der Schwalben, der Wechsel
der Jahreszeiten, erstmaliges Sehen des Storches,
erstmaliges Rufen des Kuckuks),
gelten als vorbedeutend. Und nicht einmal dies. Es
kann überhaupt alles, was man täglich und stündlich
erlebt, als vorbedeutend angesehen werden.
3.
Der Glaube an Vorbedeutung ist alt. Manche Sätze
verraten heidnischen Ursprung. Wenn es heißt, die
Katze, die sich putzt, kündige Besuch, insbesondere
einen Freier an, so ist man geneigt, an Freyja, die
Göttin der Ehe und alles dessen, was damit zusammenhängt,
der die Katze heilig war, zu denken. Ob
ein Zusammenhang jemals bestanden hat, wird sich
schwer feststellen lassen.
Groß ist das Gebiet der Vorbedeutungen und doch
schon stark eingeschränkt. Ein Pfarrer Jüchter in der
Grafschaft Oldenburg schreibt 1648 in das Kirchenbuch
über Mißgeburten von Menschen. »Es folgen
gemeiniglich auff solche erschreckliche Mißgeburten
Krieg, Pestilenz, theure Zeit, Wasserfluthen und anderes
Unglück.« (1. Heft des Rüstr. Heimatbundes S.
31). Der Rat und Chronist Winkelmann (Zeit Anton
Günthers) schreibt zu dem Tode des Lieblingspferdes
der Gräfin Marie Elisabeth, »daß die göttliche Vorsehung,
die insonderheit auf große Standespersonen
Acht habe, durch solche und dergleichen Anzeigungen,
was etwa uns künftig zu erwarten stehe, zuvor
andeuten wolle.« Die Sturmfluten des Jahres 1625
zeigen nach Winkelmann die nachfolgende Kriegsverheerung,
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