Honoré de Balzac - Szenen aus dem Landleben

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Menschliche Komödie. Menschliche Tragödie. Ein Sittenbild von gezeichnet von Honoré de Balzac.
Szenen aus dem Landleben,1. Der Landarzt, 2. Die Bauern

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Table of Contents

Der Landarzt

Das Land und der Mensch

Quer durch Felder

Der Napoleon des Volkes

Die Beichte des Landarztes

Elegien

Die BauernErster Teil

I - Das Schloss

II - Eine von Vergil vergessene Bucolica

III - Die Schenke

IV - Ein anderes Idyll

V - Die Feinde stehen sich gegenüber

VI - Eine Diebesgeschichte

VII - Verschwundene soziale Spezies

VIII - Die große Revolution eines kleinen Tales

IX - Mediokratie

X - Melancholie einer glücklichen Frau

XI - Die Oaristys, die achtzehnte Ekloge des Theokrit, für die das Schwurgericht wenig Verständnis hat

XII - In welcher Weise die Schenke das Parlament des Volkes ist

XIII - Der Landwucherer

Zweiter Teil

I - Die Erste Gesellschaft von Soulanges

II - Die Verschwörer bei der Königin

III - Das Café de la Paix

IV - Das Triumvirat von Ville-aux-Fayes

V - Der kampflose Sieg

VI - Der Wald und die Ernte

VII - Der Windhund

VIII - Ländliche Tugenden

IX - Die Katastrophe

X - Der Triumph der Besiegten

Impressum - Kontakt

Honoré de Balzac

Szenen aus dem Landleben

Der Landarzt

Die Bauern

Impressum

ISBN 9783955014797

2013 andersseitig.de

Covergestaltung: Erhard Koch

Digitalisierung: Erhard Koch

andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de

info@new-ebooks.de

(mehr unter Impressum-Kontakt)

Der Landarzt

Das Land und der Mensch

An einem schönen Frühlingsmorgen des Jahres 1829 verfolgte ein etwa fünfzigjähriger Mann zu Pferde einen Gebirgsweg, der nach einem großen, bei der Grande-Chartreuse gelegenen Marktflecken führt. Dieser Marktflecken ist der Hauptort eines volkreichen Kreises, der von einem langen Tal gebildet wird. Ein reißender Bergstrom, dessen steiniges Bett häufig trocken ist, nun aber infolge der Schneeschmelze gefüllt war, benetzt das Tal, das von zwei parallellaufenden Höhenzügen, die auf allen Seiten von den Gipfeln Savoyens und des Dauphiné beherrscht werden, eingeengt wird. Obwohl die zwischen der Kette der beiden Mauriennes liegenden Landstriche sich ähnlich sehen, zeigt der Bezirk, durch welchen der Fremde reiste, Geländeformationen und Nebenlichter, wie der Maler sagt, die man anderswo vergeblich suchen würde. Bald zeigt das plötzlich breiter werdende Tal einen unregelmäßigen Rasenteppich von jenem Grün, das die beständige von den Bergen stammende Bewässerung zu allen Jahreszeiten so frisch und für das Auge so wohltuend erhält. Bald zeigt eine Schneidemühle ihre bescheidenen, malerisch hingestellten Gebäude, ihren Vorrat an langen, geschälten Fichtenstämmen und ihren Wasserlauf, der von dem Wildbach abgeleitet und durch große, grob ausgehöhlte Holzröhren geführt wird, durch deren Risse ein Netz von Wasserstrahlen entweicht. Hier und da erwecken strohgedeckte Hütten, umgeben von Gärten voll blütenbedeckter Obstbäume, die Gedanken, die eine arbeitsame Armut einflößt. Weiterhin kündigen Häuser mit roten Dächern, die aus flachen, runden und fischschuppenähnlichen Ziegeln zusammengesetzt sind, anhaltender Arbeit verdankte Wohlhabenheit an. Endlich sieht man über jeder Türe den aufgehängten Korb, in welchem Käse trocknen. Überall sind die Tür- und Fensteröffnungen und Zäune durch Weinstöcke belebt, die, wie in Italien, an kleinen Ulmen emporwachsen, deren Laub man dem Vieh zu fressen gibt. Durch eine Laune der Natur sind die Berge an manchen Stellen so nahe aneinandergerückt, dass es dort weder Gebäude noch Felder, noch Strohhütten mehr gibt. Nur durch den Wildbach getrennt, der in Kaskaden dahinbraust, erheben sich die beiden hohen, mit schwarznadligen Fichten und hundert Fuß hoch aufstrebenden Buchen bedeckten Granitmauern. All diese Bäume sind kerzengerade, durch Moosflecken seltsam gefärbt, an Laub verschieden und bilden prachtvolle Säulenhallen, die oberhalb und unterhalb des Weges von formlosen Erdbeerbaum-, Schneeball-, Buchsbaum- und Rotdornhecken eingefasst werden. Die starken Düfte dieser Sträucher vermischen sich mit den herben Gerüchen der Gebirgsnatur und den durchdringenden Ausdünstungen junger Lärchen-, Pappel- und harziger Fichtentriebe. Einige Wolken zogen zwischen den Felsen, verschleierten und enthüllten abwechselnd die graufarbigen Spitzen, die häufig ebenso dunstig waren wie die Wetterwolken, deren weiche Flocken sich dort zerteilten. Jeden Augenblick veränderte das Land sein Gesicht und der Himmel sein Licht; die Berge wechselten ihre Farben, die Gießbäche ihre Schattierungen und die Täler ihre Formen: vervielfachte Bilder, deren unerwartete Gegensätze, sei es ein durch die Baumstämme fallender Sonnenstrahl, sei es eine natürliche Lichtung oder einige Geröllhalden inmitten des Schweigens, in der Jahreszeit, wo alles jung ist, wo die Sonne am klaren Himmel flammt, einen köstlichen Anblick boten. Kurz, es war ein schönes Land, es war Frankreich!

Der hochgewachsene Reisende war ganz in blaues Tuch gekleidet, das ebenso sorgfältig gebürstet war, wie es allmorgendlich das glatte Fell seines Pferdes sein musste, auf welchem er gerade und festgewachsen wie ein alter Kavallerieoffizier saß. Wenn seine schwarze Krawatte und seine Wildlederhandschuhe, wenn die Pistolen, die seine Halfter füllten, und der auf der Kruppe seines Pferdes sorgsam befestigte Mantelsack nicht schon den Militär angekündigt hätten, so würden sein braunes, pockennarbiges, aber regelmäßiges und augenscheinliche Sorglosigkeit verratendes Gesicht, seine entschiedenen Bewegungen, die Sicherheit seines Blicks, seine Kopfhaltung, kurz alles, jene Regimentsgewohnheiten angezeigt haben, die ein Soldat niemals, selbst wenn er ins Privatleben zurückgekehrt ist, ablegen kann. Jeder andere würde sich über die Schönheit dieser Alpennatur, die so strahlend ist, wo sie mit den großen Becken Frankreichs verschmilzt, entzückt haben, der Offizier aber, der zweifelsohne die Länder durcheilt hatte, in welche die französischen Armeen durch die kaiserlichen Kriege geführt wurden, genoss diese Landschaft, ohne indes durch die Mannigfaltigkeit ihrer wechselnden Bilder überrascht zu erscheinen. Erstaunen ist ein Gefühl, das Napoleon in der Seele seiner Soldaten zerstört zu haben scheint: so ist denn auch die Ruhe des Antlitzes ein sicheres Zeichen, woran ein Beobachter Männer erkennen kann, die ehedem unter den vergänglichen, aber unvergesslichen Adlern des großen Kaisers eingereiht gewesen sind. Dieser Mann war tatsächlich einer der jetzt ziemlich seltenen Militärs, welche die Kugel verschont hat, obwohl sie sich auf allen Schlachtfeldern, wo Napoleon befehligte, geschlagen haben. Sein Leben hatte nichts Ungewöhnliches an sich. Er hatte sich als einfacher und treuer Soldat wacker gehalten, war, ob er seinem Herrn nahe oder fern, seiner Pflicht bei Nacht wie bei Tag nachgekommen, hatte nie einen zwecklosen Säbelhieb getan, war aber auch nicht fähig gewesen, einen zuviel auszuteilen. Wenn er in seinem Knopfloch die den Offizieren der Ehrenlegion gebührende Rosette trug, so geschah das, weil sein Regiment ihn einstimmig nach der Schlacht an der Moskwa als den Würdigsten bezeichnet hatte, der sie an diesem großen Tage erhalten sollte. Er gehörte zu der Zahl jener anscheinend kühlen und schüchternen Männer, die immer in Frieden mit sich leben, deren Gewissen allein durch den Gedanken erregt wird, ein Gesuch, welcher Art es auch sein möge, betreiben zu sollen, und deren Beförderung nach den langsamen Gesetzen des Dienstalters erfolgt. Obschon er 1802 Unterleutnant geworden, war er trotz seines grauen Schnurrbarts 1829 erst Eskadronchef; sein Leben war jedoch so untadelig, dass sich ihm kein Mann aus der Armee, und wäre er auch General, näherte, ohne ein Gefühl unwillkürlichen Respekts zu empfinden; ein unbestrittener Vorzug, den seine Vorgesetzten ihm vielleicht nicht verziehen.

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