Der anschließende Besuch der „Handelsschule“ war eine Empfehlung von Frau Nagwa, die an der Mittelschule von Tonsy Arabisch und Mathematik unterrichtete. Der erfahrenen Lehrkraft war klar, dass Mona sich nicht für den Besuch der regulären Oberschule eignete. Das machte bei Mädchen überhaupt nur Sinn, wenn absehbar war, dass sie anschließend auch eine Universität besuchen würden. Aber aus dem Kreis der Grabhofkinder hatte es im Gegensatz zu den Söhnen einiger Torabi, noch keinen solchen Fall gegeben. Jedenfalls erinnerte sich Frau Nagwa an keinen solchen Fall. Schon seit Beginn ihrer Tätigkeit hier vor zweiunddreißig Jahren waren Schüler von jener Grundschule an ihr Institut gekommen – kurz nachdem die wachsende Besiedelung der Grabhöfe deren Einrichtung erforderlich werden ließ. Denn seit der großen Landflucht, die in den 1970er Jahren begann, haben die neuen Bewohner der Grabhöfe hier ihre Kinder zur Welt gebracht. Auch sämtliche Geschwister von Mona sind hier geboren. Nur sie selbst war noch in Kafr Abou Tesht zur Welt, aber schon im Alter von vierzig Tagen nach Imam Al-Shafi’i gekommen. Hierher, wo auch ihre Mutter groß geworden war, die ja nur nach Oberägypten gefahren war, um dort ihren Cousin zu heiraten. Von einem der Torabi haben sie den Grabhof zugewiesen bekommen, in dem sie jetzt leben. Den Grabmeistern, gegen deren Widerspruch die Besitznahme eines Grabhofes nicht möglich sein würde, waren jene als billige Arbeitskräfte einsetzbaren neuen Bewohner von jeher willkommen – und deren Kinder mussten unterrichtet werden.
Niemand weiß, wie viele Menschen mittlerweile in den beiden Totenstädten leben. Die letzten verlässlichen Zahlen hatte 1986 der Journalist Mamdouh El Waly veröffentlicht. Demnach wohnten damals in den Grabhöfen von Imam Al-Shafi’i (südliche Totenstadt) und Basatin (nördliche Totenstadt) zusammen 12419 Menschen. Inzwischen aber muss von einem Vielfachen an Bewohnern ausgegangen werden.
Die „Handelsschule“, welche Mona schließlich besuchte, wurde nur von Eltern und Schülerinnen so genannt und war eine Art Fachschule. Üblicherweise besuchen die Jungens den technischen Zweig einer solchen, um Klempner oder Elektriker zu werden. Der Zweig aber, der „Handelsschule“ genannt wurde, hatte die Qualifizierung zur Buchhalterin zum Ziel und wird ausschließlich von Mädchen besucht. Je nach Lernleistung werden die Absolventinnen entweder tatsächlich Buchhalterinnen oder aber sie machen Jobs wie den einer Kassiererin in einem der zahlreichen Supermärkte. Wobei die Buchhalterinnen für kleine und mittelständische Unternehmer ideale Schwiegertöchter darstellen.
An Monas erstem Schultag an diesem Institut hatte sie Safaa und Rania kennen gelernt. Noch bevor der Unterricht begonnen hatte, im Hof vor einem schwarzen Brett. Die neuen Schülerinnen studierten einen Aushang, der jede einzelne von ihnen darüber informierte, in welchem Klassenraum sie sich anschließend einzufinden hatte. Hier gab es Schülerinnen, die im Gegensatz zu denen in Tonsy tatsächlich aus vermögenderen Kreisen kamen. Mona konnte das sofort an deren Kleidung erkennen. Denn obgleich alle die dunkelblaue Schuluniform trugen, war der Unterschied unübersehbar. Nämlich zwischen der mehrfach ausgebesserten, von Monas Vater im Schulbüro gebraucht gekauften Uniform und den aus besserem Material maßgeschneiderten jener Mitschülerinnen. Und weil die Uniformen von Safaa und Rania so ähnlich aussahen wie ihre eigene, hatte Mona die Nähe der beiden Mädchen gesucht. Sie kamen ins Gespräch und beschlossen, sich im Klassenraum ein Dreier-Pult zu teilen. Fortan waren sie die engsten Freundinnen. Ihr Zusammenhalt wurde zu einem Schutz gegen potentielle Anfeindungen und sie solidarisierten sich miteinander auch in der Mittelmäßigkeit ihrer schulischen Leistungen – abgesehen von Ranias mathematischem Talent.
Nun, kurz vor dem Ende ihrer Schulzeit, wollten die drei Mädchen eine abenteuerliche Reise unternehmen. Wenngleich dieser Trip nur einen halben Tag dauern würde, so sollte es eine Reise in eine andere Welt werden. Das ahnten sie zumindest und darauf freuten sie sich.
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