In geldlosen Zeiten, und die liegen noch nicht
lange hinter uns, mußte der Aberglaube Triumphe feiern.
Sodann ist der Aberglaube dort gewichen, wo der
Gegenstand, an den er klebte, fortgefallen ist. Das Johannisfeuer
ist ausgetan, vielleicht deshalb, weil das
Johannisfest im Norden nur mehr sporadisch (Osnabrück)
gefeiert wird. In Süddeutschland bestehen
noch die Feuer, dort ist auch noch der Johannistag
überall gebotener Festtag. Der Flachsbau hat aufgehört
und damit der Aberglaube, welcher damit verknüpft
war. Wenn früher die Milch keine Butter
geben wollte, hielt man sie für behext. Die Hexerei ist
zurückgegangen, seitdem die Milch zur Molkerei gefahren
wird. Früher gab es auf der Geest allerlei Zauber-
oder Heilmittel gegen das kalte Fieber (Malaria),
das sich die armen Grasmäher von Holland geholt
hatten. Mit dem Aufhören der Hollandsgängerei ist
das Fieber unbekannt geworden und damit der daran
haftende Aberglaube. Manche Sümpfe waren oftmals
wahre Spuknester. Die fortschreitende Bodenkultur
hat die Tümpel und Wasserlöcher beseitigt und damit
die mit denselben in Verbindung gebrachten Spukge-
schichten. Man könnte noch viele Beispiele heranholen,
das Gesagte wird genügen. – Was zuletzt die
d r i t t e Sorte Aberglauben angeht, so haben wir es
hier mit uralten Bräuchen zu tun, an welchen das
Volk festhält, obwohl es den Zweck, der dieselben ins
Leben rief, nicht mehr kennt. In Kneheim, Goldenstedt,
in der Marsch, in der friesischen Wede und den
benachbarten hannoverschen Gebieten (Ost und
West) ist es Sitte, die Nachgeburt der Pferde in die
Bäume zu hängen und sie dort ihrem Schicksal zu
überlassen. Frägt man die Leute nach dem warum, so
heißt es, es geschehe, damit die Füllen den Kopf hoch
hielten, d.h. eine gute Haltung annähmen (Kneheim,
Goldenstedt, friesische Wede). Im Saterlande heißt es,
Hunde, die von der Nachgeburt fräßen, würden toll.
Anderswo wird dagegen behauptet, Hunde, die von
der Nachgeburt fräßen, griffen die Füllen an. Daß
diese Gründe nicht einleuchten können, liegt auf der
Hand (vgl. 144). Macht man die Leute auf ihre unsinnige
Erklärung aufmerksam, dann entgegnen sie, der
Brauch wäre immer herrschend gewesen in ihrem
Hause oder Dorfe, ihre Eltern und Voreltern hätten
ihn beobachtet und darum hielten sie es für ratsam,
bei demselben zu bleiben. – Der Langfördener Pastor
schreibt, wie schon bemerkt, 1669, am Abend vor
Neujahr und Dreikönigen machten die jungen Leute
viel Lärm im Dorf. Sie schlügen mit Stöcken an die
Türen, gebrauchten dabei geheimnisvolle Worte und
meinten, je größer der Lärm, desto fetter die Schweine.
Daß man am Abende vor Neujahr an die Türen
schlägt, alte Töpfe und Scherben gegen dieselben
wirft, ist auch noch heute Sitte, aber würde man fragen,
weshalb dies geschieht, dann könnte der Gefragte
als Grund nur die Lust an Randalieren angeben, andere
Gründe sind nicht aufzufinden. Aber warum muß
das Radaumachen gerade um Neujahr und Dreikönigen
besorgt werden, warum nicht auch sonst im
Jahre? Die Mythologie will wissen, das Lärmmachen
am Neujahrsabende gelte einem Kampfe gegen die
bösen Geister, die zu Beginn des Jahres durch Schlagen,
Schießen, Zertrümmern von Geschirren verscheucht
werden müssen. In Langförden mochte man
hiervon 1669 noch eine Ahnung haben, wenn die
junge Welt von der Größe des Unfugs ein Fettwerden
der Schweine abhängig machte, denn je besser die
Dämonen fortgetrieben wurden, desto weniger mochte
ihr fatales Wirken in den Schweineställen zu verspüren
sein. Jetzt weiß man von den bösen Geistern
nichts mehr, aber das Schießen, Schlagen und Werfen
ist geblieben.1 – In der Zeit von Weihnachten bis
Dreikönigen herrscht noch die Sitte, daß alles, was
sich dreht, unberührt stehen bleiben muß. Kein
Wagen, kein Spinnrad, kein Haspel, keine Schiebkarre
darf in Bewegung gesetzt werden. Wer es wagen
sollte, zu fahren, zu schieben, würde ein Unglück erleben.
Man erzählt sich, dieser oder jener habe den
alten Brauch aufgegeben, sofort habe ein Pferd das
Bein gebrochen, ein Rind sei krepiert und dgl. mehr.
Frägt man auch hier die Leute, warum sie den Brauch
beobachten, dann hört man, wie oben, es sei das ein
altes Herkommen, von den Vätern ererbt, mehr wisse
man nicht. In einem Dorfe der Gemeinde Lindern hat
sich nach einer Mitteilung des Pastors Dr. Wulf in
Lastrup der Fall ereignet, daß ein Wagen in den
Zwölften (Zeit von Weihnachten bis Dreikönigen)
von seinem Standort fortgeschafft werden mußte. Der
Eigentümer hat ihn aber nicht fortgerollt, sondern
auseinander genommen und die einzelnen Teile an
dem neuen Standort wieder zusammengesetzt. Weshalb
Unglück über ihn hereingebrochen wäre, wenn er
das Gefährt fortgerollt hätte, wußte er nicht. Die Mythologie
erzählt uns, die heutigen Zwölften wären ein
Nachklang der alten Sonnenwendefeste. In dieser Zeit
vom 25. Dezember bis 6. Januar stand das Rad der
Sonne still. Man hielt es für angemessen, wenn das
Sonnenrad stehe, daß dann aus Ehrfurcht auch alle
Räder auf Erden stille stehen müßten. Wer sich nicht
daran halte, den straften die Götter. Der Landmann
unserer Tage weiß von diesem Glauben seiner Vorfahren
nichts mehr, aber was jene am Sonnenwendefeste
taten, das hat er bis auf den heutigen Tag fortge-
setzt. Übrigens hat die alte Sitte hierorts neuerdings
stark nachgelassen.
Aberglaube bedeutet eigentlich falscher Glaube.
Das erste Element des Wortes »aber« ist dasselbe wie
in mhd. aberlist = Unklugheit, frühmhd. Abergunst =
Mißgunst, Abername = Spottname, Aberwille = Widerwille.
Vgl. auch Aberwitz aus mhd. aberwitze,
abewitze = Unverstand aus mhd. abe = ab, wie mhd.
abegunst = Mißgunst. (Kluge, Etymologisches Wörterbuch
der deutschen Sprache.) Das Volk nennt den
Aberglauben »B i g l o v e «, es versteht darunter
einen Glauben, der nicht dem Christenglauben, wie
ihn Kirche, Haus und Schule lehren, zuwider ist, sondern
neben demselben herläuft. Zweifellos soll mit
dieser Benennung eine gewisse Berechtigung des
Volksaberglaubens dargetan werden. Wenigstens will
der gewöhnliche Mann nichts Verkehrtes in demselben
sehen, verteidigt ihn, wo er kann, und wenn er
sich in gewissen Kreisen über denselben ausschweigt,
so rührt dies daher, weil er das Streiten scheut oder
fürchtet, ausgelacht, verspottet zu werden. Dies
Schweigen ist auch der Grund, daß viele der Meinung
sind, der Volksaberglaube habe zuletzt doch einer
bessern Einsicht Platz gemacht und sei endgültig begraben.
Man beobachte die Menschen, wenn sie unter
sich sind und sich nicht von fremden Ohren belauscht
wähnen, und man wird noch auf viele stoßen, die den
Aberglauben theoretisch und praktisch üben, oder die
ihn theoretisch verurteilen, aber praktisch üben. Daß
am Montage z.B. eine wichtige Arbeit mit Widerwillen
begonnen wird, kann man wiederholt wahrnehmen.
Ich kenne in nächster Nähe eine Bauerschaft, die
man beileibe nicht als rückständig verurteilen darf,
wo aber kein Landwirt in der Erntezeit am Montage
mit dem Roggenmähen den Anfang macht. Sind die
Schnitter nicht vor dem Montag zu haben, so werden
am Samstage vorher einige Streifen abgemäht, damit
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