des Volkslebens aufgedeckt worden, die bislang ver-
nachlässigt war. Man fühlte, wer die Volksseele verstehen,
in ihr lesen wollte, der müsse auch das Volk
in seinem Aberglauben kennen, auf seine Gebräuche
und Sitten achten, der müsse auch wissen, was sich
die Leute am Herdfeuer an Sagen, Märchen und
Schnurren u. dgl. erzählen. So sind die »Aberglaube
und Sagen« für den Kulturhistoriker eine ergiebige
Fundgrube geworden.
Der alte Titel ist beibehalten. Er deckt sich nicht
vollständig mit dem Inhalte, aber er hat sich gut eingeführt
und darum Anspruch auf Fortbestand. Aus der
beifälligen Aufnahme, die das Buch von Anfang an
gefunden, darf geschlossen werden, daß die Anordnung
des Ganzen oder des Inhalts, die Sichtung des
Stoffes im großen und ganzen gelungen ist. Wer auf
die wissenschaftliche Seite Wert legt und daraufhin
einmal den Inhalt des Werkes in sich verarbeitet und
zu eigen gemacht hat, der muß mit der Anlage zufrieden
sein. Es ist leicht, eine andere Einteilung zu treffen,
ob aber auch eine bessere, ist etwas anderes.
Demnach sind auch hier keine einschneidende Aenderungen
getroffen.
Es ist Wert darauf gelegt, alle sachlichen Mitteilungen
der ersten Auflage auch in der schlichten, dem
Volksmunde abgelauschten Art, wie sie dort gegeben
sind, in die zweite herüberzunehmen. Strackerjan hat
seit seinen Schuljahren das Material zu seinem Buche
gesammelt. Wer sich jetzt daran machen wollte, dem
Aberglauben des Volkes nachzuspüren, würde es
vielleicht zu einem dünnen Bändchen bringen, während
beim Verfasser von »Aberglaube und Sagen« der
Erfolg in zwei ansehnlichen Bänden bestand. Es ist
von dem, was in der ersten Auflage Aufnahme gefunden,
so vieles von der Bildfläche verschwunden, daß
Leser, welche den ersten Druck heute in die Hand
nehmen, der Meinung sind, so viel Dummheiten, wie
dort vermerkt sind, könnten niemals im Volke ein Dasein
gefristet haben. Zeuge ist z.B. das Buch »Saterland
« von J. Bröring (Oldenburg, 1897, Schriften des
Oldenburger Landesvereins für Altertumskunde und
Landesgeschichte). In »Aberglaube und Sagen« ist
das Saterland bekanntlich ausgiebig behandelt, obwohl
in vielen Fällen für Saterland ruhig Münsterland,
Oldenburg usw. hätte gesetzt werden können, da
es sich um Aberglauben und Bräuche handelt, die gar
nicht spezifisch saterländisch sind. Doch das nebenbei.
Bröring hat bei Abfassung seines Buches auch
Strackerjan benutzt und ist dabei einige Male auf Mitteilungen
aus dem Saterlande gestoßen, wovon ihm
und seinen Gewährsmännern nichts bekannt war (I,
76 Anm. 2, 99, 108, 111, 118). Er kommt daraufhin
zu dem Schluß, Strackerjan sei von unzuverlässigen
Berichterstattern bedient worden. Bröring hätte
schließen müssen: jetzt ist von dem nichts bekannt,
was damals nach Oldenburg berichtet worden. Was
nämlich in den 60er Jahren oder vorher im Saterlande
gesammelt wurde, als Strackerjan seinen Stoff für den
Druck fertig stellte, davon ist heute ein guter Teil der
Vergessenheit anheimgefallen. Wie das kam, haben
wir hier nicht zu untersuchen. Der Strackerjansche
Berichterstatter aus dem Saterlande war der verstorbene
Landtagsabgeordnete Borgmann, ein Saterländer,
ein gebildeter, nüchtern denkender Mann, der seine
Heimat kannte und liebte und nicht von der Art war,
daß er dort, wo sein eigenes Wissen nicht ausreichte,
sich von seinen Gewährsmännern hätte Bären aufbinden
lassen. Und so lange nicht das Gegenteil erwiesen
ist, müssen wir auch bei Berichterstattern aus anderen
Teilen des Landes annehmen, daß sie gewissenhaft,
nach bestem Wissen und Wollen ihre Berichte gemacht
haben. Somit liegt kein Grund vor, sachliche
Angaben aus der ersten Auflage zu unterdrücken. Im
Gegenteil, für die Kenntnis der Geschichte des Aberglaubens
und dessen, was daran klebt, ist es notwendig,
nicht nur das abergläubische Denken und Handeln
der Jetztzeit, sondern auch der Vergangenheit
heranzuziehen. Die zweite Auflage stellt sich demnach
in der Hauptsache als ein Abdruck der ersten
dar, sogar die Gegenwartform ist, soweit es angängig
war, beibehalten, als wären die Berichte erst gestern
eingelaufen.
Strackerjan meint in seiner Vorrede, daß trotz eifrigen
Forschens seinerseits und seiner Helfer doch noch
nicht alles aufgefunden worden, der Brunnen also keineswegs
bis auf den Grund ausgeschöpft sei. Er bittet
die Freunde seines Unternehmens, die Arbeit nicht
ruhen zu lassen und ihm etwaige Funde, und wären
sie auch scheinbar noch so unbedeutend, zu übermitteln.
Die Suche, welche die Neubearbeitung der
»Aberglaube und Sagen« erforderlich machte, ist
nicht ergebnislos verlaufen. Das Kapitel Aberglauben
oder sagen wir der erste Band konnte um verschiedene
Zusätze, auch um solche, die neue Gesichtspunkte
darboten, bereichert werden. Eine größere Ausbeute
lieferte eine neue sorgfältige Umschau auf dem Gebiete
der Sagen, der Sitten und Gebräuche alter und
neuer Zeit. Fleißige Mitarbeiter haben hier gern ihre
Kräfte in den Dienst einer guten Sache gestellt. Es ist
hohe Zeit, daß da etwas geschieht. Sagen oder alte
Volksüberlieferungen mögen sich vielleicht noch länger
halten, aber mit den alten Bräuchen (bei hohen
Festen, Sterbefällen, Hochzeiten, Ernten usw.) geht es
rasend bergab, noch ein paar Jahre, und die Menschheit
weiß sich ihrer nicht mehr zu erinnern. Was Jahrhunderte
und länger bestanden, erhält plötzlich den
Todesstoß oder trägt den Keim der Auflösung in sich.
Die alten Volksgebräuche zu sammeln und durch den
Druck festzulegen, wurde deshalb als eine wichtige
Aufgabe der Neuauflage angesehen.
Die neueste Litteratur ist tunlichst berücksichtigt.
Gar viele und große Dienste konnte sie nicht leisten,
da ja das meiste und wichtigste im Volke gesammelt
und nicht lediglich aus handschriftlichen und gedruckten
Quellen geschöpft ist. Wo letztere aber herangezogen
wurden, ist dies an den betreffenden Stellen im
Texte vermerkt. Zugaben zur Neuauflage sind durchgehends
durch ein Sternchen gekennzeichnet. Bei
kleineren oder gelegentlichen Zusätzen mußte von
einer Kennzeichnung abgesehen werden.
V e c h t a , 1908.
K. Willoh.
Ludwig Strackerjan.
Peter Friedrich Ludwig Strackerjan wurde am 20. August
1825 als das zwölfte von fünfzehn Kindern des
Oberamtmanns Christian Friedrich Strackerjan zu
Jever geboren. Er besuchte das Gymnasium in Oldenburg,
studierte in Jena Jurisprudenz, machte 1847 das
juristische Tentamen und wurde im November desselben
Jahres beim Amte Oldenburg als Akzessist angestellt.
Als solcher übernahm er im unruhigen 1848er
Jahre die Schriftleitung der »Oldenburgischen Zeitung.
« Nach bestandenem zweiten Examen trat er im
Oktober 1856 das Amt eines Syndikus beim Magistrat
in Oldenburg an und wurde im Jahre 1858 zum
Amtsrichter in Oldenburg für die Abteilung Stadt ernannt.
Diesen Posten bekleidete er über 15 Jahre. Er
schied 1873 aus den Staatsdienst mit dem Titel Justizrat
a.D., um als rechtskundiges Mitglied in das
Direktorium der Spar- und Leih-Bank einzutreten.
Das leutselige, volkstümliche Wesen Strackerjans,
sein reiches Wissen namentlich auf dem Gebiete der
engeren Heimat brachte es mit sich, daß er als Amtsrichter
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