Das Geheimnis der Anhalterin
Kriminalroman
Britta Bendixen
Neobooks
Erstausgabe im April 2018
als Orange Cursor-eBook
Alle Rechte bei Verlag/Verleger
Copyright © 2018
Britta Bendixen
24983 Handewitt
Alter Kirchenweg 66
www.brittabendixen.de
Coverdesign: Amaris Campbell
978-3-7427-5552-0
02. Mai
Es ist merkwürdig, jemanden zu beobachten, der in wenigen Stunden tot sein wird und nichts davon weiß. Was würde er wohl tun, wenn er ahnen könnte, dass sein Leben bald vorbei ist? Sicher nicht Rasenmähen und in der Erde wühlen.
Er würde sein Haus aufräumen, seine Angelegenheiten regeln und sich von Nahestehenden verabschieden. Oder etwas tun, was er schon immer machen wollte. Fallschirmspringen oder seinem Chef auf den Schreibtisch pinkeln.
Während ich durch die Hecke luge wird mir klar, dass der Gedanke an seinen Tod in diesem Augenblick weit weg sein muss, denn um ihn herum tobt das Leben.
Schmetterlinge tanzen in der Luft, die Vögel zwitschern und um ihn herum blüht und gedeiht alles. Selbst das Unkraut, das er gerade aus den Blumenbeeten zupft.
Die Sonne wandert bereits Richtung Westen, als er mühsam aufsteht – er hält sich das Kreuz, das vom vielen Bücken und Hocken zu schmerzen scheint – und seine Gartenutensilien zusammenräumt, ehe er sie in einem kleinen Schuppen verstaut.
Etwas Zeit hat er noch.
Genug für eine warme Mahlzeit und ein wenig Zerstreuung vor dem Fernseher.
Doch wenn es dunkel ist, komme ich zurück.
Dann ist es soweit.
Dann wird er sterben.
Kapitel 1 – Krise & Karriere
Es blitzt und donnert. An ihrem Rücken spürt Kristina den weichen Teppich.
»Endlich, Krissi!«, keucht Jan und dringt tiefer in sie ein. »Endlich!«
Eng umschlungen bewegen sie sich, finden ihren Rhythmus. Sein Stöhnen in ihren Ohren, seine glatte Haut auf ihrem erhitzten Körper … Es ist so schön, doch sie kann es nicht genießen, weil sie spürt, dass ein Unheil naht, eine furchtbare Katastrophe.
Wieder donnert es. Dann wird es mit einem Mal so hell, dass sie glaubt, ein Blitz sei eingeschlagen. Das grelle Licht blendet sie und ihr Herz beginnt so hart gegen ihren Brustkorb zu hämmern, als suche es panisch einen Weg hinaus, raus aus ihrem Körper.
Sie sieht zur Tür.
Dort steht Stephan, die Hand am Lichtschalter, und starrt sie an. Seine Augen blitzen vor Wut und sein Gesicht verzerrt sich zu einer grässlichen Fratze …
Kristina Wilbert keuchte und setzte sich mit aufgerissenen Augen ruckartig im Bett auf. Ihr Puls raste.
Schon wieder dieser Traum! Würde er sie bis an ihr Lebensende verfolgen?
Schwer atmend vergrub sie das Gesicht in den Händen, bis sich ihr Herzschlag wieder normalisiert hatte. Dann fuhr sie sich durch das kurze dunkle Haar. Im Nacken war es feucht, ihr T-Shirt klebte am Rücken. Sie kniff die Augen zusammen und drückte ihre Zeigefinger gegen die Lider, bis bunte Punkte und Muster auftauchten wie surreale Lichtreflexe.
Sie ließ die Hände sinken, blinzelte und wartete ab, bis sie im Dämmerlicht die vertrauten Konturen erkennen konnte; das Fernsehgerät auf dem kleinen Regal, die Grünpflanze in der Ecke vor dem Fenster und die Umrisse des Kleiderschranks.
Müde schaute sie zum Wecker. Bis er klingelte, dauerte es noch eine halbe Stunde. Obwohl es noch so früh war, drang bereits die Morgendämmerung an den Seiten des Verdunkelungsrollos durch.
Es schien wieder ein sonniger Tag zu werden. Für Mai war das Wetter direkt sommerlich gewesen in der letzten Woche und laut dem Wetterbericht sollte es zumindest noch bis zum nächsten Tag so bleiben. Vielleicht sogar länger. Doch in diesem Jahr gelang es dem schönen Frühlingswetter nicht wie sonst, Kristinas Laune zu heben.
Sie hörte ein leises Schnarchen neben sich, vermischt mit kurzen Grunztönen, und wandte den Kopf. Stephan lag auf dem Rücken, der nackte Oberkörper war unbedeckt, das Gesicht völlig entspannt. Er sah so friedlich und unschuldig aus. Kristina musste bei dem Anblick lächeln. In Momenten wie diesen war er ihr fast so nah wie früher.
Sie seufzte leise, legte sich wieder hin und starrte an die Decke. Gewiss würde sie nicht mehr einschlafen können. Statt sich in den nächsten dreißig Minuten unruhig herumzuwälzen, konnte sie genauso gut aufstehen.
Vorsichtig, um Stephan nicht zu wecken, schlug sie die Decke zur Seite, setzte sich auf und verließ leise den Raum.
Kurz darauf durchzog anregender Kaffeegeruch die Küche. Kristina saß mit einem dampfenden Becher am Esstisch und starrte vor sich hin.
Die Morgensonne tauchte den Raum in warmes Licht. Klitzekleine Staubpartikel tanzten in den Sonnenstrahlen. Auf der Eiche vor dem Fenster zwitscherten ein paar Vögel ihre morgendliche Ouvertüre, von Ferne war ein vergnügtes Lachen zu hören und das übermütige Bellen eines Hundes.
Auf dem Tisch lag der Brief, den Jan ihr im März geschickt hatte. Sie erinnerte sich, dass noch tiefer Schnee gelegen hatte. Ein harter und langer Winter hatte Norddeutschland fest im Griff gehabt. Sie überflog das vor ihr liegende Schreiben noch einmal, obwohl sie es mittlerweile fast auswendig konnte.
Es sei ihm und Yvonne unheimlich wichtig, dass sie und Stephan zu ihrer Hochzeit kämen, schrieb Jan. Er wolle sich unbedingt noch bei Stephan entschuldigen und hoffe, dass sie wieder zurückfinden würden zu der Freundschaft, die sie einst verbunden hat.
Das sagt sich alles so einfach, dachte Kristina bedrückt und nippte an ihrem Kaffee, doch genau das ist es leider nicht.
Zu dem Zeitpunkt, als Jans Brief angekommen war, schien es noch eine Chance für Stephan und sie zu geben. Ihr Verhältnis zueinander war beinahe wieder normal gewesen.
Sie hatte schon erleichtert aufgeatmet. Zu früh, wie sich herausstellte. Der Brief riss die fast verheilte Wunde wieder auf und inzwischen hegte Kristina große Zweifel, dass es zwischen Stephan und ihr je wieder so werden könnte, wie es früher gewesen war.
Ihre Bitte, Jans Einladung anzunehmen und nach Berlin zu fahren, hatte die Sache nicht gerade besser gemacht. Stephan verspürte nicht das geringste Bedürfnis, zur Hochzeit zu fahren. Er war noch immer verletzt und wollte Jan keinesfalls wiedersehen.
Kurzzeitig hatte Kristina dann auch darüber nachgedacht, abzusagen und die Reise nicht anzutreten. Doch Stephans ständige vorwurfsvolle Miene und seine schlechte Laune riefen irgendwann Trotz in ihr hervor.
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