von Ludwig Strackerjan. Oldenburg 1881.
2 »Wie ist der Vorspuk zu erklären?« in Von Land
und Leuten. S. 83 ff.
Einleitung.
Vorliegendes Buch beschäftigt sich an erster Stelle
mit dem Aberglauben. Damit ist der V o l k s a b e r -
g l a u b e gemeint, jener Aberglaube, der im eigentlichen
Volke, das ist in der gediegenen seßhaften Bevölkerung
des Landes, von alters her bestanden hat,
dort nach Ort und Zeiten minder oder mehr gepflegt
worden, teils ausgestorben ist, teils sich bis auf unsere
Tage erhalten hat. Der Volksaberglaube hat mit dem
sogenannten modernen Aberglauben (Tischrücken,
Spiritismus usw.) nichts gemein. Während dieser als
das Produkt einer raffinierten Überkultur sich darstellt,
ist der Volksaberglaube mehr geschichtlicher
Art, ruht auf alten Überlieferungen, ist vielfach mit
nationalen Volkssitten verbunden und hat an der
Treue, mit welcher diese festgehalten werden, einigen
Halt und einige sittliche Bedeutung.
Wenn der Titel des Buches vom Aberglauben im
Herzogtum Oldenburg spricht, so soll selbstverständlich
damit nicht gesagt sein, daß außerhalb des Herzogtums
abergläubisches Denken, Sprechen und Handeln
nicht gefunden werde oder dort anders geartet
sei. Die Menschen sind überall dieselben, ihr Trachten
und Treiben ist überall die »Jagd nach dem Glükke
«, überall stellen sie Fragen an das Schicksal,
immer und überall bleiben Hoffnung und Furcht ihre
Begleiter auf dem Lebenswege. Darum finden wir im
großen und ganzen denselben Volksaberglauben im
Altertum wie in der Neuzeit, in einem Gau, wie in
dem andern. Aber örtliche Einwirkungen, klimatische
Verhältnisse, Erziehung und Weltanschauung, Berufsarbeiten,
Überlieferungen u. dergl. haben ihn früher
und heute beeinflußt, hier stärker als dort, und insofern
kann man von einem Aberglauben im Herzogtum
Oldenburg und von einem Aberglauben, sagen
wir im Morgenlande, reden. Wir feiern im Herzogtum
Feste, die wir mit anderen deutschen oder außerdeutschen
Ländern gemein haben, und wir feiern Feste,
die rein örtlicher Natur sind. So gibts im Lande Aberglauben,
den man in der ganzen Welt trifft, und Aberglauben,
der nur bei uns und in der Nachbarschaft gedeiht.
– Unter den hervorragendsten Predigern der ersten
christlichen Jahrhunderte finden wir keinen, der
sich so oft und nachdrücklich wider den Aberglauben
wendet, als der im Jahre 407 nach Christi Geburt gestorbene
Patriarch von Konstantinopel, Johannes mit
dem Beinamen Chrysostomus (Goldmund). Aus seinen
hinterlassenen Schriften (Cramer, Leipzig 1748)
erhalten wir Kenntnis von vielen abergläubischen Gebräuchen
jener Zeit. In der 12. Homilie über den 1.
Korintherbrief sagt er unter anderm: »Wird in der Ehe
ein Kind geboren, so sehen wir auch da wieder den
nämlichen Unsinn und viele lächerliche Zeremonien
(Bräuche). Denn soll dem Kinde ein Name gegeben
werden, so legt man ihm nicht den Namen eines Heiligen
bei, wie es die ersten Christen getan, sondern
zündet Kerzen an und gibt ihnen Namen, und nach
derjenigen, die am längsten brennt, benennt man das
Kind und prophezeit ihm ein lang dauerndes Leben,«
. .... »Und was soll man sagen von den Amuletten
(Zaubermitteln), den Schellen, die man dem Kinde an
die Hände bindet und von den Purpurfäden und allem
andern Unsinn, während man dem Kinde nichts anhängen
sollte, als das schützende Kreuz« ... »Die
Ammen und Wärterinnen nehmen Kot beim Baden
und streichen ihn mit den Fingern dem Kinde auf die
Stirn. Und wenn man dann fragt: Wozu denn der Kot
und der Lehm? so antworten sie: das hält das böse
Auge, die Zauberei und den Neid ab. Ei! seht doch die
Kraft und die Macht des Kotes und Lehmes! Der jagt
das ganze Heer des Teufels in die Flucht. Besitzt der
Kot eine solche Kraft, warum bestreichst du selbst
nicht deine Stirn damit, da du im reiferen Alter stehst,
und mehr Neider hast als das Kind? Warum
beschmierst du nicht den ganzen Leib mit Kot?« – In
der 12. Homilie über den Epheserbrief bemängelt der
Redner das abergläubische Achten auf gewisse »Zufälligkeiten
«: So kann man z.B. hören: »Wie ich zum
Hause hinausging, begegnete mir zuerst der und der.«
»Jetzt hat mir der verfluchte Sklave beim Anziehen
der Schuhe zuerst den linken gereicht.« »Ich bin beim
Ausgehen mit dem linken Fuß zuerst über die Schwelle
geschritten.« »Kaum war ich ausgegangen, da zuckt
mir das rechte Auge in die Höhe, das läßt auf Tränen
schließen.« »Schreit ein Esel, kräht ein Hahn, niest jemand,
kurz, ereignet sich was immer, so suchen sie
alles mögliche dahinter und fühlen sich viel abhängiger
als tausend Sklaven.« So weit der größte Redner
der morgenländischen Kirche. Ist es nicht, als hätten
wir einen Prediger unserer Zeit vor uns stehen?
Im Jahre 1669 berichtet der Pastor in Langförden,
Gerhard Wassermann, auf eine behördliche Anfrage
hin über den in seiner Gemeinde herrschenden Aberglauben:
»In der Gemeinde herrscht noch viel Aberglauben.
Es gibt manche, welche sich unterstehen, gewisse
Gebrechen an Menschen und Vieh zu kurieren,
indem sie über dieselben das Kreuzzeichen machen
und dabei gewisse geheimnisvolle Worte aussprechen.
Andere kommen am St. Johannistage (Johannes
der Täufer, 24. Juni) auf einem freien Platze zusammen,
legen zwei große Stücke Holz zusammen und
reiben diese so lange, bis das Holz zu brennen anfängt.
Dieses Feuer, ja selbst der Rauch, sagen sie, sei
das beste Heil- und Schutzmittel gegen Viehseuchen.
Skandalös und abergläubisch geberden sich Jünglinge
und Mädchen, welche abends vor Neujahr und h. 3
Königen auf den Straßen sich umhertreiben, mit Stökken
an die Türen schlagen und dabei abergläubische
Worte aussprechen. Sie glauben, je mehr Unfug sie
treiben, desto fetter würden die Schweine.« – Hier
hören wir von einem Aberglauben, der noch heute
fortbesteht, von einem andern, der gänzlich verschwunden
ist, und von einem dritten, der noch fortbesteht
als Brauch, dessen ursprüngliche Bedeutung
dem Volke aber verloren gegangen ist. Demnach können
wir heute den Aberglauben unterscheiden in solchen,
der noch das Regiment führt, in solchen, der unbekannt
geworden und in solchen, dessen äußere Formen
bestehen geblieben sind, von dem aber das Volk
nicht weiß, was es mit demselben ursprünglich auf
sich hatte.
Was den e r s t e r e n Aberglauben betrifft, so sei
nur an das Gesundbeten, Besprechen, bösen Blick,
Vorbedeutung u. dgl. erinnert. – Was den z w e i t e n
angeht, so haben zu dessen Verschwinden verschiedene
Faktoren beigetragen. Einmal hat die Aufklärung
in Kirche, Schule und Presse viel getan oder ein Eingreifen
Berufener infolge Unfugs, der sich mit der Zeit
damit verbunden hatte, ein ander Mal die Besserung
der Lebensverhältnisse oder andere Umstände. Man
denke z.B. an den früheren Wahn, der alle Geisteskranke
für besessen erklärte, man denke an die vielen
abergläubischen Heilmittel einer vergangenen Zeitpe-
riode. Daß die Aufklärung hier mitgewirkt hat, ist
klar, daß aber bei den Heilmitteln auch der Geldbeutel
eine Rolle spielte, ist ebenfalls klar. Eine wirtschaftlich
starke Zeit wird die Leute eher dem geschulten
Arzte zuführen als eine wirtschaftlich schwache.
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